Gottes Werk und Teufels Beitrag

Harry-Potter-Bücher, Yoga-Übungen, Kartenlegen: für Pater Gabriele Amorth alles Versuchungen des Teufels. Unser Autor besuchte Italiens berühmtesten Exorzisten in Rom - und musste schließlich selbst behandelt werden.

Valium: großartig. Genau das Richtige am Ende einer Nacht zwischen kreischenden, stöhnenden, heulenden Menschen. Gierig strecke ich Schwester Maria meinen linken Arm entgegen. Es muss gegen acht Uhr morgens sein. Draußen geht die Sonne auf, Schwester Maria lächelt und schickt mich mit ihrer Spritze in tiefen, traumlosen Schlaf, damit mir der Dottore den Magen auspumpen kann.

Die vergangenen 24 Stunden in Rom waren nicht ganz nach Plan verlaufen. Auf dem hatten ein großer Exorzismus, ein Lunch mit einem Professor der päpstlichen Universität und ein entspannter Abend in den Bars von Trastevere gestanden. Zwei von drei Punkten hatte ich abgehakt, als ich nach dem Exorzismus mit Atembeschwerden und Übelkeit zur Gemelli-Klinik fuhr, um mich in die Notaufnahme von Roms größtem Krankenhaus einzuchecken.

Diese Notaufnahme ist kein Ort, an dem es das Personal besonders eilig hat. Ob du mit abgehackten Fingern oder geborstenen Knochen ankommst, du musst eine Nummer ziehen und stundenlang warten, bis du an die Reihe kommst. Der Saal war überfüllt, aber ich kam sofort dran, nachdem ich einer übellaunigen Krankenschwester direkt vor die Füße gespien hatte.
Sofort eilte ein Krankenpfleger mit einem Rollstuhl heran und schob mich in einen grell erleuchteten Saal mit zwei Dutzend Betten, die durch Vorhänge voneinander abgetrennt waren. Als ich um eine Schüssel bat, schüttelte er mit ehrlichem Bedauern den Kopf und wies auf den Papierkorb neben mir.

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Ich sah mich um: Im Bett links neben mir lag ein altes Klageweib, das vor sich hin jammerte und ab und zu einen Fluch ausstieß. Zu meiner Rechten ein Geschäftsmann mittleren Alters, dessen elegantes Hemd bis zum Bauchnabel geöffnet war und den Blick auf ein buntes Knäuel an seiner Brust befestigter Elektroden freigab.
»Herzinfarkt?« fragte ich mitfühlend.
»Wohl doch nicht«, sagte er, fummelte weiter an seinem Blackberry und flirtete mit der jungen Notärztin, die regelmäßig die Tentakel an seiner Brust ordnete und mich dabei ignorierte, obwohl ich mich zwei Schritte neben ihr alle fünf Minuten in meinen Papierkorb übergab. Es war die Hölle.

Man hatte mich gewarnt. So ein Exorzismus sei nicht ungefährlich. »Man kann dabei draufgehen, wenn man nicht aufpasst«, hatte mir ein deutscher Exorzist gesagt. »Oder wenigstens schwer krank werden.« Der Teufel lege es oft mit allen Mitteln darauf an, den Exorzismus zu verhindern. Er selbst, erzählte mir der Priester, sei einmal auf dem Weg zu einer Teufelsaustreibung aus unerklärlichen Gründen mit seinem Wagen vom Weg abgekommen und liegen geblieben.

Ich sagte ihm, dass ich in einem solchen Fall statt den lieben Gott einen gelben Engel des ADAC angerufen hätte und die Geschichte mit der teuflischen Autopanne für Humbug halten würde.
»Dem Teufel ist es ganz recht, wenn Sie nicht an ihn glauben«, entgegnete der Priester. »Dann kann er ungestört wirken.« Und nun lag ich in einem römischen Krankenhaus und hatte Gelegenheit, an meiner Selbstsicherheit zu zweifeln.

Ich weiß noch genau, wann ich aufgehört habe, an den Teufel zu glauben. Als ich zwölf war, besuchte ich mit meinen Eltern die Wartburg in Eisenach und wollte unbedingt den Fleck in Luthers Stube sehen. Der sei, hatten mir meine Eltern glaubhaft erklärt, von dem Tintenfass, das der Reformator dem Teufel hinterhergeworfen habe, als dieser ihn beim Bibelstudium belästigte. Die Führerin aber bereitete meinen kindlichen Illusionen über den Kampf des Guten gegen das Böse ein jähes Ende, als sie in breitem Thüringer Dialekt verkündete, der Fleck stamme erstens von einem Ofen und sei zweitens schon lange nicht mehr da.

Während ich in Kindheitserinnerungen schwelgte, wurde mir wieder übel. Schließlich kam eine Schwester, rammte wortlos eine Tropfnadel in meinen Arm und drückte mir eine Spritze mit Vaselinöl in die Hand. Inzwischen hatte auch die junge Notärztin meine Existenz bemerkt und mich informiert, dass der Internist seinen Dienst pünktlich beginnen werde, aber erst in zwölf Stunden. Solange solle ich hier warten, in meinem jetzigen Zustand könne man mich auf keinen Fall gehen lassen. Was soll’s, dachte ich und stopfte mir zwei Kaugummis zusammen mit Gazeverband in die Ohren, um das Geheul der anderen Seelen zu dämpfen, die noch ärmer dran waren als ich. Das Knurren und Stöhnen, das ich wenige Stunden zuvor bei dem Exorzismus erlebt hatte, reichte mir fürs Erste.

Früher konnte ich die Geschichten von Leuten kaum glauben, die an einer Fischgräte oder einem Stück Fleisch ersticken. Irgendwie ein lächerlicher Tod. Du isst und trinkst und plauderst nichtsahnend, bis du plötzlich merkst, dass es nicht weiter geht. Erst kannst du nicht mehr schlucken, dann röchelst du wie der Auspuff eines alten Toyota, in den jemand eine Kartoffel gestopft hat. Wenn du Glück hast, steckt der Korken unterhalb des Lungeneingangs und verschließt nur die Speiseröhre. Dann isst du nichts mehr, trinkst nichts mehr und wartest. Das Problem ist, dass sich in der Speiseröhre der Speichel sammelt, bis er dir in den Rachen steigt und du dich wieder übergeben musst. Alle fünf Minuten ging das so.

Das Problem hatte beim Mittagessen mit dem reizenden Professor der päpstlichen Universität begonnen, den ich zum Thema Exorzismus ausfragen wollte. Die Flasche Chianti war noch halbvoll, und wir unterhielten uns gerade angeregt über die Frage, ob der Leibhaftige tatsächlich existiere oder nur eine Metapher sei, als mir ein Stück des köstlichen, wenn auch überraschend blutigen Filet Mignons im Rachen stecken blieb. »Alles in Ordnung?«, fragte der Professore besorgt. Um ihn nicht in seiner Lieblings-Trattoria zu düpieren, nickte ich, sprang auf und rannte an der betretenen Wirtin vorbei zur Toilette.

Ich tat das drei Mal, bis wir beide mit hochroten Köpfen beschlossen, das Mittagessen zu beenden. Ich zahlte. Auf dem Rückweg zur Universität schaute er diskret weg, wenn ich mich wegdrehte, um an die Mauer irgendeines Palazzo zu speien. Wir verabschiedeten uns höflich, und ich machte mich wohl oder übel auf zu meinem nächsten Termin: mit dem bekanntesten Exorzisten der Welt.

Pater Gabriele Amorth empfing mich zwanglos in Sporthose und Pulli. Er ist jetzt neunzig Jahre alt, aber das kahle Haupt, der faltige Hals und sein verwitterter Blick lassen ihn noch älter wirken. Don Gabriele, wie sie ihn hier ehrfürchtig nennen, ist in Italien so etwas wie ein Popstar, weil er sich auch vor Fernsehauftritten nicht scheut, um gegen den Teufel und dessen Versuchungen zu wettern. Hellseherei, Kartenlegen, Okkultismus - sie alle seien Einfallstore des Bösen. Selbst Yoga-Übungen seien eine satanische Angelegenheit, warnte der Exorzist 2011 die Besucher eines italienischen Filmfestivals: »Sie führen ebenso zum Bösen wie die Lektüre von Harry-Potter-Romanen.«

1990 gründete Amorth die internationale Vereinigung der Exorzisten, deren Ehrenpräsident er heute ist. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, zuletzt erschienen auf Deutsch seine Memoiren »Mein Kampf gegen Satan«. Den Posten als offizieller Exorzist der Diözese Rom bekam er 1986 vom Bischof von Rom, Papst Johannes Paul II. Der Beruf findet sich schon im Neuen Testament. Dort ruft Jesus seine zwölf Jünger zusammen und gibt ihnen den Auftrag, die »unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen«.

Die Anforderungen sind hoch. »Der Exorzist«, heißt es in Regel 15 des Rituale Romanum, das den offiziellen liturgischen Ritus der Kirche vorschreibt, »soll die Possen, das Gelächter und die Albernheiten des Teufels zurückweisen und verachten und die Umstehenden ermahnen, sich nicht darum zu kümmern und dem Besessenen keine Fragen zu stellen, sondern demütig und eifrig für ihn zu Gott zu beten.«

Heute gibt es in Italien rund 300 Exorzisten, in Polen sogar 400. Zur modernen katholischen Kirche allerdings will der Glaube an den Leibhaftigen nicht mehr passen, sehr zum Leidwesen des Don Gabriele: »Die meisten Priester glauben leider nicht mehr an seine Existenz, und es gibt zu wenige Exorzisten. Im Vatikan keinen einzigen!«

Deswegen macht der alte Pater auch im fortgeschrittenen Rentenalter noch immer keine Anstalten, das Handwerk des Teufelsaustreibers niederzulegen. Als ich zu unserem Treffen im Heim der katholischen San Paolo-Bruderschaft erschien, hatte Don Gabriele bereits eine Frühschicht hinter sich. Eine Familie vom Land, die Ehefrau vom Teufel besessen.

Der Exorzist kam mir auf dem Flur mit seinem Rollator entgegen. »Ein sehr starker Exorzismus«, raunte er mit großen Augen, »die Frau hat gebrüllt und um sich geschlagen.« Don Gabrieles lautstarke Klientel hat hier schon öfter Anstoß erregt bei seinen Mitbrüdern. Die gesetzten Herren wollen ihren Lebensabend in Frieden mit Gott begehen – und das ist nicht leicht, wenn jeden Tag Schreie durchs Haus gellen. »Kein Problem«, sagte der alte Pater ungerührt, während er seinen Rollator energisch voranschob. »Wenn es nötig ist, habe ich zwei Helfer, um die Leute still zu halten.«

Die Werkstatt des Exorzisten war unscheinbar: ein kahler Raum mit alten Holzmöbeln und einem abgewetzten Lehnsessel in der Mitte. In einer Ecke trug ein Gipsjosef das Jesuskind auf dem Arm, auf dem Tisch stand eine Plastikflasche mit Weihwasser, an der Wand hingen ein Kruzifix und ein Bild von Papst Franziskus.

Der neue Pontifex redet oft vom Teufel. Satan existiere, schrieb Franziskus 2010 in seinem Buch »Über Himmel und Erde«, als er noch Kardinal Bergoglio war: »Sein größter Erfolg in unserer Zeit besteht darin, dass er uns glauben lässt, es gebe ihn nicht.« Überall lauern die Versuchungen des Teufels, meint Franziskus, gegen die nur der Glaube an Jesus und an Gott helfe. Das Alte Testament kennt böse Geister, die den Menschen zu Raserei, Streit, Ohnmacht und Lüge treiben. »Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen«, berichtet Jesus im Lukas-Evangelium. Die ganze Welt, schreibt der Evangelist Johannes, stehe unter der Macht des Bösen.

Der Exorzist stellte seinen Rollator am Fenster ab, griff zu einer zerfledderten Aktentasche und zog nacheinander einen silbernen Weihrauchsprenger, eine violette Stola und sechs laminierte Spickzettel heraus, auf denen die lateinischen Formeln für den Großen Exorzismus aufgedruckt waren. Es war der Text des alten Rituale Romanum von 1614, das 1999 durch eine vom Vatikan gebilligte neue Fassung abgelöst wurde - ein Zugeständnis an die Gegenwart, von dem Pater Gabriele überhaupt nichts hielt. »Das ist, als ob sie den Teufel mit einer ungeladenen Waffe bekämpfen wollen«, sagte der Pater und seufzte. Worte sind wichtig im Kampf gegen den Teufel. Schon der Kirchenvater Johannes Chrysostomus erklärte im vierten Jahrhundert: »Die Exorzisten aber sorgen mit ihren furchtbaren Worten dafür, dass nicht irgendwo noch eine Natter, ein Skorpion lauert.«

Also hatte sich Don Gabriele vom Kardinalpräfekten eine Sondergenehmigung geholt und durfte weiter nach dem alten Ritus exorzieren. Überhaupt, die Moderne, Coca-Cola, Hollywood - alles Teufelszeug, lästerte der Exorzist. Kein Wunder, dass die Leute vom Satan verhext würden und immer mehr zu ihm kämen. »Wie viele Exorzismen waren das nochmal, die Sie durchgeführt haben?« fragte ich. »Mehr als 70 000. Gleich kommt der nächste. Es wird ein leichter sein. Sie dürfen zuschauen, wenn Sie mitbeten.«

Auch in Deutschland findet im Durchschnitt jeden Tag ein Exorzismus statt, sagt der Buchautor Marcus Wegner, der mehr als hundert Teufelsaustreibungen selbst beigewohnt haben will: »Das ist ein Boom - und es wird immer schlimmer.« Die meisten Exorzismen würden ohne offizielle Genehmigung der katholischen Kirche durchgeführt, aber auch in evangelikalen Freikirchen und von privaten Heilern. Sogar mancher Atheist wolle beim Teufel auf Nummer Sicher gehen.

Auch in Deutschland wirken offizielle Teufelsaustreiber im Auftrag katholischer Bischöfe. Wenige Tage vor meinem Besuch in Rom hatte mir der Exorzist einer der größten Diözesen Deutschlands von seiner Arbeit berichtet und ominös geraunt: »Ich sage Ihnen nur so viel: Es kommen Dinge vor, die man nicht erwartet.« Manche seiner Klienten würden während der Prozedur schreien, schlagen, wüten. Den großen Exorzismus führt er deshalb nur in einem geweihten Sakralraum durch, wenn nötig mit Helfern.

Beobachter wollte er bei seinem Tun jedoch nicht dabei haben. »Sonst rennen mir die Leute die Türen ein.« Im Gegensatz zu ihren italienischen Kollegen praktizieren die deutschen Exorzisten lieber heimlich. Die Deutsche Bischofskonferenz weiß nicht, wie viele Exorzismen in deutschen Bistümern durchgeführt werden, sagt ihr Sprecher.

Was sind das für Leute, die in Deutschland zum Teufelsaustreiber gehen? Viele seien labile Menschen vom Rand der Gesellschaft, erklärte mir der deutsche Exorzist. Arbeitslose, Migranten, einsame Frauen. Sie glaubten sich von Teufeln und Dämonen besessen, sähen Fratzen und hörten Stimmen. Sie könnten nicht mehr beten, ertrügen den Anblick eines Kruzifixes nicht oder fluchten zwanghaft beim Betreten von Kirchen. Manche berichten, dass nachts, wenn sie schlafen, die Möbel im Haus wie von Geisterhand bewegt würden oder die Fenster aufgingen. Die Betroffenen kommen meistens aus tief religiösem Milieu und suchen deshalb am ehesten einen Exorzisten auf, wenn sie mit ihrem Leben nicht mehr zurechtkommen.

Dann warnte der deutsche Exorzist vor der Gefahr, die heute von Esoterik und schamanischen Bewegungen aus Asien ausgingen: »Wenn der Mensch Gott aus seinem Leben entlässt, kommen die Götter.« Wer zu Hellseherinnen und Magiern gehe, bringe seine Seele in Gefahr. Manchmal spreche er ein Befreiungsgebet übers Telefon. Warum nicht? Schließlich habe schon Papst Pius XII. versucht, Hitler über das Telefon zu exorzieren.

Nachdem die an Epilepsie leidende Studentin Anneliese Michel 1976 nach zahlreichen Exorzismen in Folge von Unterernährung gestorben war, verschärften die deutschen Bischöfe die Anforderungen für Exorzismen und schrieben das Hinzuziehen eines Arztes vor. Die meisten Gläubigen, die sich besessen wähnen, werden von katholischen Priestern heute gleich zu Psychologen geschickt. Im Vatikan setzte sich die Deutsche Bischofskonferenz sogar für eine Abschaffung des Exorzismus ein - erfolglos.

Ein Anruf bei Axel Seegers. Der Weltanschauungsbeauftragte der Diözese München sagt, dass in der Diözese München-Freising offiziell keine Exorzismen durchgeführt würden: »Wir bieten stattdessen Beratung und Therapie, Gebet und Begleitung an und spenden die Sakramente.« Das neue Rituale Romanum sei nicht auf Deutsch erschienen, weil der Exorzismus hierzulande ein Politikum sei. Die heimliche Durchführung des Großen Exorzismus durch örtliche Priester findet Seegers unverantwortlich: »Wir versündigen uns an diesen Menschen. Die Leute werden in einem einseitigen Glauben bestärkt, vom Teufel besessen zu sein, statt dass man ihnen pastorale und psychologisch qualifizierte Hilfe anbietet.«

Der Pater Jörg Müller vom Pallotiner-Orden pflichtet ihm bei: Die Befreiungsgebete erwiesen sich oft als nur kurzfristig erfolgreich, der Exorzismus habe bloß einen Placebo-Effekt. »Die Zahl der echten dämonisch bedingten Störungen ist gering«, meint der studierte Psychologe und Priester. Meistens handele es sich um schizophrene oder paranoide Psychosen, Dissoziationen oder Borderline-Persönlichkeitsstörungen.

Viele Gläubige scheuen die kirchenrechtlichen Hürden - und finden immer wieder Priester, die sich der vermeintlich Besessenen annehmen und sogar am Telefon spontan Exorzismen durchführen. Diese Art des Befreiungsdienstes kann wie eine Droge wirken, weil sie den Betroffenen schnelle Hilfe verspricht, aber keine eigene Leistung abfordert.

Auch in Italien wird der Exorzismus nicht überall gern gesehen. Der Professor der Gregoriana schickte mir später ein Foto, das er an der Pilgerstätte »Santuario Divino Amore« vor Rom aufgenommen hatte. Darauf war ein Schild zu sehen mit der Aufschrift: »Hier werden keine Exorzismen durchgeführt. Wer sich als Exorzist ausgibt, wird der Direktion angezeigt«.

»Fatal«, sagte Don Gabriele – und lieferte auch eine politische Begründung für die Notwendigkeit seines Tuns: Sehr viele Politiker seien von Dämonen besessen und ließen sich mit dem Teufel ein – Minister, Staatschefs, auch Anwälte und Richter.
»Glauben Sie, Andreotti war vom Teufel besessen?«, fragte ich ihn.
»Nein, der war ein ganzer frommer Mann.«
»Würden Sie Berlusconi exorzieren?«
»Natürlich!«

Wenige Minuten später betrat ein beleibter Herr mit seiner Ehefrau den Raum und begrüßte den Exorzisten herzlich. Er war ein alter Bekannter, ein Stammkunde bei Don Gabriele.
Die Frau knallte eine Batterie Salzschachteln auf den Tisch, die Don Gabriele mit routinierter Geste segnete. Ganz klar, sie hatte das Sagen in dieser Ehe. Nachdem sie ihr Salz weggepackt hatte, setzte sie sich neben ihren Mann. Dann begann der Exorzismus.
»Deus, et pater Domini nostri Jesu Christi, invoco nomen sanctum tuum, et clementiam tuam supplex exposco«, murmelte Don Gabriele.

Der Besessene hatte die Augen geschlossen und den Kopf zurückgelegt. Falls der Dämon in ihm übermenschliche Kräfte besaß, zeigte er sie nicht - sondern gähnte. Ich fragte mich, ob sich der Teufel langweilte. Ach was, das sei typisch für viele Dämonen, erklärte Don Gabriele lässig. »Viele Besessene müssen gähnen, wenn sie in die Kirche gehen.« Dann legte er seine Stola um die Schultern des Mannes und fuhr fort. »Adjuro te, serpens antique, per judicem vivorum et mortuorum, per factorem tuum, per factorem mundi, per eum, qui habet potestatem mittendi te in gehennam …«

Inzwischen waren Schweißperlen auf die Stirn des Mannes getreten. Sein Kopf wand sich unter der Hand des Exorzisten, seine Augenlider öffneten sich, die Augen darunter waren weiß.
»Exorcizo te, immundissime spiritus, omnnis incursio adversarii, omne phantasma, onmis legio, in nomine Domini nostri Jesu.«

Ich merkte, dass mir übel wurde, und fragte mich, was schlimmer wäre: wenn ich während des Exorzismus einfach rausginge und mich in der Toilette auf der anderen Seite des Flurs übergäbe oder wenn ich das vor den Füßen des Exorzisten täte. Ich sprang auf und rannte raus.

Fünf Minuten später kehrte ich zurück. Pater Gabriele hatte sich durch meine Flucht nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen lassen und betete weiter den Großen Exorzismus. Der Mann unter seinen Händen hatte inzwischen zu knurren und zu stöhnen begonnen.
»Lasciame, lasciame!«
»Lass mich, lass mich in Ruhe!«
Don Gabriele hatte Recht: Es war ein sanfter Exorzismus. Kein »blöder Pfaffe«, kein »Hurensohn«, kein »Fick dich!«, keine der geläufigen Beschimpfungen.

Nach vierzig Minuten war die Sache erledigt, der Mann und seine Frau verabschiedeten sich zufrieden von ihrem Exorzisten. »Und achte gefälligst auf deine Diät!«, rief Don Gabriele dem Erlösten hinterher, während er seine Utensilien wieder in der Tasche verstaute.
Dann wandte er sich mit zufriedener Miene wieder mir zu: »Wie gesagt, ein leichter Exorzismus. Aber er braucht ihn regelmäßig.« Obwohl bei ihm gebetet werde, jeden Abend ein Rosenkranz, sei der Vater von fünf Kindern seit Jahren vom Teufel besessen. Ein einzelner Exorzismus genüge da nicht. Es klang wie eine Langzeittherapie.

Ich fragte mich, ob die Probleme des Mannes nicht vielleicht mit seiner Ehe zu tun hatten. Hatte die Gattin ihn vielleicht angeschleppt, weil er von einer anderen Frau besessen war? »Laster und Leidenschaft locken den Teufel zu dir«, sagte Don Gabriele mit weit aufgerissenen Augen, ohne meine Frage zu beantworten. »Der Sex ist das Grundübel der modernen Gesellschaft.« Wie hat sich die Besessenheit bei dem Mann eigentlich geäußert? »Er hat ständig Kopfschmerzen«, sagte Don Gabriele und nickte wissend. Ich verabschiedete mich schnell, weil mir wieder übel wurde. Ich brauchte jetzt keinen Exorzisten, sondern einen Doktor.

Als ich am nächsten Morgen nach der Operation aufwache, fühle ich mich befreit. Schwester Maria drückt mir den ärztlichen Bericht in die Hand. Dort steht, man habe einen »Bolus« aus meiner Speiseröhre entfernt. Am Ende trennte mich nur die Vorsilbe Dia vom Teufel, denke ich und beschließe, mich in Zukunft an den Rat zu halten, den mir Don Gabriele Amorth als Letztes mit auf den Weg gegeben hatte: »Wenn Sie Schluckauf haben, trinken Sie eine gute Flasche Grappa!«

Fotos: Michele Palazzi/Tania/Contrasto/A3/laif