Vor zwei Jahren geschah etwas äußerst Ungewöhnliches: Sepp Blatter entschuldigte sich.
Es war der Schlussakt einer Sache, die von den Medien »Friseurstreit« genannt wurde und ihren Ursprung in einer Rede Blatters vor der Oxford Union Society hatte. Dort war der damalige Fifa-Präsident ins Plaudern geraten über die zwei besten Spieler der Welt, Lionel Messi und Cristiano Ronaldo. Einer von beiden, hatte Blatter süffisant gesagt und damit zweifelsohne Ronaldo gemeint, gebe mehr Geld beim Friseur aus als der andere.
Ein Video der Aussage verbreitete sich rasch. Ronaldos Verein Real Madrid protestierte gegen die öffentliche Bevorzugung von Messi, und der portugiesische Fußballverband klagte, Blatter habe es gegenüber dem ganzen Land an Achtung fehlen lassen. Blatter twitterte reumütig: »Lieber @Cristiano. Ich entschuldige mich, sollte dich meine unbedachte Antwort bei einer privaten Veranstaltung am Freitag aufgeregt haben. Ich wollte dich niemals beleidigen.«
Unklar blieb nach dem »Friseurstreit«, wieso sich eigentlich Ronaldo angegriffen gefühlt hatte und nicht Messi, dessen Frisur auf Blatter ja wohl einen vergleichsweise ungepflegten Eindruck machte, was ein Trugschluss war, wenn man heute auf Youtube nachschaut, aber vielleicht geht Messi auch erst seit Blatters Vergleich häufiger zum Coiffeur. Auf Youtube jedenfalls gibt es zwar deutlich mehr »Cristiano Ronaldo Hairstyle Tutorials«, aber auch ausreichend »Lionel Messi Hairstyle Tutorials«, in denen zu große Männer und zu kleine Jungs vorführen, wie man so perfekt verstrubbelt aussehen kann wie Messi, der die Haare aktuell wie alle seine Mit- und Gegenspieler an den Seiten kurz und oben strähnig trägt. Dafür matschen und sprühen sich die Hairstyle-Tutoren mehr Hairstyling-Produkte auf den Kopf, als eine durchschnittliche Drogeriefiliale vorrätig hat. Wie Messi auszusehen mag einfacher sein, als wie Ronaldo auszusehen, aber so um die fünfeinhalb Minuten dauert es schon.
Völlig klar wurde durch den »Friseurstreit« hingegen, dass man die Macht der Haare im internationalen Fußballgeschäft nicht unterschätzen darf, sogar als mächtigster Mann im internationalen Fußballgeschäft nicht. Der Skandal war schließlich nicht, dass Blatter Ronaldo unterstellt hatte, oft zum Friseur zu gehen. Dass dem so ist, sieht man jedes Wochenende. Der Skandal war, dass Blatter darin etwas Lächerliches sah. Dass er einen seiner lukrativsten Werbeträger für etwas verspottet hatte, was zu dessen Berufsbeschreibung gehört. In Zeiten unendlicher Vermarktbarkeit und unzähliger Kameras bei jedem Training sind Friseure für Fußballer so wichtig wie der Physiotherapeut oder der Spielerberater.
Auch in Deutschland hat sich eine innige Allianz aus Fußballprofis, den in der Spitze bestbezahlten Angestellten, und Friseuren, der in der Breite unterbezahltesten Berufsgruppe, gebildet. Mesut Özil etwa lässt seit drei Jahren nur Mario und Ulvi vom Stuttgarter Salon »Two Cut« Hand an sich anlegen. Den Tipp hat er vom Nationalmannschaftskollegen Sami Khedira, der geburts- und berufsbedingt früher viel Zeit in Stuttgart verbrachte. Özil arbeitet in London, aber alle zwei Wochen jettet er in die Silberburgstraße 119, Ecke Schlossstraße. Oder er lässt Mario und/oder Ulvi zu sich kommen.
Als im Juli 2014 das WM-Finale gegen Argentinien anstand und Özil nach einem Monat Aufenthalt in Brasilien mit seiner Frisur (logisch: Seiten kurz, Tolle lang, außerdem, das war Ulvis Idee: ein paar Lichtreflexe) nicht mehr glücklich war und dem Friseur im DFB-Quartier offenbar nicht vertraute, fragte er Mario und Ulvi, ob sie nach Rio fliegen könnten, auf seine Kosten, versteht sich. Aber Mario und Ulvi wollten nicht, sie hatten Sorge, das Geschäft zu Hause würde unter ihrer Abwesenheit leiden. Als Özil und Khedira dann als ziemlich verkaterte und verzottelte Weltmeister zurückgekehrt waren, eilten sie direkt von der Berliner Fanmeile nach Mannheim, wo sie Mario und Ulvi in einem Hotel trafen. Dankbar, erleichtert und frisch geschoren veröffentlichte Özil auf Twitter ein gemeinsames Foto mit Ulvi und schrieb dazu »Best hairdresser« und die Hashtags #ulvi, #hairdresser, #Silberburgstraße und #Stuttgart, obwohl er ja in Mannheim war.
Ulvi selbst gibt sich online nicht weniger euphorisch. Auf Instagram etwa, wo er »ulvistyle« heißt, zeigte er sich unlängst mal wieder mit einem Nationalspieler in irgendeinem Hotel. Diesmal war es der Neuling Max Kruse, den wohl Özil vermittelt hatte. Ulvi versah das Foto unter anderem mit dem Hashtag #gibihmgermany, was wohl bedeuten sollte, dass er Kruse mit Schere und Rasierer für den Auftritt im DFB-Trikot fit gemacht hatte. Dass er seinen Anteil hat an Germany. Dass er zum Team gehört.
In den sozialen Netzwerken lässt sich das Wetteifern der Profis um den »best hairdresser« und der Kampf der Friseure um die prominentesten Kickerkunden täglich ver- folgen. Die bekanntesten Fußballfriseure sind traditionell »Lotfis« in Bremen (»Der Friseur, dem die Fußball-Profis vertrauen«), Shan Rahimkhan in Berlin (bester Kunde: Jogi Löw) und der etwas ergraute »Bash Club« in München (wo sich früher Matthäus eingelen und Schweini blondieren ließen).
In der neuen Fußballergeneration hat sich neben Mario und Ulvi vor allem der Düsseldorfer Dashi Krasnici einen Namen gemacht, er ist der Friseur der Bundesliga. Etwa fünfzig Erstligaprofis gehören zu seinen Stammkunden, darunter der Weltmeister Christoph Kramer, Dortmunds Shootingstar Julian Weigl, Gladbachs Kapitän Granit Xhaka. Krasnici fliegt auch regelmäßig nach München, um Bayern-Spielern die Haare zu schneiden. Namen nennt er nicht so gern. Wenn man Krasnici in seinem neuen und zweiten Salon besucht, der in einer ebenso kahlen wie teuren Neubausiedlung liegt, die so aussieht, wie sich nur Düsseldorfer eine Großstadt vorstellen können, zeigt sich diese Zerrissenheit immer wieder: Krasnici weiß, dass sein Laden vor allem so gut läuft, weil die Fußballstars kommen und mit ihnen die Selfiejäger und Boulevardzeitungsberichte. Aber er hat auch Angst, die besten Kunden zu verlieren, wenn er zu viel über sie spricht.
»Die Jungs kennen sich ja untereinander und haben mich immer weiter empfohlen. Zuerst kamen die Gladbacher, dann die Leverkusener, die Schalker und mittlerweile auch die Dortmunder Spieler.« Manche Profis erkennt Krasnici gar nicht sofort, er hat nicht allzu viel Ahnung von Fußball, seine Champions League ist die Fashion Week in Paris, für die er mittlerweile gebucht wird. Krasnici geht nur selten ins Stadion, obwohl er jedes Wochenende in etliche VIP-Logen des Landes eingeladen ist. Er guckt sich lieber die Jugendkicks seiner Söhne an. Aber wenn er im Fernsehen mal ein Topspiel verfolgt, sieht er nicht nur seine Kreationen, wie sie durchgeschwitzt werden und trotzdem halten, seine diversen Undercuts, die so aussehen, als hätte man bei der Hälfte aufgehört – er sieht auch die Frisuren, die bald viele seiner Nor-malo-Kunden haben wollen. »Es geht heute um Konturen, Formen und um Farbe«, sagt Krasnici. Weil die Friseure der Fußballer immer besser wurden und der Konkurrenzkampf unter ihnen größer, wurden die Fußballerfrisuren immer austauschbarer. Ausrutscher sind selten geworden. Na ja, zumindest die ganz großen Ausrutscher.
»Fußballprofis sind heute Stilikonen und sehen aus wie Models«, sagt Krasnici, »man muss mal zurückblicken, wie die Spieler früher aussahen.« Er meint nicht nur die Wellen von Netzer und Overath, den Minipli von Völler, den eingefärbten Tiger von Effenberg – das waren plumpe Moden und persönliche Geschmacksverirrungen –, er meint die teuren, peinlich neureichen Klamotten, in denen die Fußballer steckten, bis mit David Beckham ein neues Männerbild entstand. »Stil kann man sich ja nicht kaufen«, sagt Krasnici. Aber ihn kann man bezahlen, und so wie sich der Beruf des Profifußballers gewandelt hat – gut beraten und gut gekleidet muss man sein –, hat sich auch Krasnicis Beruf gewandelt: Ein guter Friseur, sagt er, schneidet nicht nur Haare, er ist ein Typberater.
Und so melden sich »die Jungs«, wie Krasnici seine Fußballer nennt, in den zwei Wochen zwischen ihren Terminen per WhatsApp, schicken Bilder von einer Shoppingtour und fragen Krasnici, ob sie das tragen können. Oder sie rufen an, wenn sie in der Stadt sind oder ein Auswärtsspiel in der Nähe haben, und wollen sich treffen, auf eine Cola Zero. »Fußballprofis fühlen sich oft einsam«, sagt Krasnici. »Wenn man so prominent ist, ist das nicht immer einfach. Die Jungs wollen in erster Linie als normale Menschen gesehen werden. Aber alle wollen mit ihnen immer nur über Fußball reden!« Oder an ihr Geld. Bei Krasnici lassen manche Profis bloß neunzig Euro im Monat, und nach den vergangenen Spielen fragt er nie.
Wenn mal wieder Christoph Kramer da war, postet Dashi Krasnici ein Foto auf Instagram und schreibt: »Mein Freund @chrikra23 zu Besuch.« Kramer hat ihm, wie so viele, ein Trikot geschenkt, eines, das er für die Nationalmannschaft getragen hat. Darauf steht: »Für meinen Freund Dashi!«
Dashi Krasnici weiß, dass über Friseure genauso viel gelästert wird wie über die Eitelkeit von Fußballern. Für Fans und Funktionäre sieht es so aus, als würden bei ihm Frisuren gepflegt. In Wahrheit geht es um die Pflege einer Schicksalsgemeinschaft.
Foto: Julia Sellmann