Als der Fußball, ein paar Jahrzehnte her, noch nicht so wichtig war, kam es manchmal zu Begegnungen zwischen Profis und Fans, die heute so fremd wirken, als stammten sie aus einem Märchenbuch. Uli Hoeneß erzählt eine dieser Geschichten. Sie spielt in Bremen, Siebzigerjahre, seine Bayern haben gerade bei Werder gewonnen, die Bayern-Spieler sitzen im Mannschaftsbus, der sie vom Stadionparkplatz zum Flughafen bringen soll. Beckenbauer, der Torwart Maier, Bulle Roth, Uli Hoeneß, Gerd Müller. Ein Bus voller Stars, der Neid und Wut anfacht beim Fußvolk da draußen. Die Fans von Werder bespucken den Bus, und einer, eine Art Anführer, bricht irgendwann den Scheibenwischer ab.
»Wissen Sie, was Roth und Sepp Maier damals gemacht haben?«, fragt Uli Hoeneß, und man sieht ihm an, dass er sich freut, die Antwort gleich hinterherschieben zu können. »Die Tür vom Bus geht auf, die beiden packen den und ziehen ihn rein. Da ist der mitgefahren, bis zum Flughafen.« Was genau sie mit dem Mann angestellt haben, will er nicht sagen. »Aber er ist während der Fahrt doch etwas unruhig gewesen.« Das ist die Geschichte, aber wichtiger ist ihm die Geschichte dahinter: Es gab eine Zeit, da konnten Fußballer ihren Fans auf dem kurzen Dienstweg mitteilen, was erlaubt ist und was nicht. Es geht ihm um Werte. Uli Hoeneß redet viel von Werten, wenn er von Fußball spricht und von Fans. Heute würde die Geschichte anders laufen: Der Fan würde den Scheibenwischer bei Ebay verkaufen und von den Boulevardzeitungen ein Honorar angeboten bekommen für seine Exklusivgeschichte: Meine Höllenfahrt im Bayern-Bus. Der Fan würde zum Star für fünf Minuten. Ein Psychologe würde erklären, dass auch eine so kurze Reise in der Gesellschaft von austrainierten Feinden ein Trauma auslösen kann. Skandalisieren und dramatisieren sind die Kriterien der neuen Zeit, die Hoeneß »Scheißzeit« nennt, wenn ihm danach ist.
Ulrich Hoeneß sitzt im Foyer des »Westin La Quinta Golf Resort« in Marbella, wo seine Fußballer während des Wintertrainingslagers wohnen. Er ist beim FC Bayern seit der Saison 1970/71, zuerst als Spieler, seit 1979 als Manager. In jedem Jahr wird eine neue Autogrammkarte von allen Teammitgliedern herausgegeben, und der Manager ist Teil des Teams. Es gibt also 39 verschiedene Bayern-Autogrammkarten von Uli Hoeneß, so lang ist er schon dabei. Er hat sich gehäutet in den Jahren, aber nie zuvor wurden die Veränderungen so offensichtlich wie in dieser Saison: Der bodenständige Geldvermehrer, der ständig vom prallen Festgeldkonto sprach, gab 70 Millionen aus für neue Fußballer. Plötzlich war ein 13-jähriger Peruaner da, beim FC Bayern, dabei hatte Hoeneß immer gesagt, er werde beim Wettbieten um Kinderfußballer nicht mitmachen. Außerdem bezog der Manager am Tegernsee ein neues Haus von respektablem Ausmaß, und regelmäßige Beobachter wollen erkannt haben, er bevorzuge neuerdings weiße Sneakers zum Anzug. Zuletzt wurde Jürgen Klinsmann verpflichtet, ein Trainer, dessen Arbeit bisher in streng ab-
gestecktem Zeitrahmen gegriffen hat, während für Hoeneß dieser Verein nichts anderes ist als eine Lebensaufgabe.
Inzwischen lernt er sogar, mit dem Computer umzugehen, seine Frau macht immer Onlinebanking, er will das auch können. Die neue Zeit fordert Veränderungen. Aber er trägt keine Sneakers, sondern schöne schwarze Schuhe. Und das mit dem 13-Jährigen aus Peru sei ganz anders, die Schlagzeilen seien zu groß gewesen. Der Junge mache eher ein Praktikum in der Jugendabteilung, sein Vater habe das so gewollt. Von Wettbieten könne gar keine Rede sein.
Außerdem, sagt er, fallen bei einem Verein mit 225 Millionen Umsatz 25 Millionen für Frank Ribéry nicht so ins Gewicht wie damals, als Hoeneß Manager wurde und der Verein zwölf Millionen Umsatz machte, zwölf Millionen Mark. Für zwei Millionen Mark haben sie den Dänen Sören Lerby gekauft. »Das war damals viel mehr, im Verhältnis, als jetzt die Ablöse für Ribéry«, sagt Hoeneß, dem es trotzdem ganz recht war, den Überweisungsschein für die Ribéry-Ablöse nicht selbst ausfüllen zu müssen. Das erledigt der Finanzvorstand Karl Hopfner. Uli Hoeneß, ein Schwabe aus Ulm, sagt: »So viele Nullen könnte ich in einen Scheck nicht eintragen.«
Gerade hat er mit der Mannschaft gefrühstückt, jetzt schlappen Luca Toni und Frank Ribéry zum Vormittagstraining. Toni wirkt in echt bulliger als im Fernsehen, Ribéry kleiner, Uli Hoeneß weniger rotgesichtig. Er hat Golf gespielt die letzten Tage, er hat morgens – noch im Bett liegend – Autogrammkarten unterschrieben. 2500 Stück hat er, wie jeder Spieler, ins Trainingslager geliefert bekommen.
Sie werden an die Fans verteilt und verschickt, noch immer gibt es signierte Autogrammkarten kostenlos beim Verein, und solang er als Manager was zu sagen hat, wird sich daran nichts ändern.
Uli Hoeneß, 56, der Patriarch seines Vereins und der ganzen Liga, will seine persönlichen Werte bewahren in einem Wertesystem, das allgemein einem Wandel unterworfen ist. Es ist sein Weg – ein Weg, auf dem man jemanden verlieren kann. In der Silvesternacht am Münchner Platzl, gerade als der Feuerwerkfan Hoeneß eine enorme Rakete zünden wollte, fragte ein Reporter, was denn nun aus dem Trainer Hitzfeld wird. Hoeneß kennt den Reporter seit dreißig Jahren. »Klar war, dass nichts geschrieben wird«, sagt Hoeneß. In der Zeitung stand zwei Tage später: Hitzfeld geht. Hoeneß sagt: »Er hat eine schöne Geschichte gehabt und er hat einen Menschen verloren. Mit dem rede ich nicht mehr. Nie mehr. Keine Chance.«
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Er kann ein Moralist sein, der aufmerksam prüft, ob die Handlungen der anderen in sein Wertesystem hineinpassen. Wenn etwas nicht passt, nimmt sein Gesicht die Farbe jener roten FC-Bayern-Wärmejacke an, die über seinem Bauch spannt, wenn er aufspringt nach einem Tor. Uli Hoeneß, hüpfend wie der erste, der oberste Fußballfan im Land. Einmal trug er bei der Gelegenheit eine gestreifte Mütze mit Bommeln, die ihn etwas lächerlich aussehen ließ, sein Äußeres spielte in Richtung Troll. Das war ihm egal. Es handelte sich um eine Pomperlmütze, das Erkennungszeichen eines Fanclubs aus Bad Griesbach, der Pomperlbuam. Er hatte ihnen versprochen, diese Mütze aufzusetzen, sollte Bayern ein wichtiges Europapokalspiel gegen Anderlecht gewinnen. Bayern hatte gewonnen. Die Mütze war jetzt ein Zeichen dafür, wie wichtig er die Fans nimmt, wie bindend seine Versprechen sind. Auch auf die Gefahr hin, dass dabei Bilder entstehen, die ihn den Rest des Lebens verfolgen. So wie ein paar Zitate, die hängen bleiben, vor allem an ihm. Als der alte Rivale Werder Bremen vor Jahren ein paar Punkte vorn lag, schnaubte Hoeneß live in alle Wohnzimmer: »Wir müssen die jetzt wegfegen und richtig niedermachen.«
Im Trainingslager ist Hoeneß entspannt, sein Hemd so blau wie der Himmel. Er sagt: »Das ist ein ganz blöder Satz, den ich im Nachhinein bedaure. Den kannst du nur zur Mannschaft sagen, aber nie in der Öffentlichkeit.«
Aber er kann nicht anders manchmal, etwas muss raus. Hoeneß’ Ausbrüche – ob adrenalingesteuert oder bewusst eingesetzt, ob provozierend angelegt, aufrüttelnd oder unterhaltend – speisen sich aus einer Quelle, seiner Leidenschaft. Vor ein paar Wochen saß er auf einem Podium bei der Jahreshauptversammlung. Ein Fan sagte, die Stimmung in der Arena sei so beschissen, weil so viele nur noch ins Stadion kommen, um in der Loge Hummer zu verschlingen. Es war eine neue Situation. Kein Toppmöller, kein Daum, kein Konkurrent von außen hatte ihn angegriffen, seinen Verein, seine Philosophie. Die Attacke wurde geritten von einem eigenen Fan, sie kam von innen, deshalb tat sie weh. Uli Hoeneß trug eine seiner rustikalen Strickjacken mit V-Ausschnitt unter dem Sakko, als er zu dem ansetzte, was im Vokabular der neuen Zeit »Wutrede« genannt wird. »Was glaubt ihr eigentlich, wer euch alle finanziert? Die Leute in den Logen, denen wir die Gelder aus der Tasche ziehen.« Ein Fußballfunktionär, der die Fans beschimpft, war bis zu dem Tag so undenkbar wie ein Politiker, der über seine Wähler das sagt, was er eigentlich nur denken darf. Hoeneß brüllte diesen einen Fan zusammen, stellvertretend für alle, die nicht verstehen, dass die Fans auf den billigen Plätzen nur deshalb Ribéry und Toni für sieben Euro sehen können, weil die Fans in den Logen so viel zahlen. Die nicht verstehen, dass er stolz darauf ist, Frieden zu haben in seinem Fußballtempel, in dem es anders zugeht als in vielen Stadien Europas, wo man seine Kinder besser nicht mehr in die Fankurve schickt.
»Ich versuche, Menschlichkeit und Profitorientiertheit so weit wie möglich zu verbinden«, sagt Uli Hoeneß in Marbella. Seine Kritiker werden so einen Satz als Ironie begreifen. Für ihn selbst ist er Verpflichtung. Auch darum ging es ja in dieser Rede, die auf Youtube konserviert ist für alle Ewigkeit, von englischen Usern überschrieben mit dem prägnanten Titel: »Uli Hoeneß explodes.« Wenn man den Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge neben ihm sitzen sieht, einen Technokraten mit Eiswürfelaugen, dessen Angriffe auf die Konkurrenten so auswendig gelernt rüberkommen wie die von Guido Westerwelle im Bundestag – dann wirkt Hoeneß erst recht wie einer, den es eigentlich nicht mehr geben kann. Einer wie Strauß. Oder Wehner. Beiden, sagt Hoeneß, hat er früher gern zugehört bei Übertragungen aus dem Bundestag. Er mag diejenigen, die sich etwas zu sagen trauen. Er mag nicht immer so vorsichtig sein. »Wir wollen gegen Chelsea spielen, nicht gegen Burghausen«, sagt er, aber das ist schon wieder ein Satz, der Ärger machen könnte. »Schreiben Sie nicht Burghausen. Schreiben Sie: Mindelheim. Suchen sie sich irgendeinen Ort aus, der nicht so wichtig ist.«
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Gerade ist eine alte Dokumentation auf DVD neu herausgekommen, eine Langzeitbeobachtung der Saison 1978/79, an deren Ende Hoeneß vom Spieler zum Manager wurde. Ein Schaden im Knie hatte die Karriere des Fußballers vor der Zeit enden lassen. Er war 27. Der Film fängt den Moment ein, in dem etwas aufhört und Neues beginnt. Hoeneß’ Stimme ist viel weicher damals, für die Brüllerei waren andere im Team zuständig. Es war die Zeit, als die Medien anfingen, sich manches zurechtzubiegen. »Man müsste jeden Tag eine Fernsehsendung haben, um die Dinge richtigzustellen«, sagt auf der DVD der Hoeneß von damals. Der Hoeneß von heute sagt: »Inzwischen bräuchte man einen ganzen Sender, der rund um die Uhr läuft.« Bei einer Podiumsdiskussion hatte er vor dieser Saison beschrieben, was sein Traum wäre: »Wenn die anderen uns mal wieder mit dem Fernglas suchen müssten.« Angekommen war es draußen anders, nicht als Wunsch, sondern als Ansage: Die anderen werden uns mit dem Fernglas suchen müssen. Eine Nuance, die alles dreht.
Diejenigen, die sagen, Hoeneß kaufe den anderen immer die besten Leute weg, vergessen, dass er Beträge dafür zahlt, die über den Marktpreisen liegen und mit denen die anderen ihren Haushalt sanieren können. Die ihm vorwerfen, er sorge für eine langweilige Liga mit dem ewigen Meister Bayern, übersehen, dass er zwar ein genialer Kaufmann ist, aber ein fehlbarer Spielerkäufer. Gerade was Stürmer angeht, hat Hoeneß sehr verwegene Entscheidungen gefällt. Ekström, Rizzitelli, Kostadinow, Adolfo Valencia, den sie den »Entlauber« nannten, weil er im Spiel zwar selten ins Tor traf, dafür aber alles erreichbare Buschwerk jenseits des Trainingsplatzes malträtierte. Die Transferpolitik von Uli Hoeneß wirkte bisweilen wie ein Gruß an die Konkurrenz: Okay, wir sind die Reichsten. Aber wir lassen euch eine Chance.
Die ihm vorwerfen, er sei größenwahnsinnig, wegen der Ablöse für Frank Ribéry, denen sagt er: »Wir haben das Geld weder im Lotto gewonnen noch von einer reichen Tante aus Amerika geerbt.« Sie haben es erwirtschaftet. Nichts ist auf Pump finanziert.
Bis 2009 will Uli Hoeneß noch Manager sein und dann in den Aufsichtsrat wechseln. Etwas endet. Etwas Neues beginnt. Wenn sie in dieser Saison nicht Meister werden, trotz des teuren Kaders, wird ein Schatten auf dem liegen, was er gebaut hat. Wenn danach das Experiment mit dem neuen Trainer Klinsmann nicht funktioniert, wird auch er, der Manager, schuld daran sein. Aber Hoeneß sagt, er hat ein gutes Gefühl bei Klinsmann. »Der kann mit jungen Spielern umgehen und erreicht das Publikum.« Er hat ihn auch für die Fans geholt. Und mit der Kommunikation – Klinsmann ist ein Laptop-Freak – sollte auch alles klappen, jetzt, wo Hoeneß den Computer beherrscht und sicher auch Mails abrufen kann.
Man hört die Spieler, sie sind zurück vom Training, ihre Stollenschuhe klappern auf dem Marmorboden des Hotels. Ein beruhigend gleichförmiges Geräusch. Seine Jungs kommen heim. Uli Hoeneß sagt, wenn er alles in allem betrachtet, hat er schon das Gefühl, zwei Welten zusammengebracht zu haben. Der Verein ist ein Konzern, aber der Konzern ist immer auch noch eine Familie. Mehr braucht man nicht als Bilanz, wenn man Uli Hoeneß ist. Kein Denkmal, keine Briefmarke. Dabei gibt es eine von ihm, zur WM 1974 rausgegeben, Nennwert 40 Pfennig, aber weil die Post damals eigentlich keine lebenden Personen auf ihren Marken zeigte, haben die Grafiker ein Raster drübergelegt, um den blonden Fußballspieler ein bisschen zu verfremden.
Wenn man genau hinschaut, erkennt man ihn aber trotzdem. Uli Hoeneß ist immer Uli Hoeneß.