Meine erste selbst gekaufte Platte war von der deutschen Punkrockband »Slime«. Ich war 14, grölte Lieder wie »Legal, Illegal, Scheißegal« in meinem Kinderzimmer und verfilzte mir vor dem Spiegel meine Haare. Der gewünschte Schock-Effekt blieb aus, selbst der »Ein Herz für Arschlöcher«-Aufkleber auf meiner Lederjacke löste in der S-Bahn höchstens Lächeln aus. Wirklich radikal war ich nicht und im Speckgürtel von München hatten sich die Menschen Anfang der 90er schon längst an Punks gewöhnt.
Auf der anderen Seite des Atlantiks aber, in Kuba, ging die Polizei zur selben Zeit hart gegen alle vor, die anders aussahen. »Frikis« nannte man dort die Punker, und weil sie lieber tranken und Rockmusik hörten, als am Aufbau einer neuen sozialistischen Gesellschaft mitzuarbeiten, waren sie dem Castro-Regime ein Dorn im Auge. Frikis wurden auf offener Straße verhaftet, waren die Haare zu lange, rasierte man sie ab, hatten sie keinen Job, wurden sie zum Arbeitsdienst verdonnert.
Als Teenie-Punk in Oberbayern ahnte ich von all dem nichts, erst Jahre später erfuhr ich durch einen Freund von den Frikis. Er erzählte mir von jungen Kubanern, die in den 90ern an die Nordküste der Insel fuhren, um Rock- und Punklieder aus US-Radios auf Kassette mitzuschneiden. Politikersöhnen, die Platten und T-Shirts ins Land schmuggelten. Und Frikis, die sich massenhaft mit einem Virus infizierten: HIV. Manchmal unbewusst, oft aber gewollt. Blut wurde in Spritzen herumgereicht, Freunde infizierten Freunde, absichtlich.
Warum taten sie das? Die meisten der Frikis von damals sind heute tot. Doch in einem ehemaligen Sanatorium in der Nähe der Stadt Pinar del Rio in Westen Kubas wohnen bis heute zwei HIV-infizierte Frikis: Gerson und Yohandra. Wir besuchten sie in ihrem kleinen Bungalow, wir tranken Bier und hörten zu laute Musik. Viel kubanischen Punk, aber auch Slime, die deutsche Band also, die mich einst zum Punk gebracht hatte und die es irgendwie auch nach Kuba geschafft hatte.
Vier Tage verbrachten wir gemeinsam und in dieser Zeit erzählten Gerson und Yohandra uns nicht nur, wieso sie sich mit HIV infiziert hatten, sondern auch, wie sie die Krankheit bis heute überleben konnten: Mit Pillen vom Staat, gegen den sie immer noch rebellieren. Vor allem dank echter Liebe. Denn Gerson und Yohandra sind ein Paar. Bis dass der Tod sie scheidet.
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Foto: Josu Trueba Leiva