L O V E stand da, einfach L O V E, rot leuchtete der Schriftzug aus einem Fenster im dritten Stock. Vier Buchstaben nur, doch ihre Botschaft war unmissverständlich: Es wohnten jetzt wieder Menschen in dem Altbau mitten in München-Schwabing, wenn auch nicht dieselben wie früher. Das alte Mietshaus hatte sich in eine Luxusimmobilie verwandelt. Ein paar Tage später begegneten mir die vier Buchstaben wieder, diesmal bei ProSieben. Sandy Meyer-Wölden führte durch ihre Wohnung. Großaufnahme, eine Pop-Art-Skulptur, derselbe Schriftzug im Fenster: L O V E. War Sandy Meyer-Wölden in das restaurierte Haus in Schwabing eingezogen?
Nach der ProSieben-Episode ging ich wieder am L O V E-Haus vorbei und suchte den Namen Meyer-Wöldens auf dem Klingelschild. Vergeblich. Hier wohnen fast nur Menschen, die ihren Namen abkürzen: MJK, MJP, FW und, ja, M-W. Wie Meyer-Wölden. Nur drei der acht Parteien geben ihren ganzen Namen preis, eine Wohnung ist noch nicht vermietet. Offenbar soll keiner wissen, wer hier wohnt. Ich beschloss, es herauszufinden. Klingeln, mich kurz vorstellen, um Einlass bitten, nur ein paar Fragen. An manchen Tagen kam ich mehrmals vorbei. Es wurde eine lange Woche im September. Auf keinen Fall darf hier stehen, wo genau dieses Haus sich befindet. In einer der schönsten Ecken Schwabings, das muss genügen, alles andere falle unter den Schutz der Privatsphäre, sagt die Justiziarin des Süddeutschen Verlags. So ging es weiter. Eine Frau, die alle Mieter kennt, doch über sie partout keine Auskunft geben will und auch selbst nicht genannt werden möchte, sagt nur: »Das sind keine einfachen Menschen.« Auch der Eigentümer verbirgt sich hinter einer verschachtelten Konstruktion von Firmen, die alle in einer feinen Adresse im Münchner Herzogpark zu Hause sind.
Vor knapp einem Jahr hatte ich mir selbst einige Wohnungen in dem ominösen Haus angesehen. Acht waren auf einen Schlag zu vermieten, vom Hochparterre bis in den dritten Stock, sowie eine unterm Dach, alle »hochwertig kernsaniert«. Also neues Parkett, aufwendig restaurierter Stuck, luxuriöse Bäder. Einen Aufzug gibt es nun, und – absolute Rarität in einem Altbau – ein »Komfortparksystem« unter dem Haus, Tiefgarage hätte man früher dazu gesagt. Die Maklerin, die mich herumführte, sah blendend aus, ihrem Äußeren nach hätte man sie genauso gut in einer Modelagentur vermuten können.
Die kleineren Wohnungen, rund 110 Quadratmeter groß, sollten 2800 Euro kosten, die größeren, 130 Quadratmeter, 3400, die 310-Quadratmeter-Dachwohnung 7800 Euro. Kalt, Nebenkosten extra. Das sind, je nach Stockwerk, zwischen 25 und gut 26 Euro für einen Quadratmeter. Mehr als dreimal so viel wie früher.
Als wir uns damals in dem riesigen Treppenhaus verabschiedeten, stellte ich der Maklerin eine letzte Frage: Ob es möglich sei, dort einen Kinderwagen abzustellen. In ihr Gesicht schlichen sich Züge des Entsetzens. Fassungslos antwortete sie: »So ein Haus ist das nicht.«
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Bis vor drei Jahren war es ein gewöhnliches Mietshaus, dann wurde es plötzlich zum Investorenobjekt.)
Bis vor drei Jahren jedenfalls war es noch ein gewöhnliches Schwabinger Mietshaus. Damals zog die Letzte der alten Mieter aus, die Witwe des langjährigen Hausmeisters. Mehr als dreißig Jahre lang gehörte das Haus dem Augustinum, einer Stiftung, die Altenheime unterhält. Eine Braumeisterstochter hatte das Haus in den Siebzigerjahren der Stiftung vermacht, mit der Auflage, die Mieten nicht zu erhöhen: acht Euro pro Quadratmeter. Und dabei blieb es, bis zum Schluss. 2004 verkaufte das Augustinum das Haus, man hielt es nun für »nicht betriebsnotwendig«. Die neuen Eigentümer boten den Mietern Abfindungen an, wenn sie einwilligten, auszuziehen. Die meisten bekamen zwischen 10 000 und
20 000 Euro. »Auf einen Schlag wurde damals aus dem Haus ein Investorenobjekt«, erzählt ein ehemaliger Mieter.
In München liegen die Mieten mit zehn Euro pro Quadratmeter siebzig Prozent über dem Bundesdurchschnitt. In dem großen unbekannten Haus in Schwabing liegen sie noch zweieinhalb Mal höher. Zeigt sich hier die Scham der Reichen? Macht mir deshalb keiner auf? Ist es das, was keiner wissen soll? Unten im Haus befindet jetzt sich ein kleines Geschäft. Betrieben von einem sympathischen älteren Mann. Er trägt seine Haare schulterlang und war als Unternehmer schon einmal sehr bekannt und erfolgreich. Auch er muss anonym bleiben, es wäre sonst zu leicht, das Haus ausfindig zu machen. Obwohl er natürlich nichts dagegen hätte, wenn man seinen kleinen Laden hier erwähnen würde. Sein neues Geschäft hat mit seiner früheren Branche nichts, aber auch gar nichts zu tun. Manchmal nimmt er die Post der Mieter entgegen.
In der Wohnung, in der nun Sandy Meyer-Wölden lebt, wohnte früher ein Maler. Rabe, einfach nur Rabe, nennt er sich. Er hatte einmal versucht, herauszufinden, wer der neue Eigentümer ist. Es gelang ihm nicht.
Zum Beispiel Freitag, 11. September, 14.15 Uhr. Mein vierter Versuch, herauszufinden, wer hier wohnt. In der Dachwohnung steht ein Fenster offen und im zweiten Stock steht ein grauhaariger Mann am Fenster. Er hält eine Kaffeetasse in der Hand. Ich klingle nacheinander bei MJK, M-W, MJP und FW. Keiner reagiert.
Freitag, 11. September, 18.40 Uhr. Fünfter Anlauf. Diesmal beginne ich bei M-W. Nichts. Noch mal, diesmal bleibe ich etwas länger auf der Klingel. Ach, Sandy, mach doch auf. Nur ein paar Fragen. Ich lächle in die Kamera. Keine Reaktion.
Ich klingle bei MJK unterm Dach. Das Fenster ist nun gekippt. Endlich! Ein lang gezogenes »Hallooo?« Eine Frau, um die dreißig. Ich stelle mich vor und schicke die Bitte hinterher, ob sie ein paar Fragen beantworten könne.
»Nein, leider nicht. Danke schön.«
»Ich kann später kommen, wenn es jetzt nicht passt«, sage ich.
»Nein, am besten gar nicht.«
»Mit wem spreche ich denn?«, frage ich.
»Sie sehen doch, wo Sie geklingelt haben. Dann wissen Sie doch den Namen!«
»Nein«, sage ich, »darum geht es ja: Er steht nicht dran.«
»Spielt ja dann auch keine Rolle.«
»Eben doch«, sage ich.
»Nein«, sagt die Stimme, »ich möchte nicht mitmachen. Tschüß.«
Nächster Versuch. Diesmal bei MJP, wieder mit Kameragesicht, nicht zu verwechseln mit MJK unterm Dach.
»Ja, hallo?« Ein älterer Herr, es müsste der mit der Kaffeetasse sein. Ich sage, dass ich ihm gern ein paar Fragen stellen würde. »Nein, tut mir leid«, sagt er, »wir müssen jetzt weg.«
»Ich komme gerne ein anderes Mal.«
»Nein, wir verreisen in einer halben Stunde. Vielen Dank.«
Eineinviertel Stunden später hat noch immer niemand das Haus verlassen. Jetzt kommt eine blonde Frau heraus. Sie steigt in ein Taxi. Habe ich mit ihr zuvor gesprochen? Es dämmert jetzt. Im zweiten Stock steht ein Mann im Erker und fotografiert. Mich. Ich sehe direkt in das Blitzlicht. Das muss MJP, der Kaffeetrinker sein. Ein Graf aus Hessen, wie ich heute weiß.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Ein schwarzer Geländewagen fährt vor, mit verdunkelten Scheiben.)
Wenige Augenblicke später: Neben mir fährt ein schwarzer Mercedes-Geländewagen im Schritttempo, die Scheiben sind verdunkelt. Früher war in dieser Gegend auch oft eine dunkle Limousine mit verdunkelten Scheiben zu sehen. Veronica Ferres und ihr Ex-Mann Martin Krug fuhren damit herum. Sie war so auffällig, dass die Leute stehen blieben, wenn sie hielt.
Am Ende der Straße biege ich nach links, er darf nur nach rechts. Auf seinem Kennzeichen die Initialen MK. Ich schaue ihm nach. Er sperrt die Eingangstür des Hauses auf, vor dem ich so viel Zeit verbringe. Kurz darauf geht oben unterm Dach das Licht an. Dort, wo MJK wohnt. Martin Jochen Krug, der Ex von Veronica Ferres.
Man kann sich natürlich fragen, wie das zusammengeht, die Initialen auf dem Klingelschild, die Initialen auf dem Kennzeichen, die verdunkelten Scheiben, das auffällige Auto. Bewirken zusammen genommen diese vermeintlichen Attribute des Ruhms nicht genau das Gegenteil dessen, was sie vorgeben zu beabsichtigen, nämlich erhöhte Aufmerksamkeit? Als spielte da einer Verstecken und verhielte sich dabei so auffällig, um nur ja gefunden zu werden. Entlarvt sich da der Ein-bisschen-Prominente als jemand, der gern zu den richtig Wichtigen zählen möchte? Und zeugt das nicht von Hybris, wenn einer glaubt, der schlichte Name Krug auf dem Klingelschild würde direkt auf ihn verweisen? Ginge es tatsächlich darum, sich vor ungebetenen Gästen zu schützen und ein wenig Privatsphäre zu bewahren, wäre der schlichte Name an der Tür nicht viel unauffälliger und die bessere Tarnung?
Fünf Tage klingeln – und mir hat immer noch keiner die Tür geöffnet. Ich schicke ein Mail mit je acht Fragen an Sandys Management und an Martin Krugs Büroadresse, mit der Bitte um Beantwortung. Von Sandy würde ich gern wissen: Handelt es sich bei der Adresse in Schwabing um Ihren Hauptwohnsitz? Oder nur eine gelegentlich genutzte Bleibe? Und: Spielte der Umstand, dass mit Martin Krug und Verena Kerth weitere Prominente in das Haus eingezogen sind, eine Rolle bei Ihrer Entscheidung, dort hinzuziehen? Vier Tage später lässt Sandy Meyer-Wölden ausrichten: keine Antworten, Fragen zu privat. »Wir melden uns«, lässt Martin Krugs Büro fünfmal auf meine Anfragen ausrichten. Was schließlich bedeutet: Wir sagen gar nichts.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Chichi, ein bisserl Protz, viel Geld: Kommt hier nicht all das zusammen?)
Kommt hier nicht all das zusammen, was Hamburger Münchnern gern vorhalten: Chichi, ein bisserl Protz, viel Geld und Wichtigtuerei? Und ist es nicht ein Witz, dass das Gesetz in diesem Fall ausgerechnet diejenigen in Schutz nimmt, die sonst jede Gelegenheit nutzen, öffentlich wahrgenommen zu werden und ihre Bekanntheit zu steigern, weil ihre öffentliche Präsenz die Grundlage ihres Gewerbes ist? Absurd auch, weil bis zum Jahr 2006 in München sogenannte Stadtadressbücher auslagen. Jeder, der wollte, konnte dort nachschlagen, wer in welchem Haus wohnt. Die Daten stammten direkt von den Meldeämtern.
Was kommt heraus, wenn man sich das Personal vornimmt, das dieses Haus bewohnt? Dann hat man Martin Krug, den Ex von Veronica Ferres, Krugs neue Freundin Verena Kerth, die Ex von Oliver Kahn, Sandy Meyer-Wölden, die Ex von Boris Becker, ihren neuen Freund Oliver Pocher, den Ex von Harald Schmidt – na gut, Monica Ivancan hieß seine letzte Liebe – alle unter einem Dach.
Auch bei FW hat nie einer geöffnet. Heimlich hoffte ich, es handelte sich um Fritz Wepper; es soll aber ein junger Mann sein, selbst die Nachbarn wissen nicht, wer – vermutlich weil er kein Prominenter ist. »Vielleicht hat er sich auch nur für ein Kürzel entschieden«, mutmaßt einer, »weil er glaubt, dass man das in so einem Haus machen muss.«
Der rote Teppiche beginnt hinter der Eingangstür. Er zieht sich den ersten Treppenabsatz hinauf ins Hochparterre und endet zwischen zwei Buchsbäumchen, die in schwarzen Designertrögen stecken. Im Treppenhaus Lüftlmalereien, die bei der Renovierung unter vielen Schichten Farbe entdeckt und von einem Kirchenmaler aufwendig restauriert wurden. Nach sieben Tagen klingeln hat mir wirklich jemand die Tür geöffnet, dessen Name ausgeschrieben am Klingelschild steht. Schön, erzählt er, ist es, hier zu wohnen, mitten in Schwabing, teuer zwar, doch Qualität koste eben. Seltsam sei nur das Gefühl, in einem leeren Haus zu leben. Die meisten nutzen ihre Wohnung nur gelegentlich, als Stadtwohnung. Man sehe sie kaum. Die Sandy, sagt er auf Nachfrage, sei eine Nette, umgänglich und freundlich. Genauso der Oli, eine Weile habe man sie oft zusammen gesehen. Die Verena sei eigentlich auch nett. Es klingt vertraut, gar nicht nach Treppenhausbekanntschaften.
Ich werde wiederkommen, wenn Sandy und Oli ihr Baby haben; ich möchte
sehen, ob sie es wagen, den Kinderwagen im Eingang abzustellen.
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Sollte Autor Philip Reichardt einmal berühmt werden, würde er keine Initialen an seine Tür schreiben, sondern es wie jene Bewohner am Münchner Viktualienmarkt halten, auf deren vier Klingelschildern die Namen Lennon, McCartney, Starr und Harrison stehen.
Illustrationen: Bernd Wagener