»Ich habe unter klinischen Bedingungen LSD getestet«

Über die wirklich interessanten Dinge sprechen Schauspieler wie Jack Nicholson nicht mit Journalisten. Sondern mit Regisseuren.

Foto: Dpa

Peter Bogdanovich: Mir kommt es vor, als wären es dreißig Jahre, dass wir so zusammensaßen.
Jack Nicholson:
Stimmt. Das ist eine Weile her. Aber wir haben oft miteinander gesprochen. Kurz und knapp, dafür mit Gehalt.

Du siehst gut aus, Jack.
Ich fühl mich auch gut. So alt wie das Pickford-Fairbanks-Studio... Bin ich zu alt für den Film? Manchmal ist mir so zumute. So viel zum Thema Altern.
Irgendwo hab ich gelesen, du wärst im Glauben aufgewachsen, deine Großmutter sei deine Mutter und deine Mutter sei deine Schwester.
Ja. Meine wirkliche Mutter war Tänzerin im Showbusiness. Man könnte Romane schreiben über ihr Leben. Aber das fand ich erst heraus, als ich über dreißig und beide Frauen tot waren. Da galt ich bereits als introvertierter Künstler. Ich weiß noch genau, was meine spontane Regung war: Dankbarkeit.

Wirklich?
Aber ja. Über die beiden habe ich schon oft gesagt: Zeigt mir heute eine Frau, die so ein Geheimnis für sich behalten kann – das wäre das Mädchen nach meinem Geschmack.

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Hat dich diese Erkenntnis nicht umgehauen?
Klar, das haut einen um. Aber ich musste mich nicht mehr mit ihnen auseinandersetzen, dafür war ich auch dankbar. Sie waren tot. Wer gibt schon gern zu, froh darüber zu sein, dass die zwei Menschen, die er am meisten liebt, tot sind? Aber das war meine Reaktion. Deshalb kann ich auch nicht so ganz locker und liberal, wie ich’s gern täte, für das Recht auf Abtreibung plädieren. In der Welt von heute gäbe es mich nicht. Verstehst du, was ich meine?

Du meinst, deine Mutter hätte abgetrieben?
Ja. June war erst 16 – und ziemlich erfolgreich. Es wäre also anzunehmen. Weißt du, es gibt Ansichten, die man nie ändert. Zumindest glaubt man das. Ich hab meine Ansicht zu diesem Thema geändert. Nicht aus Vernunftgründen – eher wegen des Karmas.

Hast du deinen Vater kennengelernt?
Nein.
Weißt du, wer er war?
Ich bin ziemlich sicher, dass er tot ist. In der Familie ist das noch eine offene Diskussion. Aber so offen auch wieder nicht. Ein guter Kerl war er. Ich hab mit ihm telefoniert, als ich es herausgefunden hatte. Aber ich wollte ihn nicht kennenlernen. Ich spürte nicht das Bedürfnis, den Dingen auf den Grund zu gehen. Mit über dreißig ist man sowieso ein fertiger Mensch. Nein, ich habe keinen wirklichen Grund gesehen.

Du sahst keinen Grund, mit deinem Vater zu reden?
Ihn nachträglich in mein Leben hineinzuholen, in das, was normalerweise eine wichtige Beziehung wäre? Nein. Nicht unter diesen Umständen.

Hat dich die Erkenntnis der Wahrheit dazu veranlasst, deine Kindheit neu zu überdenken?
Nun, gewisse dumpfe Vermutungen wurden dadurch bestätigt. Aber als Kind habe ich solche Dinge nicht vertieft, sie gingen mir nur so durch den Kopf. Andere Sachen haben sich aufgeklärt. Die Wesensart meiner Schwester/Mutter und die Herkunft meiner Großmutter. Sie waren irische Kriegerinnen, starke Frauen. Das waren ideale Voraussetzungen für mich. Ich hatte auch eine Vaterfigur, Shorty Smith, für mich noch immer einer der großartigsten Menschen.

Wer war das?
Der Mann meiner anderen Schwester.

Nicht der Schwester, die deine Mutter war.
Nein.
Es gibt also eine weitere falsche Schwester, deine Tante.
Ja, June und Lorraine. Ich erfuhr das Ganze übrigens von Bucks Freundin, als die Time 1974 eine Titelstory über mich brachte.

Buck Henry?
Ja. Seine Freundin war Time-Redakteurin, und ihre Redaktion hat recherchiert ...

Das war ein irrsinniger Schlag.
Und was für einer. Zuallererst rief ich zu Hause an, Shorty nahm ab. Ich sagte: »Shorty, ich habe da gerade einen Anruf bekommen« und so weiter. Er: »Das ist doch gar nicht wahr.« Ich sagte: »Ist gut, Shorty, ich hab’s auch nicht geglaubt.« Dann, es war nachts um zwei bei denen, klingelt das Telefon. »Jack, hier ist Shorty. Ich gebe dir mal Lorraine. Und eins kann ich dir sagen: Sie heult schon die ganze Nacht.« Und in dem Moment dachte ich: Das ist ja Irrsinn. Ein Glück, dass ich mich in all den Jahren nicht damit befassen musste. In gewisser Weise bin ich von Frauen erzogen, in einem Kosmetiksalon groß geworden. Da gab es einen polnischen Eisenbahner, ein Stier von einem Mann, aber ein ehrlicher Kerl. Als ich acht oder zehn war, hat er eingesehen, dass ich ein ganzes Stück schlauer war als er, da hat er mich in Ruhe gelassen, also hatte ich keinen repressiven, eifersüchtigen Vater. Ich kannte keinen Konflikt mit der Vaterfigur. Ich litt auch nicht unter einer besitzergreifenden Mutterfigur, das war eher ein Komitee, das sich im Verborgenen sehr um mein Wohl sorgte. Zu den guten Dingen in meinem Leben zählt, dass ich nicht emotional erpresst wurde. Normalerweise ist es das, was man von seiner Familie auf den Lebensweg mitbekommt.

Wann sind deine Großmutter und deine Mutter gestorben? Warst du da schon ein Star?
Bei der Time sagten sie: »Wir haben da so ein Gerücht gehört, Jack.« Und ich sagte: »Es stimmt. Aber ich möchte lieber nicht, dass ihr darüber schreibt. Schreibt, was ihr wollt, aber nicht darüber, weil ich selbst Schriftsteller bin. So eine Wahnsinnsgeschichte ist mir noch nie über den Weg gelaufen, es könnte also sein, dass ich selbst drüber schreiben will.« Und interessanterweise, das muss man der vierten Gewalt lassen, haben sie sich daran gehalten. Es gibt da noch Dinge, die nicht in die Öffentlichkeit gehören und mit denen ich mich trotzdem befassen will, aus literarischer Sicht, zum Beispiel mit ihrem Tod.

Wirklich eine Wahnsinnsstory.
June ging mit dem Broadway-Impresario Earl Carroll nach Süden und lebte im Mafiamilieu von Miami. Der Krieg brach aus, sie wurde Mädchen für alles im Kontrollturm des Willow-Run-Flughafens in Michigan, wo sich die größte Airforce-Basis des Zweiten Weltkriegs befand, und Amerikas bekanntester Testpilot heiratete sie vom Fleck weg – einer der Männer übrigens, die als erste die Schallmauer durchbrachen, noch bevor es offiziell gemacht wurde. Ein Tunichtgut, Sohn eines Gehirnchirurgen, Alkoholiker. Sie hat wirklich eini-ges durchgemacht ... Ich hatte noch keine große Rolle gehabt, und mit ihr ging es zu Ende. Wir waren über Kreuz. Sie hatte Angst um meine Zukunft – und das als meine Schwester! Sie saß da mit Krebs im Endstadium und wusste, dass ich der Einzige war, der damit umgehen konnte. Meine Frau war schwanger, und ich nahm eine Rolle in dem verrückten Film Operation Pazifik von Josh Logan an, ich brauchte dringend Geld. Ich musste mich also von ihr verabschieden und erzählte ihr alles, was ich über den Tod dachte. Als ich ging, ich musste nach Mexiko, sah sie mir in die Augen und fragte: »Soll ich warten?« Ich sagte: »Nein.« Nach diesem Nein stieg ich in den Fahrstuhl – und brach zusammen. Wir flogen nach Mexiko, dort wurden wir einen Tag aufgehalten, wegen eines Gewitters; und kurz darauf kam das Telegramm mit der Nachricht ihres Todes. Wie schon gesagt, der reinste Romanstoff. Ich scheine Leute anzuziehen, die Stoff für Romane abgeben.

Wirklich unglaublich.
Als ich vom Dreh zurückkam, wurde meine Tochter Jennifer geboren – am Tag meiner Rückkehr.

Da warst du noch fast ein Kind.
Ja. 27.

Als wir uns kennenlernten, hatte ich das Gefühl, du würdest dich in erster Linie fürs Schreiben und für Regie interessieren, nicht fürs Spielen.
Aus einem einfachen Grund: Ich wäre niemals bereit gewesen, als junger Schauspieler jahrelang zu arbeiten und zu studieren, finanziell gerade so durchzukommen, mit Frau und Kind. Mit dem Schreiben war das leichter. Und ich hätte ja nie gedacht, dass mir nach zwölf Jahren, die ich hauptsächlich als Drehbuchautor arbeitete, plötzlich über Nacht aufgehen würde: Moment mal, ich bin ja doch ein Schauspielstar!

Das war nach Easy Rider, 1969.
Nach der Aufführung in Cannes. Ich glaube, keiner hat diese Geschichte »Mein Gott, ich bin ja ein Filmstar« so eindrucksvoll und glaubhaft erlebt wie ich. Großartig. Die ersten zehn, zwölf Jahre beim Film waren extrem hart, und die meisten Lektionen von damals haben heute noch Gültigkeit für mich – eben deshalb gibt es bei mir kein Getue. Schon damals nicht mit Roger Corman. »Wie viel?« »Wann?« Das waren die beiden Fragen. Mehr wollte er nicht hören. Eine knallharte Sache.

Allerdings. Und du bist draufgesprungen auf die Rolle und hast gespielt, egal was.
Man muss die Dinge entwickeln, sich hineinfinden. Man kann nicht als fertiger Schauspieler drauflosspielen, man muss es kommen lassen, immer am Ball bleiben.

Hast du die Rolle in Easy Rider nicht erst mit Verzögerung bekommen?
Ich sollte zuerst nur die Produktion überwachen. Als Koproduzent war ich schon eingeführt bei BBS, sie wussten, wer ich war. Dennis Hopper und Peter Fonda waren nach New Orleans abgedüst und völlig durchgedreht (aber ich sollte nicht all-zu viel aus der Schule plaudern). Sie waren also durchgedreht, und Bob Rafelson wollte, dass ich die Rolle des Anwalts übernahm. Die Produzenten hatten mich nur als Aufpasser nach New Orleans geschickt: »Sieh zu, dass ihr – du und deine Drogenfreunde – nicht vollends verrückt werdet. Halte sie irgendwie bei der Stange. Hauptsache, der Film wird fertig. Pass auf, dass sie sich nicht gegenseitig umbringen oder was immer die da treiben.«

Du hattest also die Verantwortung.
Ja. Ich war der Aufpasser der Firma. Dabei hatte ich schon Drehbücher geschrieben. Dennis hielt mich für einen der besten Schreiber in Hollywood. Ich hatte schon für ihn und auch für Fonda geschrieben. Beide mochten mich und trauten mir, deshalb ging auch alles gut. Bert gab mir die Rolle und fragte: »Kannst du das spielen?« Ich sagte: »Mal ehrlich, Bert, das ist so gut, das kann jeder Idiot spielen.« Mehr an Verständigung war nicht nötig. Dann sah ich die ersten Schnitte, und Bert sagte: »Was hältst du von deinem Part?« Ich: »Großartig, was denn sonst? Sehr gut.« Ich zögerte kurz, dann sagte ich: »Den Schnitt würde ich besser hinkriegen.« Er: »Dann schneide du.« Und das tat ich. Dennis traute mir während der ganzen Produktion. Und niemand bei BBS hätte etwas gemacht, was er nicht wollte. Wir hatten eine Freiheit und Unabhängigkeit, die wir nie wieder bekamen. Es war einfach ideal. Und ein Riesenerfolg, könnte man hinzufügen.

So etwas ist nie wieder passiert.
Nein, und es lag nur am seltsamen Wesen von Bert und an der alten Freundschaft der anderen Easy Rider-Produzenten Bob Rafelson und Steve Blauner.

Was macht Bob? Hast du Kontakt zu ihm?
Ja. Er wohnt in Aspen, mit seiner neuen Familie, hat endlose Probleme mit dem Handgelenk, aber er ist und bleibt Curly Bob, und er ist fabelhaft.

Den letzten Film, den du mit ihm gemacht hast, mag ich besonders – Blood and Wine von 1996. Aus irgendeinem Grund ist er etwas untergegangen.
Bob ist als Regisseur für mich eine Ausnahme, weil wir beide zusammen als Autorenduo angefangen haben. Wir streiten uns wie die Fischweiber, da gibt es keinen Rangunterschied. Und es geht immer um die gleichen Dinge. In Blood and Wine wollte ich den Arsch von Jennifer Lopez berühmt machen. Als Bob mal verschlief, haben wir die kurze Tanznummer abgedreht – ich habe sie aus dem Bildband »Rock Dreams« geklaut –, mit meinen Händen auf ihrem Arsch. Das wollte er nicht in dem Film drinhaben. Ich sagte: »Bob, du bist verrückt.«

Warum hat er die Szene rausgenommen?
Um diese Frage drehten sich die ersten fünf Jahre des Streits. Bis er dann sagte, das Studio habe ihn dazu gezwungen. »Warum sagst du mir das jetzt erst?«, frage ich ihn. Es vergehen weitere Jahre, und es stellt sich heraus, das mit dem Studio stimmt nicht; seine neue Behauptung lautet: »Du spinnst. Die Szene ist im Film drin.« Zufällig kam er im Fernsehen. Ich habe aufgepasst – und sie ist nicht drin. Mein Punkt war immer der gleiche: »Wenn du schon vorher weißt, eine Szene verkauft sich gut, dann muss sie drinbleiben. Das ist den Aufwand wert und jeden Zentimeter Filmstreifen.« Wir hatten diese Auseinandersetzungen ständig, deswegen mögen wir uns. Ständig geht es hin und her. Er ist der Regisseur und übrigens auch mein Chef aus alten Tagen. Ich war auch dagegen, dass er Wenn der Postmann zweimal klingelt im Kalten dreht.

Im Kalten?
Ich wollte lieber im Sommer drehen. Könnte sein, dass er recht hatte. Denn es ist wirklich ein guter Film geworden. Das Buch von James Cain hab ich nie gelesen, und die Story wurde schon tausendmal verbraten. Im Zentrum des Buches steht, dass sie miteinander schlafen, auf der Leiche. Na ja. In Hollywood läuft das nicht. Nicht mal der wildeste Regisseur traut sich da ran.

Aber genau darum geht es.
Ich hatte das Gefühl, und er stimmte mir zu, dass es keine Nacktszenen geben sollte. Zu der Zeit gab es die in jedem Film. »Nein, in diesem Film, wo es nur um Sex geht, brauchen wir keine Nacktszenen. Nur einen Shot von meinem bloßen Hintern, wenn ich auf dem Bett liege. Wie ein Babyfoto.« Doch als wir dann zu den Sexszenen kamen, versuchte Bob mit der Handkamera, ein bisschen Busen zu erhaschen. Ich habe genug Technik, um zwei Handkameras abzublocken, während ich agiere. Ich sage: »Schau mal, diese Sexszenen. Wir sind nicht nackt, wir tragen diese Vierzigerjahre-Unterwäsche. Ich hab mich immer gefragt, wieso sie nach einem Kuss schon miteinander schlafen. Wie kommen die dahin? Wollen wir nicht einen Zwischenschnitt machen, ich in dieser Vierzigerjahre-Unterhose, mit einem Riesenständer? Nichts Nacktes, nur die Beule in der Hose?« Ich besorgte mir also einen Dildo, machte alle Vorbereitungen, und als wir zu der Szene kamen, dachte Bob, ich spinne. Das mit dem Dildo funktionierte nicht, sie kriegten ihn nicht richtig positioniert, dass er aussah wie ein ordentlicher Ständer, also hieß es: »Geh hoch, mach dir selber einen, und dann drehen wir.« Ich ging also hoch und wichste, was das Zeug hielt, immer in der Angst, dass der Boden knarrte und die ganze Crew zuhörte. Die Szene flog natürlich raus. Aber bei Auf den Hund gekommen, an einer Stelle, wo es vielleicht nicht so passend ist, spiele ich eine Szene mit Ellen Barkin und diesmal mit Dildo, in verschiedenen Größen, und ich sage zu Bob: »Diesmal drehen wir das aber.« Er: »Du treibst mich noch zum Wahnsinn. Also gut, drehen wir’s.« Und so geschah es. »Und wehe, du schneidest die Szene raus. Ich bringe jeden um, der sich daran vergreift.« Er ließ die Stelle drin. Später, nach einer Voraufführung, fragte ich meine Freunde beim Hinausgehen: »Wie fandet ihr die Beule in meiner Hose?« Aber keiner hatte sie gesehen. Kein einziger. Da war ich baff. Auch das war eine wichtige Lektion fürs Filmemachen.

Warum sagst du eigentlich von dir, du seist bequem?
Keine Ahnung. Ich habe jedenfalls viel gearbeitet.

Du konntest nie genug von der Arbeit bekommen.
Ich hatte erst sehr spät begriffen, dass auch das dazugehört, dass man arbeiten und Spaß haben kann. Ich dachte, man müsse immer ernst und verbissen sein. Man weiß es nicht besser. Aber seien wir ehrlich: Ich hatte immer genug Selbstvertrauen, in vernünftigen Grenzen. Trotzdem wissen wir nicht, wo unsere Fähigkeiten liegen. Als ich 1955 als Hausbote bei der Trickfilm-Abteilung von MGM begann, habe ich zunächst nicht viel über das Filmemachen gelernt. Ich hab mir ein paar Jahre lang vor allem die Stars angesehen. Da blieb etwas hängen. Ich wusste Bescheid über das, was mit meinem Job zusammenhing, Filmproduktion und all das.

Aber du hast bei MGM noch die letzten Jahre des alten Studiosystems erlebt.
Ich hab sie alle gesehen: Monroe, Bogie, Hepburn, Brando, Spencer Tracy, alle haben dort gearbeitet, ich war im siebten Himmel.

Warst du ein großer Filmfan?
Aber ja. Völlig durchgeknallt. Einmal hab ich mich flach auf den Rasen gelegt, um einen Blick auf Lana Turners Slip zu erhaschen.

Hat’s geklappt?
Na ja, nicht ganz. Sie stieg in ein Auto, aber ein bisschen Bein hab ich gesehen.

War das eine interessante Epoche für dich?
Total faszinierend: die Filme zu sehen, die Geschichten zu hören: Mickey Rooney, Judy Garland, die Skandale …

Was war dein eigentlicher Job?
Ich habe alles Mögliche gemacht. Das Papier für die Zeichner bereitgelegt ...

Deine ganze Zeit bei MGM hast du im Trickfilmstudio verbracht? Ja. Vielleicht säße ich immer noch da, wenn sie den Laden nicht dicht gemacht hätten. Nun, die Geschichte, wie ich Schauspieler wurde, hab ich schon tausendmal erzählt. Joe Pasternak fragte mich eines Tages im Fahrstuhl: »Hast du jemals dran gedacht, Schauspieler zu werden, mein Junge?« Natürlich hatte ich das, ein klein bisschen, aber trotzdem sagte ich: »Nein.« Dann rief mich mein Boss, der Zeichentrickfilmer Bill Hannah, im Büro an: »Jack, hat dich Joe Pasternak im Fahrstuhl angesprochen?« Ich sagte: »Ja.« Er: »Hat er gefragt, ob du Schauspieler werden willst?« – »Ja.« Er: »Was hast du geantwortet?« – »Ich habe nein gesagt.« Darauf er: »Du Idiot! Willst du dein ganzes Leben im Büro hocken bleiben?« Also machten sie einen Termin in der Nachwuchsabteilung, und ich las meine erste Szene. Ich war so unbeleckt, dass ich tatsächlich glaubte, ich sollte die Szene vorlesen. Ich nahm sie mit nach Hause, warf sie auf die Kommode und ließ sie anderthalb Wochen liegen. Als ich dann hörte, was »Lesen« bedeutete, rannte ich in den Botenraum, schnappte mir eine Botin, und wir übten die Szene zusammen.

Unglaublich. Und so wurdest du Schauspieler.
Ja. Sie schickten mich ins Players’ Ring Theater, damit ich etwas lerne. Das war das einzige richtige Theater in L. A. Auch das eine große Erfahrung.

Was hast du dort gemacht?
Wieder von vorn angefangen, im Büro. Und ich nahm Schauspielunterricht. Meine erste Stunde hatte ich bei dem Schauspieler Joe Flynn. Er schaute mich an und sagte: »Hören Sie, der Kurs ist jetzt zu Ende, und ich weiß sowieso nicht, was ich einem Schauspieler beibringen soll.« Ich sagte nur: »Hä?« Er: »Ich tue, was ich kann. Aber ich sage Ihnen eins: Jeder, der Ihnen begegnet, wird Sie dazu drängen, Sprechkurse zu besuchen und Ihre Stimme zu ändern. Lassen Sie’s sein. Mehr hab ich nicht zu sagen.« Das war das Erste, was ich an einer Schauspielschule zu hören bekam. »Lassen Sie’s sein.« Natürlich sind die großen Stars nichts ohne ihre Stimme.

Du meinst Bogart oder Jimmy Stewart oder Gable oder Wayne. Meine erste Lektion war also: keine Stimmausbildung! Und ich glaubte ihm. Warum auch nicht. Er war ein bekannter Schauspieler, ich nicht.

Wirklich, ein toller Tipp.
Und das als Erstes und Einziges, was ich hörte. Wo hatte er das her? Heute weiß ich, dass ich eine ungewöhnliche Stimme habe. Im Lauf der Jahre hat sie sich ein bisschen abgeschliffen, aber damals wusste ich es nicht. An so etwas denkt man nicht. Eine Stimme kann man sich einfach nicht anerziehen.

Und was war dein erster Gig?
Nun, die Jungs von MGM produzierten Theatermatineen für das Fernsehen und brauchten jede Menge Schauspieler, weil sie täglich eine 90-Minuten-Show drehten. Man ging um halb drei morgens zur Arbeit, machte eine Kostümprobe …

Fürs Fernsehen?
Ja, Livefernsehen. Die Sendung hieß Matinee Theater. Aus dieser einen Show ist die ganze NBC hervorgegangen. Das war der Anfang des Fernsehens. Und du musst bedenken, ich kannte niemanden. Mein zweiter Schauspiellehrer, Jeff Corey, empfahl mich dann für einen Film von Roger Corman. Das war mein erstes Vorsprechen außerhalb des Theaters, und ich drehte fast durch. Aber ich bekam die Rolle sofort. Das wars. Eine Hauptrolle nach dem ersten Vorsprechen, in Schrei, Baby Killer.

Unter der Regie von Roger Corman?
Nein, er hat den Film nur finanziert. Eine Art Teenager-Geiselstory. Ich war so überdreht beim Vorsprechen, ich habe gebrüllt, und sie haben mich ausgelacht, aber ich bekam die Rolle. Und ich dachte: Na bitte, nun bin ich ein Filmstar. Was ist so schwer daran? Na, erst mal ließ der Film 18 Monate auf sich warten. Und wir brauchen nicht zu diskutieren, wie gut oder schlecht er war, das sei dahingestellt. Aber was dazukam: Inzwischen hatten sie mich überzeugt, dass ich irgendwie seltsam aussah.

Wirklich?
Ein Casting-Agent meinte: »Wir wissen nicht, wofür wir Sie brauchen können – aber wenn wir Sie brauchen, dann Sie und keinen anderen.« Ich stolperte da raus mit meinem Fünfzigerjahre-Bürstenschnitt und kam mir vor wie ein Monster.

Was passierte dann?
Nichts. Dass ich kein Filmstar war, hatte ich schon kapiert. Und das Verrückte ist: Die Weltpremiere 18 Monate später fand gegenüber dem Billardsalon statt, wo ich in meiner ersten Zeit oft rumgehangen hatte, in Inglewood. Ein Zuschauer lästerte über mich, und meine Mutter schlug ihn mit der Handtasche – es war absolut demütigend.

Deine Mutter oder deine Großmutter?
Meine Großmutter.
Sie war empört.
Nun, es gab Unruhe im Publikum. »Ruhe!«, schrie jemand. Ich weiß nicht, ob sie wirklich zugeschlagen hat, aber sie hat mich in Schutz genommen. Als ich Kleiner Laden voller Schrecken machte, wusste ich wenigstens, dass es eine Komödie war. Aber bei der Premiere dann, als meine Szenen kamen, drehte das Publikum durch. Ich war mit einer heißen Geliebten da, und als alles brüllte vor Lachen, wurde ich knallrot, so peinlich war mir das. Ich wusste nicht, wieso. Man glaubt es zu wissen, aber man weiß es nicht. Ich saß nur da und dachte: Oh Gott! Ich wusste zwar irgendwie, dass es eine Komödie war, aber trotzdem war es mir richtig peinlich.

Hat Roger den Film nicht in zwei Tagen gedreht?
Ja. Nur deshalb hat er ihn überhaupt gedreht. »Ich werde beweisen, dass ich für einen abendfüllenden Spielfilm weniger Zeit brauche als die beim Fernsehen für eine Halbstundenshow.« Damals brauchten sie für eine halbstündige Show drei Tage. Und es war wirklich wild. Es ging damit los, dass uns Roger fürs Vorsprechen nicht durchs Tor in die Chaplin Studios hineinließ, denn das hätte ihn Geld gekostet. John Shaner und ich mussten über den Zaun klettern, um hineinzukommen.

Das glaube ich nicht.
Oh doch, es ist wahr. Das war nur der Anfang. Wir gehen also rein, um Roger die Szenen beim Zahnarzt vorzuspielen. John ist die Lei-che – er hatte seine Szenen vorher –, dann komme ich rein. Nach dem Vorspielen sagte Roger: »Das hätte ich euch gar nicht zugetraut. Sehr gut. Also, ihr habt die Rolle.« – »Wirklich?« – »Ja.« Dann nahm er das Skript – Johns Text ging über sechseinhalb, meiner über fünfeinhalb Seiten –, gab John sechs Seiten, riss die siebte Seite in der Mitte durch, gab ihm die eine Hälfte, sodass er sechseinhalb hatte, und mir die andere Hälfte. Das nur als Beispiel, wie er so war. Das waren Zeiten!

Aber er hat euch eine Chance gegeben.
Oh ja. Mehr wollten wir gar nicht. Und nach all dem, was wir mit ihm durchgemacht hatten, sagte er: »Ich möchte, dass ihr schreibt – das wird ein ganz großes Ding.« Ich antwortete: »Da bin ich aber sofort dabei, Roger.« Und er: »Jetzt hört mal, was ich euch zahle.« Ich: »Roger, du weißt, wir sind gute Freunde, wir lieben uns regelrecht, und ich bin in deinen Filmen, selbst wenn ich sie hasse, und wenn ich nicht drin wäre, würde ich nicht mal Stütze kassieren können. Ich bin also in deiner Schuld. Aber ich habe in all den Jahren zum gewerkschaftlichen Minimaltarif für dich gearbeitet, und ich fange jetzt nicht als Schreiber bei dir an. Nicht unter diesen Bedingungen. Du musst mir schon ein paar hundert Doller mehr zahlen, damit ich das Drehbuch für dich schreibe.« Er: »Kommt nicht in Frage.« Ich konnte es nicht glauben. Ich sagte: »Es kommt nicht in Frage? Gut, dann schreibe ich das Drehbuch nicht.« Und ich habs nicht geschrieben. Dann kam The Trip. Roger war einer von den seltenen Typen, die LSD unter klinischen Bedingungen getestet hatten, genauso wie ich. Er will einen ernsten Film darüber drehen. Er ruft mich an und sagt: »Hör mal, ich hab da ein Thema, da will ich richtig was draus machen, und du sollst ein gutes Drehbuch dazu schreiben. Ich zahle dir 200 Dollar über Tarif.« – »Einverstanden.« Ich schrieb also das Drehbuch, und mittenrein platzte meine Scheidung. Es ging damit los, dass ich draußen auf dem Rasen die Bremstrommeln meines Autos wechselte, weil ich damit 35 Dollar sparte. Ich nenne dir diese Zahlen, damit du weißt, wie es um meine Finanzen bestellt war, und das mit einer Familie im Haus. Es war hart. Ich musste in die Stadt, ein Werkzeug besorgen, anders ging es nicht. Während wir also die Bremstrommeln wechselten, bekam ich diesen Drehbuchjob für The Trip. Und eine Rolle in einem Film mit Cameron Mitchell, den Bruce Derns Manager mit seiner Kreditkarte finanzierte – der Name fällt mir im Moment nicht ein. Also: Eben noch ein arbeitsloser Schauspieler – und plötzlich hatte ich zwei Jobs. Und The Trip handelt von einem Typen, der sich scheiden lässt.

Hat er dein Drehbuch verfilmt?
Sagen wir, zur Hälfte etwa. Natürlich hatte er eine Schwäche für Bruce Dern, deshalb bekam der die Rolle, die ich eigentlich für mich geschrieben hatte, und nicht ich. Aber es war ein richtig gutes Drehbuch. Der Erste, der mein Drehbuch zu The Trip las, war ein Maler, den ich aus meiner Nachbarschaft kannte. »Hier, lies das, Tom«, sagte ich, »und sag mir, was du davon hältst.« Ich war gerade fertig geworden damit. Er las das Skript – ein bisschen phlegmatisch war er, der Junge. Und er wurde allein vom Lesen so high, dass er von der Veranda fiel, mitten in die Büsche.

Später hast du dich dann dennoch fürs Spielen entschieden.
Ja. Zum Teil, weil ich dachte: Regie kann ich später immer noch machen. Wenn ich spiele, dann machen meine Gleichgesinnten – die Post-New-Wave-Generation der Filmemacher – mit mir zusammen zwei oder drei Filme, statt dass ich allein alle zwei Jahre einen Film mache. Das war nicht der einzige Grund, aber hey, ich bin ein Filmstar, ich musste das ausprobieren. Ich dachte, ich wüsste, was zu tun war, und wie sich zeigte, war ich in diesem Punkt kein Anfänger mehr. Ich war angekommen. Schau dir zum Beispiel Ein Mann sucht sich selbst an. Als ich Easy Rider machte, dachte das Publikum, das sei ich: ein Südstaatenanwalt, ein Südstaatentrottel, ein schrulliger Anwalt und dies und jenes. Und wen spiele ich in Ein Mann sucht sich selbst? Da bin ich ein Typ, der als Ölarbeiter anfängt – und in der Mitte des Films wird klar, dass er Konzertpianist ist, ein Intellektueller. Was könnte nützlicher sein fürs Image als so etwas?

Hat Bob nicht das Drehbuch geschrieben?
Zusammen mit Carole Eastman.

Für dich?

Klar. Danach haben sie noch ein paar interessante Drehbücher geschrieben. Alle Franzosen wollten sie haben. Sie war bei Jeff im Schauspielkurs. Jeff war der beste Improvisationslehrer aller Zeiten. Er hatte ein paar strenge Regeln. Keinen Plot, niemals »Fuck« sagen und auch nicht: »Das ist lächerlich.«

Warum?

Weil es jede Diskussion abwürgt, so wie »Fuck« jedes Gespräch beendet. Wenn du einmal »Fuck« sagst, gibt es kein Zurück mehr. Du kennst doch Unter Feinden, den neuen Film von Scorsese: Die Bewertungsstelle zählt die »Fucks« – na ja, man kann eben keinen Martin-Scorsese-Film machen und unter dem Limit für »Fucks« bleiben. Geht einfach nicht.

Wie war deine Zusammenarbeit mit James L. Brooks?
Er hat die unglaubliche Fähigkeit, Szenen aus dem Stand umzuschreiben. Es gibt einen Spruch über das Schauspielen: »Der Schauspieler muss scheitern.« Wenn ein Schauspieler eine Szene einübt und sie gefällt ihm nicht, liegt es daran, dass er vor ihr zurückscheut, oder er hat sie nicht richtig verarbeitet. Normalerweise handle ich nach der Devise: Die Szene erst ausprobieren, dann weiter bearbeiten. Und das ist die beste Methode, so lernt man es an der Schule. Mit Jim Brooks aber habe ich anders gearbeitet. Denn wenn ich ihm sagte, dass mir an der Szene etwas nicht gefiel, selbst wenn es nichts Bedeutendes war, hörte er sich das an und ging beiseite, und zehn Minuten später kam er mit einer besseren Szene zurück. Automatisch. Er ist ein Phänomen.

Viele Grüße von Roger Corman. Ich habe heute mit ihm telefoniert.
Das ist mein Mann.

Er klingt noch genauso wie vor vierzig Jahren.

Der Rechtschaffene altert in Frieden. Er gehört zu denen, weißt du, die ich immer vor mir sehe, obwohl ich ihn nie sehe.

Er macht immer noch Filme.
Natürlich. Er hat’s drauf, wie man so schön sagt.

Auf welchen früheren Film mit dir warst du wirklich stolz?

Mir gefiel die Wirkung meiner winzigen Rolle in Kleiner Laden voller Schrecken.

Oder »Psych-Out« von 1968.
Ja. Wäre ich heute ein Autor, der seinen Film »Love on Hate« nennt, und der Titel würde aus kommerziellen Gründen in »Psych-Out« geändert, könnte ich nur hoffen, genügend Einfluss zu haben, um das zu verhindern. Damals hatte ich ihn nicht.

Der ursprüngliche Titel war »Love on Hate«?

Der ist viel besser. Das war der Titel meines Drehbuchs. Ich hatte die Dinge durchlebt, über die ich damals schrieb. In metaphorischem Sinn habe ich alles, was ich schrieb oder spielte, als autobiografisch betrachtet. Ich musste es nicht wirklich erlebt haben, aber ich sah den autobiografischen Bezug oder die Querverbindungen zwischen den Themen, das hat sich ergänzt. Zum Glück hat unser Beruf einiges mit dem Leben zu tun, sodass wir nie ganz danebenliegen. Siehst du, das ist mal eine Auskunft über meine Arbeit. Selbst bei meinen ersten Filmen spreche ich gern über die Poesie, die Symbolkraft, den sogenannten künstlerischen Wert des Films, und den erwarte ich von einem Film, so wie ich das beim europäischen Film erlebt habe. Dort dachte ich nur: »Donnerwetter! So was muss ich auch machen.« Sehr schnell begriff ich, dass das dort gewissermaßen die Norm ist, das mit der Symbolik. Aber ich denke heute noch genauso, bei der Arbeit. Zum Beispiel Unter Feinden: Meiner Rolle lege ich ein durchgängiges Thema zugrunde und überlege mir, wie sich das im Film entwickelt. Egal welches Genre, du landest immer bei den großen Themen, die sich in irgendeiner Weise auf die Zeit beziehen, in der man den Film macht. »Totale Macht führt zur totalen Korruption« – das ist immer ein gültiges Thema, aber ein bisschen langweilig, weil man es zu oft gehört hat. Doch für die Arbeit ist es eine gute Orientierungslinie. Es wird nicht Gegenstand der Arbeit, nur so etwas wie ihre Untermauerung. Die Frage bei Unter Feinden lautet: Was ist Intelligenz? Was ist Information? Und wegen des modischen und völlig irren Verlangens nach totaler Transparenz mit allem Drum und Dran laufen wir Gefahr, dass wir zu einer Nation von Laborratten werden. Und das ist ein poetisches Bild, das ist so ein Grundthema, von dem ich bei Unter Feinden ausgegangen bin. Ob das irgendjemanden anspricht oder nicht, spielt keine Rolle – ob die Leute das eins zu eins verstehen. Letztlich muss ein Film einfach nur die Zeit wert sein, die man auf ihn verwendet. Unterhaltung, Bildung. Alles, was man eben von einem Film bekommen kann.

Nach Easy Rider und dann auch nach Ein Mann sucht sich selbst hast du auch da deine Dialoge auf eigene Faust umgeschrieben? Führt ein Schauspieler Regie, kriegt er nicht die Resonanz für seine schauspielerische Leistung, die er vielleicht verdient.

Das stimmt selbst bei Citizen Kane. Die Leute loben Orson Welles für seine Regie, reden aber selten über seine grandiose schauspielerische Leistung.
Orson mag ich auch deshalb, weil er nie versucht hat, zu ernst, zu seriös zu werden. Der Taschenspieler gehört von Anfang an zur Theatertradition.

Dann wirst du auch dem zustimmen, was Orson einmal zu mir gesagt hat: »Dass Henry Irving geadelt wurde, war der erste große Rückschlag für den Schauspielberuf.«

Er hat den Adel und die damit verbundene Würde angenommen, ja.

Und du glaubst, Jack, du hast diese Würde nicht ganz verdient.
Na ja. Ich rechne auf den Umstand, dass ich viel mehr davon besitze, als die Leute glauben. Ich bin weit davon entfernt, mich für die Welt oder das Land verantwortlich zu fühlen, ich versuche, mich den Dingen gewachsen zu zeigen, aber ich kenne auch meine Grenzen.

Du hast eine Art Bad-Boy-Image. Man verzeiht dir Dinge, die man anderen nicht so schnell verzeihen würde.
Ist es denn so schlimm, wenn man sich zur großen amerikanischen Tradition des Außenseiters rechnet? So weit »draußen« stehe ich doch damit gar nicht. Es ist endlos darüber geredet, geschrieben worden, von zahllosen Leuten. Das ist eine große Tradition, und zu der bekenne ich mich.

Du scheinst jedenfalls immer zu wissen, was du willst.

Aber man muss vergessen können, dass man ein Filmstar ist. Manchmal mache ich, wenn ich reinkomme, den Scherz: »Jetzt komme ich! Alles hört auf mein Kommando!« Aber das sind Arbeitstechniken. Die Selbstbeobachtung hat mir geholfen, schlechte Angewohnheiten zu eliminieren. Ich habe gelernt, dass Wiederholung nicht unbedingt gut ist für meine Art des Spielens. Alle finden es ganz toll, wenn du auf eine bestimmte Art stehst oder gehst oder was immer. Aber wenn es funktionieren soll, musst du fähig sein, solche Dinge zu eliminieren.

Machst du gern viele Takes?
Ich glaube, das hängt eher vom Regisseur ab.

Stanley Kubrick zum Beispiel ist berühmt für seine vielen Takes.
Über mich hatte er eine bestimmte Vorstellung. Er sagte: »Nur immer weiter. Bei Take acht etwa hast du’s gepackt.«

Hast du ihm recht gegeben?

Das weiß ich wirklich nicht mehr. Nur dass er sagte: »Bleib dran« oder so und: »Danach, irgendwann zwischen Klappe acht und 15, kommt wieder eine schwache Phase.« Ja, da war er sehr penibel.

Und andere Regisseure?

Das hängt von der Arbeitsweise ab. Ich probe lieber bei laufender Kamera. Was zum Beispiel, wenn was Tolles passiert? John Huston hat sehr wenige Takes gemacht. Ein großer Teil bei Die Ehre der Prizzis ist Take eins. Und nur wenige Szenen brauchten mehr als drei Takes.

Er war noch alte Schule. Da machte man nicht so viele Takes.
Und ich hab mich drauf eingestellt. Ich glaube, das kommt von der Art Sicherheit, die so einer wie John hatte.

Und du willst nie einen weiteren Take, wenn der Regisseur sagt: »Das war’s«?

Nie. Mein Job ist es, so spontan wie möglich zu sein. Ich kann nicht alles einbringen, was ich über das Filmemachen weiß. Ich habe da kein Regelwerk, das ist alles Intuition.

Gibt es unter deinen Filmen welche, die du ganz besonders magst?

Eigentlich nicht. Auf diese Frage antworte ich immer: die Filme, die ich selbst gemacht habe, und wenn das Resultat noch so traurig war.

Du meinst Filme wie Der Galgenstrick, 1978, oder Die Spur führt zurück von 1990?
Genau.

Wie war die Arbeit mit Marlon Brando in Duell am Missouri?

Erst einmal: Er hat sich in die Wildnis verzogen. Marlon war ein Naturkind. Er hauste an einem Fluss, weit weg von der Crew, er schwamm mit den Pferden, trieb all die Sachen, die ihm als Einsiedler Spaß machten. Und wir waren ein gutes Team, eins der besten. Snake, Harry Dean Stanton und Randy Quaid – alles Leute, die ich sehr mochte. Und zähe Burschen. Wenn du einen harten Typen spielst, musst du auch hart sein, anders geht es nicht. Aber es waren auch alles gute Schauspieler. Ich weiß, dass Marlon der Film Spaß gemacht hat, aber so was hätte er nie zugegeben. Er kam und sang für die Schauspieler.

Während deiner ganzen Karriere hast du immer Projekte angenommen, die nicht nach kommerziellem Erfolg aussahen. Ob nun Ein sicherer Platz, 1971, oder Der König von Marvin Gardens, 1972, oder Beruf: Reporter, 1975, von Antonioni. Du schaust dir das Drehbuch an und fragst dich, ob der Film ein Kassenerfolg wird? Wie entscheidest du dich dann?
Der König von Marvin Gardens
war ein Ergebnis der Gespräche zwischen Bert, mir und BBS. Ich glaubte, einen guten Eindruck vom Geschäft zu haben und gut mit Bert zurechtzukommen, als Bert mir die Rolle antrug. Ich sagte: »Erwartest du etwa, dass ich umsonst arbeite?« Er schaute mir einfach in die Augen und sagte: »Ja.« Ich wusste nicht, wie sehr Bob wollte, dass ich die Rolle übernahm.

Du hast den Antonioni-Film erwähnt.

Auf den trifft das, was du meinst, eher zu. Es gibt nämlich Filme, die nicht so aussehen, wenigstens auf den ersten Blick nicht, als hätten sie kommerzielles Potenzial. Aber du hoffst, dass trotzdem etwas drinsteckt, was einen trifft, so was wie ein Querschläger. Und ich hatte das Gefühl, dass das so ein Film werden konnte. Ein erfolgreicher Film, nicht nur ein schöner Film. Und das ist das Wichtigste – dass es ein schöner Film wird. Aber das kann man nicht wissen, darauf kann man nur vertrauen. Später zum Beispiel hatte ich ein Gespräch über Wolfsmilch: Jazz macht niemals so viel Kasse wie Rock ’n’ Roll. Da kann keiner dran vorbei. Wolfsmilch ist extrem anspruchsvoll. »Ich nehme die Rolle gern«, habe ich den Leuten gesagt. »Aber momentan habe ich nicht das Bedürfnis, mein Honorar zu mindern. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob sich der Film trägt, wenn ich da mitmache, oder ob das für Sie eine gute Entscheidung ist.« Als sie dann sagten: »Wir glauben, dass das eine gute Investition ist«, hatte ich einen Rückhalt und ich habe die Rolle gern übernommen. Und nie habe ich Klagen über den Film gehört. Ich glaube, er ist gut gelaufen. Genauso war es 2002 bei About Schmidt – der Finanzier wusste wirklich nicht, ob er das Wagnis eingehen sollte oder nicht. Ich war immer sicher, dass der Film Potenzial hatte, und es stimmte. Er hat ganz schön Kasse gemacht.

Und auch wundervolle Kritiken bekommen.
Ja. Bei diesen Filmen – Jazz oder Rock ’n’ Roll – ist man meistens froh über die Kritiken. Oft unterstützen die Leute einen Film nur deshalb, weil er mutig war.

Du machst auch kommerzielle Filme wie Batman  …

…  den ich als künstlerische Herausforderung betrachtet habe. Ich woll-te den Film auf eine bestimmte Art sehen. Ich hatte noch nie mit Maske gearbeitet, aber das ist ein befreiendes Gefühl. Du bist nicht so exponiert, verstehst du? Außerdem: Batman war mein großes Vorbild. Als Kind liebte ich Comics.

Erzähl mir von Unter Feinden.

Eines der spannendsten Dinge in dem Film war für mich zu erleben, wie Leo DiCaprio erwachsen wird. Er macht seine Sache wunderbar. Die Leute werden platt sein, wenn sie das se-hen. Und ich schätze mich glücklich, dass ich mich zum Mitmachen überreden ließ. Ich hätte nicht geglaubt, dass das Kalkül aufgeht – weil zu viele Stars drin sind. Aber wir haben alle hart gearbeitet, auch Alan Horn, der Chef von Warner Brothers. Du weißt, jeder bewegt sich ein bisschen. Ich bin da so reingerutscht, aber es war eine großartige Zeit, kreativ gesehen.

Wie kommt man als Schauspieler mit Martin Scorsese zurecht? Großartig. Weil er ganz locker, ganz frei ist. Dabei haben wir einige sehr abseitige Sachen gemacht. Was davon bleibt, wird sich zeigen. Der Probeschnitt, den ich gesehen habe, war sehr unterhaltsam. Dieser Film soll ja strukturierter sein als das, was er in letzter Zeit gemacht hat, was den Plot betrifft. Marty findet seinen Film beim Drehen. Das sollte auch so sein – bis der Film fertig ist. Ich finde das toll.

Warst du zufrieden mit Chinatown?
Ein schöner Film. Roman ist ein Weltklasse-Regisseur. Seine Setups sind einfach Spitze. Ein Osteuropäer im besten Sinne. Einerseits akademisch streng, andererseits total individuell, und das ist für mich das Größte. Der Stil von Chinatown konnte verwirren, man fragte sich, wie das Publikum reagieren werde. Genauso bei Beruf: Reporter. Aber ich hatte das Gefühl, dass Chinatown gut ankommen werde. Ich habe darauf mehr vertraut als andere Leute und mich für das interessiert, was bei der französischen Nouvelle Vague als »new mystery« bezeichnet wird – McLuhan hat darüber gesprochen –, die Entropie der Kommunikation. Also dass du das Publikum mit weniger Information fesselst, statt es damit zuzuschütten. Wenn du über die Arbeit redest, ist es die Art, wie du arbeitest. Das Schöne am Filmbusiness ist: Ja, du bist verbunden mit dem ganzen Universum und der Welt und allem, was drin ist – aber du weißt, du steckst in etwas drin, was anderen Maßstäben folgt. Im Film gibt es keine richtigen Gewehre. Ja, Leute kommen um beim Filmemachen, das ist das Traurigste, was dir passieren kann, so was zu erleben. Aber im Filmbusiness gibt es keine scharfen Waffen. Deshalb hast du mehr Freiheit, dies oder das zu sagen. So sieht es von drinnen aus, und trotzdem versuchst du, Allgemeingültigkeit zu erzielen. Die Vierzigerjahre sind ohnehin meine Lieblingsepoche. Insofern war ich auch sehr mit der Chinatown-Fortsetzung Die Spur führt zurück zufrieden. Mir gefiel, was der Regisseur da beobachtet hatte: Robert Towne schildert, wie Amerika in Bewegung kommt, der Krieg ist vorbei, die Männer sind zurück, sie haben ihre Geschichte, ihre Vergangenheit, aber sie schauen nach vorn. Ich kannte das alles. Ich war noch ein Kind, und es war eine schöne Zeit.

1975 hast du Einer flog übers Kuckucksnest gemacht.

Kuckucksnest
war ein kommerzieller Film. Wir mussten Probeaufnahmen machen, bevor wir alles Geld beisammenhatten. »Mach dir keine Sorgen, Michael, ich springe ein«, habe ich gesagt. So sicher war ich mir, und Michael wusste es. Nach den ersten Probeaufnahmen war die Diskussion beendet. Die Sache war realistisch, und es war schon zu sehen, dass es gut würde.

Was findest du an dem Film kommerziell – die Story?

Klar, die Story. Don Devlin und ich hatten die Filmrechte beantragt, als das Buch herauskam. Ich selbst war für die Rolle damals noch zu jung.

Kirk Douglas sollte die Rolle jahrelang übernehmen, für die du dann 1976 den Oscar bekamst.
Uns sagte man: »Ja, die Rechte sind zu haben für 200 000 Dollar« – oder was immer. Das Geld hatte ich nicht. Wir hatten es nur auf gut Glück versucht, weil wir den Stoff sehr kommerziell fanden – ich hatte schon einiges gehört. Ich wusste, dass Kirk das machen wollte, deshalb hat er das Stück auf die Bühne gebracht und ganz Hollywood eingeladen. Aber das Publikum, das er sich zusammengesucht hatte, schrak vor dem Thema »Geisteskrankheit« zurück, das war sein Pech. Er ist heute noch wütend, dass er den Film dann doch nicht gemacht hat. Ich hatte zuvor schon einmal ein Angebot von Hal Ashby abgelehnt, obwohl ich gern mit ihm arbeite, wie du weißt. Denn ich hatte sehr konkrete Vorstellungen, wie das Buch umgesetzt werden sollte.

Hal kam damit zu dir?
Ja. Auch Michael gab ich einen Korb, als er damit zu mir kam. Ich lehnte mehrere Male ab und wusste zwanzig Jahre lang, dass da ein großer Stoff herumlag, aber das Drehbuch musste eben stimmen. Dann brachte Michael mir Milos Forman, und Milos setzte sich ans Drehbuch. Die Sache war gar nicht so kompliziert, ich wollte nur was ganz Bestimmtes. Nachdem ich ihm ein paar Änderungen mitgeteilt hatte, die ich für nötig hielt, las ich das Skript und war dabei.

War das dein bis dahin erfolgreichster Film?
Es war der bis dahin erfolgreichste Film überhaupt. Jetzt steht Star Wars an der Spitze, aber diese Art Filme kamen später.

Stimmt es, dass Coppola dir den Paten angeboten hat?

Ja.
Warum hast du dich dagegen entschieden?
Der Pate
und Der Clou – die habe ich im selben Jahr abgelehnt. Vor allem deshalb, weil ich andere Dinge vorhatte. Für den Paten wäre ich die Idealbesetzung gewesen. Heute würde ich den nicht mehr ablehnen. Aber damals sah es so aus, als wären Tony Franciosa und Ben Gazarra die einzigen Italiener gewesen. Ich hatte das Gefühl, dass die Italiener das machen sollten – das war sehr selbstlos von mir.

Du hattest das Gefühl, dass du nicht wirklich hineinpasstest?

Ich hatte das Gefühl, dass ich genau hineinpasste. Ich verstand sehr gut, warum sie mich wollten. Schauspieler lesen bestimmte Bücher, Der Pate war eins davon oder Lonesome Dove. Bevor sich jemand daranmacht, fragen die Schauspieler schon: »Wer wird das verfilmen?« Das Buch war nach schauspielerischen Begriffen ein Muss.

Hast du gern mit Kubrick gearbeitet? Und wie war das?
Toll.
Haben dich die vielen Takes nicht zum Wahnsinn getrieben? Nein.
Nie?

Na ja, seine unglaubliche, hartnäckige Art, das war schon ein zweischneidiges Schwert – das konnte einen fertigmachen, klar. Aber ich war darauf vorbereitet. Eine Menge von dem, was er wollte, war reine Technik. Und da hatte ich Glück. Als Schauspieler habe ich eine gute Technik, wegen all der anderen Jobs, die ich gemacht habe. Ich kannte ihn schon lange, wir mochten uns.

Wolltest du nicht Napoleon mit ihm drehen?
Eine Menge von seiner Arbeit an Napoleon floss in Barry Lyndon von 1975 ein. Er hatte viele revolutionäre Ideen, was den Kostümfilm betraf. Ich hab ihn kennengelernt, als er hier war, er rief mich an. »Sie werden es nicht wissen, aber ich plane einen Film über Napoleon. Und eigentlich wollte ich nur englische Schauspieler. Aber ich brach mir das Bein, und als ich im Bett lag, sah ich Easy Rider. Wegen Ihrer Leistung habe ich meine Pläne für den Film geändert. Haben Sie Lust, den Napoleon zu spielen?« So fing unsere Unterhaltung an. Und dann redeten wir immer weiter. Selbst später, als er mir sagte, dass er nicht drehen konnte, weil das Geld fehlte, war ich noch voller Zuversicht – startete sogar Anfragen –, um ihm das Geld zu beschaffen. Aber aus irgendeinem Grund hat er den Film aufgegeben.

Also die Anzahl der Takes bei Shining, das hat dich nicht genervt. Zu diesem Film habe ich immer gesagt: Ich mag an Stanley, dass er keinen Druck ausübt.

Wirklich? Selbst bei diesen vielen Takes?
Für einen Schauspieler gibt es nur einen Druck, und der heißt: »Werde ich wirklich gut sein?« Wenn du dir sicher bist, dass dieser Regisseur keine Ruhe gibt, bis er alles genau so hat, wie er es will, dann wirst du gut sein, und wenn du neunzig Takes brauchst. Technisch ist das zwar hart – stell dir vor, du isst ein komplettes Frühstück, kannst die Eier und den Orangensaft nicht auslassen. Und wenn du das 28-mal wiederholen musst, hast du ein Problem. Eben Dinge dieser Art. Aber Stanley, glaube ich, war so vernarrt ins Filme-machen, dass es ihm, je länger es dauerte, desto mehr Spaß machte. Geschäftlich ist das natürlich eine Katastrophe. Er hatte eine sehr gute Meinung über die Filme anderer Leute. Schauspieler mochte er nicht so sehr. In England – du weißt das – muss die Crew abstimmen, ob du Überstunden machen darfst. Stanley kommt zu mir und sagt: »Ich weiß nicht, warum ich die überhaupt frage. Die stimmen immer gegen mich. Die sagen nie: ›Okay, drehen wir weiter‹, kein einziges Mal.« Und er jammerte sich ein bisschen bei mir aus. Aber er hatte recht. Sie haben nie weitergemacht. Sie hörten auf, machten eine Versammlung. Aber er wusste schon Bescheid, wenn er fragte. Und es war gar nicht so, dass sie nicht bezahlt wurden – das war nur ihre Reaktion auf seine Art zu drehen.

Hat er dir erklärt, was er wollte?
Jede Szene haben wir einen Tag geprobt. Und wir haben nie an dem Tag gedreht, an dem wir die Szene einstudiert haben. Ich mag dieses viele Proben nicht, aber – das zweischneidige Schwert – gegen Takes habe ich nichts. Jeder Take ist eine Chance, sich zu verbessern.

Hat er dir bestimmte Änderungen vorgeschlagen, oder hat er nur gesagt: »Noch mal das Ganze«?

Je nachdem. Zum Beispiel habe ich bei einem ersten Take unbedacht, aus einer Eingebung heraus, ein Käsesandwich von einem vorbeigetragenen Tablett genommen. Da war mir noch nicht klar, dass ich an dem Tag 57 Käsesandwiches essen würde. Na, ein bisschen kann man da mogeln. Ich weiß nicht, ob ich ihm das eingeredet habe – könnte sein –, aber ich hab ihm sehr geraten, Kontrollvideos zu machen. Weil er das Kontrollvideo hatte, behauptete er: »Du hast das Sandwich nicht angerührt« – oder die Sandwich-Attrappe. Ich sagte: »Oh doch!« Er: »Hast du nicht.« – »Na gut, schauen wir mal nach.« Dann sah er, dass ich es angefasst hatte – ich musste es ja schließlich wissen –, und ohne Kontrollvideo hätte er das nicht nachprüfen können. Aber so etwas war nicht unbedingt ein Grund für einen neuen Take, das wollte ich damit sagen. Er hat mir solche Sachen nie im Nachhinein vorgeworfen. Wenn ich was falsch machte, sagte er’s. Er war sehr penibel, nicht nur, was das Spiel betraf, sondern wie er die ganze Szene umsetzte. Ich glaube, Shelley Duvall hatte den härtesten Job, den ich je bei einer Schauspielerin erlebt habe – fast wie zwei Jahre Nordpol.

Warum?
Weil sie mehr als vierzig Prozent des Films in Panik ist. Und das Drehen ging über 14 Monate – der Darsteller muss also fünf oder sechs Monate jedes Mal wieder einen glaubhaften, technisch korrekten Irrsinn an den Tag legen. So hat er es mit Shelley gemacht: »Geh zurück in das hintere Zimmer, du bringst es noch nicht – los, streng dich an.« Er hat sie förmlich hineingetrieben in ihren Part. Zum Glück hat sie das besser verkraftet, als ich es hätte. Wenn mir das so gegangen wäre … Du weißt, dass ich viel träume; ich wache auf und träume die Rolle – das wirst du nicht los.

Du meinst, du wachst auf, während du von einer Rolle träumst?
Ja. Ich hatte eine schwere Depression, als wir About Schmidt drehten. Jeden Morgen dachte ich: Scheiße, jetzt muss ich wieder da rein und duschen – ich muss mir das wieder antun. Es kostete Überwindung. Weil ich in das Alter der Figur hineingeraten war.

Noch einmal zu Shining: Hat er gewöhnlich den letzten Take verwendet oder nicht?
Sehr oft, ja. Bei manchem, das vorher spontaner war – wie ich sie mit dem Schläger umherjage, zum Beispiel, davon war vieles improvisiert –, hat er sich für andere Takes entschieden. Eine andere Sache war – ich weiß nicht, ob es Taktik war oder echt: Ich fühlte mich bestärkt dadurch, dass ihm sehr gefiel, was ich machte, und das praktisch jeden Tag. Und ich kam schnell dahin, wo er mich haben wollte. Wir hatten nur ganz wenige Auseinandersetzungen wegen der Umsetzung. Die größte war: »Stanley, warum blendest du den sexuellen Teil der Beziehung aus?« Ich sah Jessica Lange, er sah Shelley Duvall. Der Sex war Teil des Buches, und ich wollte ihn in den Horror einbeziehen – für mich wird der Horror dadurch gesteigert. »Also, warum nicht?«

Was hat er zu deinem Einwand gesagt?

Er war immer kurz und knapp. »Kann ich dir sagen: Dann hätte das Publikum nicht das Geringste dagegen, wenn er umgebracht wird. Das ist zu erschreckend. Ich will einen in der Rolle, der nur ein bisschen beängs-tigend wirkt.« – »Okay, verstanden.«

Wie war die Arbeit bei Reds unter der Regie von Warren Beatty?
Fabelhaft.

Ihr wart befreundet.

Absolut. Wir waren gute Freunde. Noch ein kurzes Gespräch mit einem Regisseur: »Hör mal, Warren, ganz Amerika weiß, dass der Mann auf dem Buchumschlag von Eines langen Tages Reise in die Nacht Eugene O’Neill ist, dieser schmale, hagere Typ, der sich an den Mast des Segelboots lehnt. Ich kann alles spielen, aber nicht, dass ich schmal bin. Das haut irgendwie nicht hin.« Seine Antwort war die eines großen Regisseurs: »Wenn du den spielst, glauben alle, Eugene O’Neill sieht aus wie du. Das ist das Wesen des Kinos.«

Du wusstest, dass deine Rolle in Zeit der Zärtlichkeit 1983 einen Oscar einspielen würde, hast du mir erzählt.
Ja, das hab ich gesagt, und seitdem bereue ich es. So hätte ich die Leute nicht gelangweilt. Es war eine Art Arroganz, so wie Theaterleute gern mal auf den Putz hauen. »Klar, dafür kriege ich den Oscar.« Und mich dann ins Joch zu spannen.

Wie meinst du das?

Na, von dem Moment an, wo ich das sagte, bis zum Jahr darauf, als ich den Oscar gewann – das war eine lange Zeit.

Wie war John Huston?
Für eine gewisse Phase meines Lebens kannte ich den tollsten Typen der Welt – nämlich ihn. Leute wie John sind Vaterfiguren für mich. Ich ließ nichts auf ihn kommen.

Er war sehr witzig.
Und ein grundsolider Typ. Aber nicht so solide, dass er nicht auch übermütig geworden wäre. Ich kannte ihn schon, bevor ich Anjelica kennenlernte. Wir hatten über vieles geredet. Und ich wusste, dass wir uns vertrugen. Jeder mochte John – aus der Distanz. Zum ersten Mal arbeitete ich mit ihm bei Chinatown. John ist der letzte Vertreter des Studiosystems. Der letzte, der es praktiziert hat. Er war der Außenseiter, obwohl er der eigentliche Insider war. Der letzte Vertreter von: »Darsteller und Story, mehr wollen wir auf der Leinwand nicht sehen. Der Schauspieler soll gut sein, er soll ein Star sein, und wir wollen die Story.« Das ist das klassische Studiosystem in seiner ganzen Enge. Und du brauchtest einen Kongressbeschluss, wenn du aus einem schrägen Winkel filmen wolltest. So was war undenkbar, außer du wolltest zeigen, dass jemand aus dem Lot geraten ist. Nach ihm kamen die Unabhängigen, mit Orson Welles. John und Orson waren gute Freunde. Orson brachte den Regisseur auf die Leinwand. Und es ist wie immer: Das Publikum lernt. Die Leute kotzten, als ihnen Allan Dwan den ersten Dolly Shot servierte.

Du warst viele Jahre mit Anjelica zusammen. Hat John den Schwiegervater herausgekehrt?
Aber ja. Das hab ich an ihm geliebt. Er war ein bisschen wie Shorty und eine Menge andere Männer, die ich mochte. Und kein bisschen Herablassung von seiner Seite. Er wollte wirklich wissen, wie ich dachte.

Er hatte auch großen Respekt vor dir.
Schön wär’s. Ich weiß nicht, ob’s stimmt. Man will keine Fehler machen, wenn man John Huston beschreibt. Apropos Respekt: John hatte den, bei der ganzen Branche. Wenn er vorbeikam, standen die Assistenten auf. Du bist vom Film, du weißt, was das bedeutet.

So was passiert nicht mehr.
Nicht annähernd. Mir läuft’s den Rücken runter, wenn ich das sage. Und er hat das irgendwie übersehen, ging einfach weiter. Da kriegte er schon Sauerstoff und all das.

Jack, wenn du auf deine Karriere zurückblickst: Was war das Wichtigste für dich?
Ich muss mitwirken, muss mich immer einmischen. Auch das ist etwas, was John gesagt hat: »Was am Ende bleibt, ist der Film. Alles andere zählt nicht.« Ich bin ein bisschen sprunghaft und vielleicht auch idealistisch – aber ich hatte großes Glück, ich konnte immer arbeiten, ohne meine Integrität zu verletzen und ohne mich von meiner Integrität lähmen zu lassen. Eine Menge gute Filme sind so entstanden, wenn ich zurückblicke. Nur einen einzigen Film hab ich wegen des Geldes gemacht – für Vincente Minnelli. Aber du kannst mir alles sagen, was du willst. »Sag mir, dass ich Scheiße bin«, sage ich immer. »Ich will, dass du alles sagst, ohne Rücksicht.« Ein bisschen schäme ich mich deswegen, aber wenn ich in Aktion trete und alle miteinander versuchen, das Beste aus der Sache zu machen, dann finde ich auch einen Weg, das zu integrieren, das zum Funktionieren zu bringen, selbst wenn mir der Film überhaupt nicht gefällt. Ich will das bestmögliche Ergebnis. Viele Leute sagen: Oh, mit Burt Lancaster wäre der Film wunderbar geworden. Aber Kino ist die Kunst des Möglichen. Auch wenn die Filmkritik das nicht immer so sieht. Wenn mich jemand nach seinem Film fragt, mache ich’s wie in der Schule. Ich frage: Was wolltest du erreichen? Woran hast du besonders gearbeitet? Meistens sprechen sie einen an, weil sie einen Rat wollen, weil sie unsicher sind oder was auch immer. Als Erstes versuche ich dann zu sehen, was sie vielleicht nicht gesehen haben, eine Möglichkeit, dem Ziel näher zu kommen.

Du hast Allan Dwan erwähnt. Ich sagte einmal zu ihm: »Wie fühlt man sich so mit 93?« Und er: »Oh, nicht anders als sonst.« – »Wie meinst du das?« Er: »Nun, ich fühle mich noch immer so wie als Kind. Und wenn ich mich im Spiegel sehe, frage ich: Wer ist dieser alte Mann?«
Ich habe noch niemanden getroffen, der das nicht so empfindet. Das geht jedem so. Dieser fremde Mann im Spiegel schockiert mich jedes Mal. Und ich bin froh, dass ich nicht mehr so gut sehe. Nur aus diesem Grund.

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