Unter Fledermäusen

Wenn die Sonne hinter dem Garten verschwindet.

Obwohl es dem eingefleischten Berliner, dem seine Stadt im Sommer mit Recht noch am besten gefällt, schwer gegen den Strich geht, tue ich auch hier, was man in Österreich seit Generationen tut: Ich begebe mich sommers aufs Land. Gar nicht so leicht, denn Berlin ist zwar umgeben von Seen, Seenplatten und Urstromtälern, aber erstens weiß man nie genau, wo sich die Neonazis gerade zusammenrotten, zweitens nicht, wo die Bundeswehr als Nächstes das Bombenabwerfen üben will.

Doch ich habe mein Plätzchen gefunden, mitten in einem Hexenwald, an einem stillen See, in dem abends die Enten und die Frösche quaken, und wenn die Sonne untergeht, leuchten die Stämme der Kiefern tatsächlich rosenrot wie Schneewittchens Wangen.

Es ist keine keimfreie Idylle. Mein Häuschen ist hässlich und trägt tapfer noch immer sein beleuchtbares Kneipenschild »Herforder Pils«. Hinten im Garten ruhen unzerstörbare Betonfundamente aus der Nazizeit. Und ein paar Schritte weiter, schon tief im Waldesdickicht, liegt eine ehemalige Stasi-Zentrale, die angeblich einer der beiden ehemaligen Stasi-Hausmeister übernommen hat (es gab in allen Funktionen zwei, haben mich die Einheimischen belehrt, denn sie mussten ja auch aufeinander aufpassen). Dem nunmehrigen Hausbesitzer gefällt es, sein altes Hausschild zu behalten, so wie ich mein »Herforder Pils« behalte. Auf seinem Schild steht: »Abstand halten. Schusswaffengebrauch. Der Militärkommandant«.

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Aber abends, wenn die Kinder im Bett und die Stechmücken mit literweise Autan vertrieben sind, wenn das Baumstammschneewittchenrosa langsam verblasst, während drüben bei den Schrebergärtnern die bunten Glühbirnenketten angehen, dann lege ich die Füße auf den Tisch, trinke Bier (kein Herforder!) aus der Flasche und sehe den Fledermäusen beim Jagen zu. Über dem See, am Rande der Kiefernwipfel, bleibt noch lange eine helle Himmelsfläche stehen, auf der man sie hin- und herrasen sieht wie horizontale Sternschnuppen. Sie sind so schnell wie Schwalben, nur flattern sie dabei hektisch. Was sie eigentlich erbeuten, bleibt unsichtbar, vermutlich bloß irgendwelche winzigen Insekten. Ein Knacken, ein Schlucken – und weitergerast. Was für ein Aufwand, das Überleben. Ihr hochnervöses Flattern bei absoluter Geräuschlosigkeit ist wie ein Sinnbild auf das eigene Leben. Man erkennt es nur, wenn man selbst ruhig geworden ist. Ich bin es im Sommer, im Brandenburger Hexenwald. Während des übrigen Jahres sieht dann vielleicht irgendwo draußen im All eine riesige
Fledermaus mir beim Flattern zu.

Die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse lebt seit sechs Jahren in Berlin. Ihr neues Buch »Lässliche Todsünden« erscheint am 24. August.