Auf den Hund gekommen?

Gewalt auf den Gängen, mangelndes Bildungsniveau, ein Modell ohne Zukunft: Diese Vorurteile gegen Hauptschulen kennt jeder. Dabei sind die Schüler weit besser als ihr Ruf – sie hätten bloß ein gerechteres Schulsystem verdient.

Mamadou braucht einen Tritt in den Hintern, sagen seine Lehrer. Mamadou ist viel zu spät dran mit seiner Bewerbungsmappe. Sie verstehen nicht, warum er sich seit ein paar Wochen so hängen lässt; ein großer, sportlicher Junge, 16 Jahre alt, Vereinsfußballer, neugierig, engagiert, beliebt, sogar Klassen-, seit einem Jahr Schulsprecher und dennoch fängt er an, schlampig zu werden, ausgerechnet jetzt, wo es für ihn drauf ankommt.

Mamadou Diaoune geht auf die Hauptschule. Er stammt aus Guinea, ist erst vor knapp drei Jahren nach Deutschland gekommen und spricht schon gut Deutsch. Aber jetzt fehlen seinen Lehrern Zeit und Nerven, ihn ständig nach Bewerbungsfotos zu fragen. Ein Pate soll den Tritt in Mamadous Hintern übernehmen. An vielen Hauptschulen kümmern sich inzwischen ehrenamtliche Paten um einzelne Schüler: die jungen Fünftklässler, die Nachhilfe beim Lesen oder in Mathematik benötigen; die gerade aus dem Ausland zugezogenen Schüler, die schnell Deutsch lernen müssen; die Neuntklässler bei der schwierigen Suche nach einer Lehrstelle. Viele Lehrer wissen nicht mehr, wie sie ihren Schülern gerecht werden sollen. Darum holen sie sich Unterstützung von außen – unbürokratisch, ohne Erlass des Kultusministeriums.

An Mamadous Münchner Schule gibt es seit drei Jahren Patenschaften. »Geld zu geben ist oft einfacher als Zeit«, sagt Monika Schulte-Rentrop, die Lehrerin, die an der Winthir-Schule im Münchner Westen die Patenschaften betreut; sie scheint selbst ein wenig erstaunt, dass ihre Idee überhaupt funktioniert. Bedürftige Schüler werden so auch besser kulturell integriert: »Viele lernen erst durch eine Patin, dass Frauen im Beruf Erfolg haben können.«

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Mittlerweile 15 Paten versuchen bei 350 Schülern an der Winthir-Schule zu helfen. Hausfrauen, Rentner, aber auch Rechtsanwälte oder ein Manager, der seinen einzigen freien Tag in der Woche seinem Patenkind widmet. Sogar Journalisten auf Recherche sind willkommen: Ich soll Mamadous Pate werden. Ihn alle paar Wochen treffen, ihn ermahnen, ihm helfen bei der Suche nach einer Lehrstelle.

Mamadou ist kein schwieriger Fall, da sind sich seine Lehrer einig, es gibt viel bedürftigere Kinder an der Winthir-Schule. Mamadou ist etwas älter als mein Sohn und mir auf Anhieb sympathisch. Wieso sollte jemand wie Mamadou im reichen München mit der geringen Arbeitslosigkeit keine Lehrstelle finden? Was hat eigentlich ein afrikanischer Junge, der fließend Deutsch und Französisch spricht, auf einer Schule zu suchen, die im Volksmund schon lange nur noch Restschule heißt?

(Lesen Sie auf der nächsten Seite - unterhalb der Bilderstrecke): Gewalt und Kriminalität gebe es nicht über Maßen, behauptet der Schulleiter. Einmal wurde ein Handyfilm auf Youtube gefunden, in dem ein Schüler der Winthir-Schule auf der Toilette beim Pinkeln zu sehen war.)

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Gewalt und Kriminalität gebe es nicht über Maßen, behauptet der Schulleiter.)

So sieht eine Restschule in München also aus: Die Winthir-Hauptschule liegt im Stadtteil Neuhausen. Mit den Sozialwohnungen in der Mettenstraße und einem Waisenhaus gilt der Schulsprengel als einer der schwierigeren: Der Schulleiter Thomas Häns weiß von vierköpfigen Familien, die in eineinhalb Zimmern leben müssen. Grundschule und Hauptschule teilen sich das renovierungsbedürftige Gebäude aus der Gründerzeit, die Pausenhöfe sind getrennt – »Zu viel Ärger zwischen den Kleinen und Großen«, sagt Mamadou.

Auf den Gängen ersetzen Spanplatten einige Türgläser. Der Schulleiter wäre vor allem über mehr Licht froh: »Dunkle Flure schlagen doch gleich aufs Gemüt.« Auf den ersten Blick sieht die Winthir-Schule genauso aus, wie man sich eine Hauptschule vorstellt, wenn man noch keine von innen gesehen hat.

Der Anteil von Hartz-IV- oder Arbeitslosengeld-II-Beziehern unter den Eltern liegt wohl bei 20 Prozent, das schließt der Schulleiter
aus den Anträgen zur Befreiung vom Büchergeld. Der Anteil von Ausländerkindern beträgt 80 Prozent, auch das ist keine ungewöhnliche Zahl für eine Hauptschule in einer deutschen Großstadt.

Gewalt und Kriminalität gebe es nicht über Maßen, behauptet der Schulleiter. Einmal wurde ein Handyfilm auf Youtube gefunden, in dem ein Schüler der Winthir-Schule auf der Toilette beim Pinkeln zu sehen war. Gelegentliche Diebstähle von Handys oder Fahrrädern versucht der Schulleiter möglichst ohne Jugendbeamte von der Polizei zu regeln. »Die wenigsten Schüler sind wirklich unbeschulbar. Einem auffälligen Jungen haben wir gerade ein Zimmer in einer betreuten Wohngemeinschaft besorgt, seitdem ist alles wieder im Lot.«

Die Winthir-Schule hat eine Sozialpädagogin für Schulsozialarbeit im Haus, Deborah Helmbold, auch sie beruhigt eher: »Kinder in der Pubertät sind immer schwierig, auffällige Schüler wollen Aufmerksamkeit erregen. Und wer prügelt, wird oft selbst geschlagen. Aber Gewalt in der Familie erleben ja nicht nur Hauptschulkinder.« Einige Projekte zur Gewaltprävention kann sie seit Kurzem nicht mehr durchführen, aus Geld- und Personalmangel.

Mamadou führt mich durch das Schulhaus. Bei Keilereien gehört es zur Aufgabe eines Schulsprechers, schnell dazwischen zu gehen. Mamadou ist aufmerksam im Pausenhof, er nimmt seinen Job ernst. Früher wandten sich auch einmal kleinere Schüler an ihn, denen ältere das Taschengeld abnehmen wollten – »Das ist schon länger kein Problem mehr«, sagt Mamadou. Auch sein Freund Tunahan beruhigt: »Alles halb so wild an der Hauptschule. Meine letzte Rauferei hatte ich in der 7. Klasse.«

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Mamadou und Tunahan besuchen die Klasse 9c: 16 Schüler, neun Mädchen, sieben Jungen, mit Eltern aus 13 verschiedenen Ländern: Aserbaidschan, Rumänien, Polen, Bosnien, Afghanistan, Vietnam, Italien, Syrien, Russland, Türkei, Kurdistan und eben Mamadous Heimat Guinea. Ein einziges Mädchen aus der Klasse hat zwei deutsche Elternteile. Das Mobiliar ist älter als die 15- bis 18-jährigen Schüler. Restmöbel für die Restschule.

Im Regal stehen ein paar Bücher: Harry Potter und Isabel Allende. Neben dem Fenster klebt ein Schild mit der Aufschrift window, neben einem Smiley-Zeichen sieht man die Wörter I agree, hinter der Tafel ein paar kompliziertere mathematische Formeln. Die Schulbänke stehen in U-Form vor dem Lehrerpult, auf der einen Seite die Mädchen, auf der anderen die Jungs. »Neben einem Mädchen kann ich mich nicht gut konzentrieren«, erklärt Mamadou die Sitzordnung, die sich die Schüler selbst so gewünscht haben.

Vor dem Lehrerpult liegt ein Hund. Er gehört Patricia Obermeier, der Klassleiterin. Den Hund mitzubringen hat ihr der Schulleiter erlaubt, und kein Schüler der 9c stört sich an der leisen Mia. Wenn die Schüler der zierlichen Klassleiterin zu laut werden, klingelt sie mit zwei kleinen tibetanischen Schellen. Wenn das nicht reicht, ermahnt Tunahan aus der ersten Bank seine Mitschüler. Das funktioniert immer.

Mamadous kräftiger Freund Tunahan ist so etwas wie der ungewählte Boss in der Klassenhackordnung. Mädchen haken sich gern bei ihm unter. Der Umgang untereinander ist herzlich. Jeder weiß von jedem, was er werden will oder ob er schon einen Vorstellungstermin hatte. Alle erzählen offen von ihren Problemen. Sie wirken dankbar für Interesse an ihrer Situation. Es sind hübsche Mädchen, aufgeweckt, neugierig, genau wie die Jungs.

Dabei ist Klasse 9c in gewisser Weise sogar der Rest vom Rest: Die meisten Schüler wiederholen die neunte Jahrgangsstufe, im ersten Anlauf haben sie einen qualifizierenden Hauptschulabschluss verpasst. Jeder in der Klasse 9c weiß um den Ernst der Lage; Schuleschwänzen oder vergessene Hausaufgaben kommen deutlich seltener als sonst vor. Doch auch ein zweiter Anlauf garantiert ihnen keinen Notenschnitt unter 3,0. Ende Februar haben aus der Klasse 9c gerade mal Anka, Daniela und Schabnam Aussicht auf eine Lehrstelle. Mamadou nicht.

Zeit für einen ersten Tadel durch seinen neuen Paten: »Mamadou, Frau Obermeier sagt, du hättest immer noch keine Fotos für deine Bewerbungsmappe gemacht.« – »Ich hatte kein Geld. Aber ich bekomme Ende des Monats meinen Lohn vom Zeitungsaustragen, dann mach ich die Fotos. Kein Problem.« – »Warum hast du nicht deinen Vater gefragt?« – »Ich bin bei meinem Opa aufgewachsen, der hat mir beigebracht, mich selbst um solche Dinge zu kümmern. Aber ich mach das schon, kein Problem.«

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: »Ihr Deutschen mit eurer Bürokratie«, schimpft Mamadou, dem es an sich sehr gut in München gefällt.)

Mamadous Muttersprache ist der westafrikanische Dialekt Pular. In Guineas Hauptstadt Conakry lebte er bei seinen Großeltern und ging auf eine französische Schule, bis seine Eltern ihn nach Deutschland holen konnten. Ohne Deutschkenntnisse landete er gleich in einer sogenannten Übergangsklasse, die gibt es nur auf der Hauptschule. Sein Deutsch ist nach zweieinhalb Jahren schon gut, sein Englisch noch nicht. Mamadou würde gern eine weiterführende Schule besuchen. Seine Klassleiterin ist skeptisch, ob er den für die Realschule nötigen Notenschnitt von 2,0 erreichen wird. Wegen seiner Englisch-Note.

»Ihr Deutschen mit eurer Bürokratie«, schimpft Mamadou, dem es an sich sehr gut in München gefällt. Mit Französisch als Unterrichtssprache wäre Mamadou kein Hauptschüler. Französische Schulen sind ohnehin bis einschließlich der neunten Klasse Gesamtschulen. Mamadous Vater hat sich das verkehrte Land ausgesucht.

In ganz Europa trennen in Kürze nur noch Österreich, Baden-Württemberg und Bayern Hauptschüler nach der vierten Klasse von Realschülern und Gymnasiasten. Dabei hat die frühe Trennung laut Pisastudie überhaupt keinen Sinn, denn schlechte Schüler profitieren vor allem durch gute, ohne dass diese schlechter werden. Bundesländer wie Hamburg haben die Abschaffung der Hauptschule bereits fest beschlossen.

In München gibt es eine französische Privatschule, ihr Besuch kostet 350 Euro monatlich, zu viel Geld für Mamadous Vater, einen Koch und Vater von vier Kindern. Er versteht nicht, warum sein Sohn nicht einfach weiter eine öffentliche Schule besuchen kann: »Er will doch lernen!« Das strenge bayerische Schulsystem lässt nur herausragenden Schülern der 9c Schlupflöcher: Daniela, Robert, Edis oder Son. Son kam auch erst vor zwei Jahren nach Deutschland, aus Vietnam, mit seiner Mutter, die als Putzfrau arbeitet. Son wird den nötigen Notenschnitt für die Realschule schaffen.

Mamadou droht durch sämtliche Raster zu fallen. Wie Museyib, der Sohn einer studierten Mathematikerin aus Aserbaidschan; die Mutter spricht wenig Deutsch und konnte ihrem Sohn oft nicht einmal bei seinen Mathe-Hausaufgaben helfen.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Männermangel herrscht auch an der Schule. Kein Mann will mehr an einer Hauptschule unterrichten.)

Deborah Helmbold, die Sozialpädagogin, führt eine Liste. Auf ihr sind Neuntklässler ohne Lehrstelle blau unterstrichen. Alle Blauen holt sie sich nach und nach und immer wieder zum Einzelgespräch, überlegt mit ihnen restliche Möglichkeiten, auch in Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur im sogenannten Jade-Projekt. Seit zehn Jahren arbeitet sie an der Schule und beobachtet, wie immer weniger Schüler selbstständig und ohne fremde Hilfe eine Lehrstelle finden. »Außerdem leiden die Schüler unter ihrem Restschul-Image, haben Minderwertigkeitskomplexe und sind
verunsichert, sobald sie mit der Welt draußen in Kontakt treten sollen.« Auch bei einem so selbstbewusst scheinenden Schüler wie Mamadou könne das durchaus der Fall sein.

Mamadou und Tunahan kennt die Sozialpädagogin schon länger. Dienstags kochen beide unter ihrer Aufsicht in den Räumen der Schulsozialarbeit – für alle Schüler, die Lust und 1,50 Euro haben: »Tunahan würzt besser, Mamadou ist der bessere Küchenmanager.« Die beiden kommen gern auch ohne Nachmittagsunterricht zu ihrer »Debo« zum Essen, obwohl beide eine Familie mit Vater und Mutter zu Hause haben. Vielen anderen Kindern sei ein Vatermangel anzumerken – »Aber Männermangel herrscht ja auch an der Schule. Kein Mann will mehr an einer Hauptschule unterrichten.«

Mamadou hat der Sozialpädagogin im Scherz erzählt, er wolle jetzt Heiratsvermittler werden. »Da kann ich dann die beste Frau vielleicht ja überreden, mich zu nehmen.« Die Sozialpädagogin empfiehlt ihm, lieber auf die Internationale Realschule zu gehen. Eine öffentliche Schule, ohne Schulgeld. Sie will sich nach den Aufnahmebedingungen erkundigen.
Anfang April hat etwa die Hälfte der Klasse 9c erste Bewerbungsgespräche hinter oder vor sich. Martina ist so aufgeregt wegen ihres Termins, dass sie seit drei Nächten nicht mehr schlafen kann.

Regelmäßig lässt die Klassleiterin Vorstellungsgespräche üben – »seid ihr selbst, seid authentisch«, rät Obermeier. Tunahan hat noch keinen einzigen Termin, obwohl er bereits 17 Bewerbungen verschickt hat, als Industriemechaniker, als Fachlagerist, als Zahntechniker, als Elektriker.

Hauptsache eine Ausbildung, als was genau, ist sekundär. »Von expressionistischer Malerei kann er stundenlang reden«, hat seine Klassleiterin über seine tatsächlichen Neigungen erzählt, die wurden bei einem Schulausflug ins Lenbachhaus geweckt. Mamadou hat lediglich drei Bewerbungsmappen verschickt. Er bewirbt sich nur als Mechatroniker, so nennt man heute Automechaniker. Ich, sein Pate, habe ihm die Adresse eines Bekannten bei BMW genannt, er solle sich auf mich berufen.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Das Handwerk wird in der Gesellschaft nicht mehr geschätzt, auch nicht die Begabung dafür, deswegen will niemand mehr auf die Hauptschule.)

Diese Mappe kam als Erste zurück: Die Lehrstellen für Herbst 2008 hat BMW im September 2007 besetzt. Mechatroniker ist der Traumjob vieler Jungs, Erzieherin der der Mädchen. Die Lehrstellen für beide Berufe bekommen meist Realschüler. Für Hauptschüler bleibt wirklich oft nur der Rest: eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Mamadou will nicht Verkäufer werden. »Ich möchte ein Handwerk lernen. Mein ganzes Leben arbeite ich schon gern mit den Händen.«

»Das Handwerk wird in der Gesellschaft nicht mehr geschätzt, auch nicht die Begabung dafür, deswegen will niemand mehr auf die Hauptschule«, sagt der Schulleiter. Er hat selbst einen Sohn auf einer Hauptschule, »der braucht einfach etwas länger in seiner Entwicklung, aber wird seinen Weg schon gehen«. Dieses Vertrauen in ihre Kinder fehle vielen Eltern: »Bei der Wahl des geeigneten Schultypus steht das Wohl des Kindes oft nicht mehr im Vordergrund. Viele Eltern fürchten das Stigma vom dummen, gewalttätigen Restschüler.«

Monika Schulte-Rentrop, die Lehrerin mit der Idee zu den Patenschaften, sieht die Zukunft der Hauptschule skeptisch: »Alles was zwei Beine hat, rennt aus Angst vor der Restschule weg. Solange bei uns nur die sozial Schwächeren zurückbleiben, kann sich die Situation kaum verbessern.«

Patricia Obermeier, die Klassleiterin der 9c, fühlt sich nicht wie eine Restlehrerin. Sie ist 34 Jahre alt und gern Hauptschullehrerin – trotz gestiegenen Arbeitspensums, trotz eines Berufsbildes, das sich dem eines Sozialarbeiters annähere. Sie wünscht sich das dreigliedrige Schulsystem frühestens ab der sechsten Klasse, möglichst erst nach der neunten. Eine praxisorientierte Schulbildung hält sie aber für grundsätzlich richtig, auch um handwerklich begabte Kinder zu fördern. »Außerdem unterrichten Hauptschullehrer ihre Klasse bis zu 20 Stunden die Woche, da entwickeln sich viel engere Beziehungen als am Gymnasium.«

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Eigentlich brauchte Mamadou gar keinen Tritt in den Hintern. Er braucht nur ein bisschen Glück.)

Zum Beleg, dass auch Hauptschüler ihre Schulzeit in guter Erinnerung behalten können, hat sie ein Fotoalbum mitgebracht, ihre letzte Klasse hat es ihr zum Schulabschluss geschenkt: »Wir werden Sie stets im Herzen tragen«, heißt es da und: »Sie haben uns gelehrt, dass die Kultur eines Menschen nicht die Persönlichkeit ausmacht.« Daneben unter dem Foto einer Dreiergruppe: »Türkei, Deutschland & Italien«.

Anfang Juni haben an der Winthir-Schule die Quali-Prüfungen begonnen. Zuerst in Kunst und Ethik. »Keiner hat mit einer schlechteren Note als zwei abgeschlossen«, sagt die Klassleiterin der 9c. »Ich bin stolz auf euch.«

Von ihren 16 Schülern haben bisher neun eine Lehrstelle gefunden, das liegt weit über dem Bundesdurchschnitt. Tunahan wird eine Ausbildung als Fachkraft für Lagerlogistik beginnen, falls seine Noten nicht doch für die Wirtschaftsschule ausreichen – so wie bei Son, Robert und Edis. Drei von 16 Jugendlichen sind noch nicht versorgt. Mamadou gehört nicht zu ihnen.

Mamadous Hausarzt hat ihm eine Lehre als Medizinischer Fachangestellter angeboten. Mamadou wird sie annehmen, falls er nicht den nötigen Notenschnitt für die Internationale Realschule schafft.

Eigentlich brauchte Mamadou gar keinen Tritt in den Hintern. Er braucht nur ein bisschen Glück. Oder ein anderes Schulsystem.