1. Macht der Vatikan einsam? Kann man nicht behaupten: Im päpstlichen Haushalt arbeiten drei Ordensschwestern, ein Kammerdiener und zwei Privatsekretäre. Beim Sonntags-blick aus dem Fenster konnte Benedikt in den ersten fünf Amtsmonaten 600 000 Gäste begrüßen: Besucherrekord. Doch abends machte er sich mitunter davon, um einige Stunden in der alten Wohnung zu sein.
2. Was fehlt ihm am meisten? Johannes Paul II., Spaziergänge im alten Wohnvier-tel Borgo Pio, Urlaub mit Bruder Georg in Bad Hofgastein.
3. Hat der Papst Laster? Er geht jedenfalls beichten, denn er sei »genauso schwach wie die anderen«. Ratzinger hat nie geraucht, trinkt Wein und Bier höchstens in homöopathischen Dosen. Um Schnaps hat er zumindest einmal gewettet: Ein irischer Journalist war überzeugt, der Deutsche würde eines Tages auf dem Heiligen Stuhl landen. Im Begleitbrief zu einer Flasche Old Bushmills Irish Whiskey las er später: »Seine Heiligkeit erinnert sich an die Wette.«
4. Woher kommen die Augenringe? Wojtyla war 58, als er Papst wurde, vital und kräftig – Ratzinger 78 und von Natur kein Herkules. Und ein Papst leitet immerhin die größte Organisation der Welt.
5. Macht Benedikt es anders? Ja, auf subtile, bedächtige Art. Er schaffte den Handkuss ab, ersetzte die Tiara im Wappen (Symbol für weltliche Macht) durch eine schlichte Bischofsmütze und verzichtete auf den Titel »Patriarch des Abendlandes« – eine Geste an die Ökumene. Synoden wurden verkürzt, Reden reduziert. Wojtyla hatte sich angewöhnt, in der Einzelperson zu sprechen, Ratzinger führte nach dem »Ich« wieder das »Wir« ein, um bischöfliche Kollegialität in den Vordergrund zu stellen.
6. Was sind seine Themen? Er geht ans Eingemachte und will ein müdes Christentum aus der Lethargie reißen. Eines seiner Lieblingsworte ist »Reinigung«; es gilt vor allem für die Kirche selbst. Jesus sei Unruhestifter – eine Wohlfühlkirche verkenne dies. Ziel in der Ökumene sei »die Wiederherstellung der vollen und sichtbaren Einheit«.
7. Was unterscheidet ihn von Johannes Paul II.? Weniger, als man denkt. »Ich höre ihn und ich sehe ihn sprechen«, berichtet er, »wir sind nahe beieinander in einer neuen Art.« Kaum ein Pontifex stand zu Beginn im Zeichen eines solchen Lichtes, entflammt durch das riesige Erbe des Vorgängers. Ratzinger schafft nun eine nahtlose Fusion zweier Pontifikate, die niemand für möglich hielt.
8. Wie sieht ein typischer Papsttag aus? Der Papst steht um sechs auf, hält Gottesdienst in der Privatkapelle, frühstückt und begibt sich in seine Arbeitsräume. Mittwochs gibt er Generalaudienz, sonntags den Angelus-Segen. Er gibt Kommunionsunterricht, besucht Kranke, tauft Neugeborene, empfängt Botschafter, Regierungschefs und Rabbis. Anders als Wojtyla hat Ratzinger selten Gäste beim Essen – und liegt früher im Bett.
9. Ein Satz über Benedikt? »Er weiß, wie man Tore schießt.« (Giovanni Trapattoni)
10. Ein Satz von Benedikt? »Nach dem Guten streben, nicht nach dem Profit.«
11. Was bedeutet die Enzyklika Deus caritas est? Sie gilt als Notenschlüssel seines Pontifikats. »Es ist ein Hohelied der Liebe«, befand der Spiegel. In »Gott ist Liebe« fordert der Papst eine Befreiung des Eros aus der Gefangenschaft des Beliebigen. Das »›Ja‹ des Menschen zu seiner Körperlichkeit« habe »in der unauflöslichen Ehe zwischen Mann und Frau seine in der Schöpfung verwurzelte Form« gefunden.
12. Für wen betet der Papst? Abhängig vom Weltgeschehen für Frieden im Irak, für die Opfer von Bad Reichenhall, für Abdul Rahman. Für den April lautet das offizielle Gebetsmotto des Papstes, dass die »Rechte der Frau in allen Ländern respektiert werden«.
13. Was mag er überhaupt nicht? Messen, die handgestrickt und selbstgebastelt wirken.
14. Was macht er mit dem iPod, den man ihm schenkte? Ratzinger ist technisch vollkommen unbegabt. Einen iPod kann er vermutlich nicht bedienen. Lieber spielt er selbst auf seinem alten Piano, mit Vorliebe Mozart, Bach und Palestrina.
15. Wie will er in die Geschichte eingehen? Das überlässt der Bayer einer anderen Macht. »Dass einem polnischen Papst auf dem Stuhl Petri ein Bürger aus Deutschland gefolgt ist«, merkte er jedoch geheimnisvoll an, könne man kaum anders verstehen »als im Licht eines göttlichen Plans der Vorsehung.« Mit dem ihm eigenen Stil und dem Charisma des geborenen Lehrers will er jedenfalls die wahren Probleme der Kirche angehen, die er nicht in Zölibat und Frauenordination sieht, sondern in Überinstitutionalisierung, Verlust an Glaubensleben und Mangel an gesellschaftspolitischem Engagement.
16. Und was wird von ihm bleiben? Mit Benedikt XVI. beginnt eine neue Konzen-tration auf Christus selbst. In der Sinnkrise unserer Zeit formuliert der Vatikan als neuer »Club of Rome« das Konzept einer gesünderen Gesellschaft. Durch die kontinentale Kräfteverschiebung in der Weltkirche ist der Deutsche vermutlich für lange Zeit der letzte Europäer als Bischof von Rom.
17. Was kann er am besten? Zuhören. Abwarten. Heilige Messen feiern. 18. Was kann er am schlechtesten? Loben. In Texten auf akademischen Stil verzichten. Personalfragen entscheiden.
19. Gibt es eine christliche Renaissance? Nicht als massenhafte Blitz-Umkehr. Der Verlust an christlichem Bewusstsein ist zu weit fortgeschritten, als dass die Volks-kirchen aus ihrer »abgrundtiefen Krise« (Benedikt) schnell herauskommen könnten. Für Modernität steht künftig nicht mehr eine Theologie der Befreiung, sondern eine Theologie der Frömmigkeit.
20. Wollte er wirklich nicht Papst werden? Nein. Er träumte von einem Seniorenstudium und dem »ruhigen Ausklang meiner Tage«. Als Präfekt der Glaubenskongregation hatte er mehrmals seinen Rücktritt eingereicht. Als er das »Fallbeil« im Konklave auf sich zukommen sah, habe er »mit tiefer Überzeugung zum Herrn gesagt: ›Tu mir dies nicht an!‹« Es war vermutlich nicht das erste Mal, dass der Herr Ratzinger nicht gehorchte.
21. Ist der Papst reaktionär? Nein, aber konservativ im Sinne der Bewahrung der Schöpfung. Viele Ansichten, etwa zu Homo-Ehe oder Abtreibung, bleiben provozierend.
22. Ist er ein Revolutionär? Ja, im Sinne der Protestbewegung Jesu. Als Kardinal forderte er eine »Revolution des Glaubens«. Als Papst betitelte er sein erstes Buch mit Gottes Revolution. Benedikt attackiert die »Spießigkeit einer Habsuchtgesellschaft« und fordert einen anderen, unangepassten Lebensstil.
23. Wird Benedikt die Pille erlauben? Niemals. Die Kirche setzt auf natürliche Methoden.
24. Was denkt er über den Islam? Der christliche Respekt vor dem anderen gilt natürlich auch für den Islam: »Die Früchte des Glaubens an Gott bestehen nicht in zerstörerischen Feindschaften, sondern im Geist der Brüderlichkeit.« Scharf verurteilte der Papst die Welle der Gewalt nach dem Streit um die Mohammed-Karikaturen.
25. Kann er die Rückkehr der Glaubenskriege verhindern? Er wird es zumindest versuchen: »Gott ist Liebe«, nicht Krieg. Auch kein Irakkrieg, den der frühere Kardinal scharf verurteilte. »Terrorismus, Nihilismus und fanatischer Fundamentalismus« seien die gefährlichsten Hindernisse für den Frieden. Jesus lehre, wie man Frieden macht: durch »Dialog, Vergebung, Solidarität«.
26. Warum darf jetzt jeder zum Papst? Den so genannten Audienztourismus gibt es nicht. Benedikt hat vieles kürzer und prägnanter gemacht, auch Privataudienzen. Der Empfang für Laura Bush nebst Tochter Barbara dauerte 15 Minuten, die Begegnung mit Franz Beckenbauer (»der Höhepunkt meines Lebens«) gerade mal 48 Sekunden.
27. Seine verblüffendste Einladung? Das Treffen mit Kritiker Hans Küng, dem von Johannes Paul II. die Lehrbefugnis entzogen wurde. Küng hatte Ratzinger als »gefährlichen Großinquisitor« gegeißelt.
28. Wenn er privat nach München käme, was würde er machen? An der Mariensäule seiner Bischofsweihe gedenken, sich in der Frauenkirche das neue Papstrelief von Josef Henselmann ansehen und in Bogenhausen die Pfarrei besuchen, in der er als Kaplan Unterricht gab. Dann ginge er ins »Weiße Bräuhaus«, um sich am »Vatikanstammtisch« eine nicht allzu kühle Fanta zu genehmigen.
29. Hat er sich verändert? Ja und nein. Unvorstellbar bislang, Ratzinger könnte Babys knutschen und Kardinäle in die Wange kneifen. Doch paradoxerweise kann sich in Papst Ratzinger offenbar auch der Mensch Ratzinger besser zum Ausdruck bringen. Anfangs wirkte er unbeholfen und müde, inzwischen regiert er mit Freude und lernt sogar Massenevents zu schätzen.
30. Kleine Missgeschicke? Bei einem Treffen in Köln wird ihm Pelé vorgestellt, ein gläubiger Katholik. Seiner Heiligkeit ist die Fußball-Legende nicht geläufig: »Und Sie sind Brasilianer …?«
31. Treibt der Papst Sport? Nur Bergwandern. Neu ist ein Trimmrad, das Leibarzt Buzzonetti (82) in die Gemächer stellte, aber fraglich ist, ob der Papst noch radelt. Als Schüler nannte er Sport »Folter«, für die Fußball-WM wird ihm Privatsekretär Gänswein vor wichtigen Spielen aber den Fernseher einschalten. »Die deutsche Mannschaft«, sprach der Pontifex zu Kaiser Franz, »ist doch sehr gut.«
32. Was trägt der Papst privat? Sicher keine roten Pantoffeln oder die hermelinbesetzte Haube (Camauro) von Johannes XXIII. Früher liebte er einen einfachen Anzug mit Priesterkragen, an kalten Tagen seine Baskenmütze – und den abgewetzten schwarzen Pullover, der noch beim »Habemus papam« unter dem päpstlichen Kleid hervorlugte.
33. Welches Geheimnis würde er nie preisgeben? Ein Beichtgeheimnis.
34. Wie mächtig ist der Pontifex? Formal ist Ratzinger der mächtigste Deutsche aller Zeiten, Oberhaupt von 1,1 Milliarden Katholiken, rund 4700 Bischöfen, 406 000 Priestern. Keine Institution ist besser vernetzt, hat mehr Niederlassungen – und eine stärkere Corporate Identity (»im Auftrag des Herrn«). Würden ihre Glieder gemeinsam handeln, könnten sie Wahlen entscheiden und Gesellschaften verändern.
35. Seine Lieblingsredewendung? »Ich würde sagen …«
36. Wie steht es um seine Akzeptanz? Sein Image hat sich spätestens seit dem Weltjugendtag radikal gewandelt. Die Messe mit 1,1 Millionen Teilnehmern in Köln habe eine »brand community« um die Marke »Papst« gebildet, so der Bremer Medienforscher And-reas Hepp. Benedikt genieße Glaubwürdigkeit und werde nunmehr »grundsätzlich positiv aufgenommen«.
37. Sind wir jetzt alle Papst? Es gibt zumindest eine Wechselwirkung zwischen Nation und Papsttum. In Polen wurde das realisiert, in Deutschland noch nicht. Seit Ratzinger auf dem Stuhl Petri sitzt, stürzte immerhin die Regierung, gibt es weniger Kirchenaustritte und mehr Rückkehrer und Übertritte.
38. Ist Benedikt Deutschland? In gewisser Weise schon. Ratzinger stammt aus dem Land von Kirchenspaltung, Marxismus und Holocaust – aber auch von Theologie und Wiedervereinigung. Er durchlebte Aufstieg und Niedergang der Moderne; heilsgeschichtlich betrachtet muss es kein Zufall sein, wenn ein Deutscher Stellvertreter Christi wird.
39. Was sagen die Sterne? Für Astrologen (Meridian 4/2005) ist Benedikt »ein alter Mann, dem nicht viel Zeit für sein Wirken bleiben wird«, der aber »innerhalb kurzer Zeit deutliche Spuren hinterlassen« werde.
40. Wie stellt er sich Gott vor? Genau wie Jesus Christus. Am 20. April 2000 sagte Joseph Ratzinger im SZ-Magazin: »In seinem aufgerissenen Leib am Kreuz sehen wir, wie Gott ist, dass er sich bis zu diesem Punkt für uns verausgabt … Er hat sich auf die Seite der Unschuldigen und Leidenden gestellt – und möchte auch uns dort sehen.« Fazit: »Gott wird klein, damit wir ihn fassen können. Er kommt als jemand, der an unser Herz rührt.«