Wer das System der Ticketvergabe bei der Fußball-Weltmeisterschaft, pardon: der FIFA WM 2006 verfolgt hat, der weiß, wie leicht man es sich hätte machen können mit der Planung. Wie verführerisch wäre es beispielsweise gewesen, sich einfach Karten fürs Finale zu bestellen mit einem schlichten Fax ans Organisationskomitee, dem so naheliegenden Gedanken folgend, man hätte sich damit den Höhepunkt gesichert und die Brasilianer wären bestimmt auch dabei! Oder betrachten wir unser deutsches Team – wie einfach und doch so trügerisch wäre es gewesen, mal schnell zum Vorverkaufskiosk an der Münchner Allianz-Arena, pardon: dem FIFA WM-Stadion München zu gehen und sich für die drei deutschen Vorrundenspiele jeweils vier Karten der besten Kategorie zu kaufen!
Das wäre möglich gewesen, man wäre ins Stadion gegangen, gewiss, hätte auch Fußball geboten bekommen, und doch: Wären wir damit dem Geist gerecht geworden, der im Juni und Juli über unserem Land liegen möge? Soll es nicht ein Hauch von Olympia sein, der über uns schwebt? Soll nicht dabei sein mehr bedeuten als gewinnen, ist es nicht so, dass wir uns als ein Land präsentieren wollen, das die Völkerfreundschaft und den Spaß am Spiel weit höher schätzt als dumpfe, militaristische Schlachtfeldrituale? Wenn schon die Trainer unserer Mannschaft ein Zeichen setzen, indem sie den besten Torwart freiwillig aus dem Spiel nehmen, um unsere Freunde nicht zu demütigen, wie kleinlich wäre es da, in Begegnungen vermeintlicher »Favoriten« wie Brasilien, Niederlande, Argentinien zu drängen. Lautet unser Motto: »Titelaspiranten zu Gast bei uns«? Heißt es: »Wir zu Gast bei uns«? Oder heißt es nicht vielmehr: »Die Welt zu Gast bei Freunden«, ein Motto, dessen tiefer und philosophischer Ansatz sich mir erst jetzt erschließt, da ich wieder und wieder die Buchungsbestätigung für das Spiel betrachte, dem ich am 14. Juni um 18 Uhr in München beiwohnen werde: Tunesien gegen Saudi-Arabien.
Man kann es nicht verschweigen: Es gibt Menschen, die mich auslachen, so genannte Fußballfans. Sie fragen, ob ich nicht lie-ber eine WM im Pfahlsitzen oder Hallen-Jojo besuchen wolle, sie machen sich, man muss es leider sagen, lustig über die beiden Mannschaften und verweisen beispielsweise darauf, dass Tunesien bei der letzten WM ein einziges Tor geschossen hat und Saudi-Arabien überhaupt keines, dafür aber allein gegen Deutschland acht Stück kassiert hat. Und dass beide bei der WM 2002 kein Spiel gewonnen haben. Dem Gedanken, beim Fußball komme es darauf an, dass jemand gewinnt, und zwar am besten »wir«, hängen bedauerlicher-weise relativ viele Menschen an. Der FIFA kann man daher kaum dankbar genug für die Mühe sein, mit der sie gegen solch chauvinistische Ansätze ankämpft, beispielsweise durch ihr Ticketvergabesystem. Dieses folgt stets dem Gedanken, dass der Käufer zuerst für eine Begegnung Karten bestellt und dann erst erfährt, wer überhaupt spielt – ein faszinierendes Prinzip, das nicht überall im Wirtschaftsleben klaglos akzeptiert würde. Gleichzeitig jedoch überraschte die FIFA mit der Erklärung, niemanden gegen seinen Willen in ein Spiel zwingen zu wollen, und richtete eine Kartenumtauschbörse ein.
Über diesen Schritt und die Frage, wie viel Freiheit einer WM-Gastgeber-Nation gut tut, wird allerdings noch zu debattieren sein. Denn bedauerlicherweise wurden in dieser Börse vorwiegend Tickets für das Spiel Tunesien–Saudi-Arabien angeboten, aber auch für Begegnungen wie Ecuador–Costa Rica oder Südkorea–Togo. Darin zeigt sich, dass wir Deutsche die Hybris, mit der wir auf andere Fußballnationen herabsehen, trotz aller faktischen Annäherung leider noch längst nicht überwunden haben.
Wir wollen hoffen, dass am Ende nicht ausgerechnet die FIFA selbst abseits steht, wenn es darum geht, die Gleichwertigkeit aller Spiele zu betonen. Bislang ist beispielsweise vorgesehen, dass der FIFA-Präsident Sepp Blatter nur beim Eröffnungsspiel eine seiner berühmten Reden hält, alle anderen Begegnungen aber auf diesen Höhepunkt verzichten müssen. Noch ist es nicht zu spät, diese Kränkung aus der Welt zu schaffen.