SZ-Magazin: Herr Phoenix, Sie sind doch mindestens einen Kopf kleiner als der Mann, den Sie in »Walk The Line« darstellen: Johnny Cash. Joaquin Phoenix: Ja, Cash war fast zwei Meter, doch seine Aura war noch mächtiger als sein Körper. Kam er zur Tür herein, blickten alle zu ihm auf. Spielen Sie im Film auf einer extrakleinen Gitarre, damit die Proportionen wieder stimmen? Ich benutze eine normale Gitarre – ein kleineres Modell hätte lächerlich gewirkt. Da stimmen dann wieder die Proportionen zwischen Bauch und Steg des Instruments und meinem Körper überhaupt nicht mehr. Cash hatte einen seltsamen Stil: Er umarmte seine Gitarre mit dem rechten Arm, statt von oben rüberzugreifen, weil er so lange Arme hatte. Ich musste also lernen, meinen viel kürzeren Arm um die Gitarre zu legen, irgendwie die Saiten zu erreichen und dabei Cash-mäßig entspannt zu wippen, als wäre ich ein Zwei-Meter-Mann. Was finden Sie einfacher: einen Charakter selbst zu kreieren oder eine reale Person zu spielen? Ich finde, ehrlich gesagt, überhaupt nichts einfach an meinem Job. Es ist ein verdammter Terror, als Schauspieler zu arbeiten. Auf meine Filme bereite ich mich monatelang vor, weil ich zum ersten Drehtag perfekt präpariert sein will. So wie ich meinen Job auffasse, gibt es wenig Raum für Zufälle. Andere Schauspieler gehen nach Feierabend saufen, ich sitze in meinem Wohnwagen, vermeide überflüssige Gespräche und konzentriere mich auf den nächsten Arbeitstag. Damit will ich aber nicht sagen, dass ein saufender Schauspieler kein guter Schauspieler sein kann. Ist bloß nicht mein Stil. Solange die anderen ihren Text beherrschen und pünktlich sind, gibt es von mir keine Klagen. Sie gehen lieber in Ihrer Freizeit saufen? Ist schon lang her. Noch mal zurück zur Vorbereitung auf eine Rolle: Bevor Sie also einen Feuerwehrmann in »Im Feuer« spielten, löschten Sie selber ein paar Feuer? Ja, ich habe bei der Feuerwehr von Baltimore gearbeitet. Für den Commodus in »Gladiator« studierten Sie das alte Rom? Ich war lang in Italien und habe versucht, die dortige Mentalität zu verstehen: Das war eher eine psychologische Herausforderung. Wer sich entscheidet, Johnny Cash darzustellen, setzt seine Karriere aufs Spiel. Man kann eigentlich nur scheitern an diesem Mythos. Als mich unser Regisseur James Mangold vor drei Jahren fragte, habe ich trotzdem nicht mal eine Sekunde lang überlegt. Ich habe sofort zugesagt. Überrascht oder gelangweilt von den Kritiken, die Sie nun als Favoriten für den Oscar handeln? Davon habe ich noch nichts gehört. Wenn es etwas gibt, was mir egal ist, dann sind das Kritiken und Oscars. Aber das Lob von Kris Kristofferson, der eng mit Johnny befreundet war, bedeutete mir viel. Er sagte, ich hätte Johnny stolz gemacht. In jeder Besprechung von »Walk The Line« heißt es, der Film etabliere Sie als talentiertesten Schauspieler Ihrer Generation. Wenn jemand zu mir sagt: »Joaquin…« Aha. Ich habe mich immer gefragt, wie man Ihren Vornamen korrekt ausspricht. Sie selbst sagen also »Wah-kien«. Ja. Wenn also jemand sagt: »Wah-kien, du bist großartig«, dann laufe ich weg. Da kann etwas nicht stimmen. Ich brauche Widerspruch, um mich wohl zu fühlen. Warum haben Sie ohne Zögern zugesagt? Drei Gründe: James Mangold – ein brillanter Mann, der mein Kumpel ist, seit er mit meiner Ex-Freundin Liv Tyler Filme drehte. Das Drehbuch – eines der besten, die ich je gelesen habe. Johnny Cash – ich bin Fan, seit ich Musik höre. Er ist einer meiner ewigen Helden. Identifizieren Sie sich mit Cash auch wegen der Parallelen zwischen ihm und Ihnen? Sie sahen Ihren Bruder River 1993 auf dem Gehweg in Los Angeles sterben, Cash saß am Todesbett seines Bruders Jack. Das war das prägende Ereignis seiner Jugend. Kann sein. Was gefiel Ihnen an dem Drehbuch? Dass es eben gerade keine Verherrlichung des Mythos Cash werden sollte, sondern ein Film, der die Frage beantwortet: Wie wurde Johnny Cash zum Mythos? Wenn wir an ihn denken, sehen wir meist den Cash nach 1968: den Mann in Schwarz, der wie ein Heiliger auftrat, spirituell war, aber ebenso berechnend. »Walk The Line« handelt davon, wie er der Mann in Schwarz wurde: von den Jahren seiner Kindheit bis zur Aufnahme des Konzerts im Gefängnis von Folsom 1968, das ihn zu dieser gewaltigen Ikone Amerikas machte.
Einige Kritiker bemängeln, dieser Film werde Cashs komplexer Persönlichkeit und Biografie nicht gerecht. Aber war das überhaupt Mangolds Anliegen? »Walk The Line« ist ein Liebesfilm, und zwar einer aus Hollywood. Die Liebe zu June Carter war es, die Johnny zum großen Künstler werden ließ. Oder besser: Ihretwegen hat er überlebt. Im Zentrum des Films steht diese Romanze zwischen zwei Menschen, die von unterschiedlichen Planeten kamen. June stammte aus dem Establishment der Szene, ihre Familie bestand aus Countrystars. Johnny war der wildeste Rebell seiner Zeit. Ein Gesetzloser, der zufällig bei Sun Records mit Elvis und Jerry Lee Lewis Platten aufnahm und vom Erfolg überwältigt wurde. Der Film geht auch deswegen so sehr zu Herzen, weil man mitfiebert, wie sich diese Beziehung entwickelt: Cash und seine erste Frau Vivian, gespielt von Ginnifer Goodwin, wollen sich lieben, doch sie können nicht. Cash und June Carter dürfen sich nicht lieben, doch sie können es nicht sein lassen. Was da zwischen Ihnen und Reese Witherspoon, die June Carter spielt, passiert, nennt man wohl eine gute Chemie. Hören Sie, ich weiß genau, was ich tun muss, damit man mir eine Liebesszene abnimmt. Es gibt sicherlich wenige, die diesen Beruf so ernsthaft und besessen ausüben wie ich. Mit einer Partnerin wie Reese fällt es natürlich leichter: Sie ist auch ein verdammter Profi, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich sie respektiere. Das Gelingen dieses Films hing im Grund von der Frage ab: Können Sie und Witherspoon diese epochale Liebe glaubwürdig verkörpern? Ich hätte mir keine bessere Partnerin wünschen können – wo Reese auftaucht, herrscht gute Laune. Als Schauspielerin wird sie furchtbar unterschätzt. Sie ist doch fantastisch in »Natürlich blond« oder »Election«. Solche Rollen sind anspruchsvoller als jeder Part in »Der Pate«. Warum? Weil dir in einem Film wie »Der Pate« die Handlung die Arbeit abnimmt. Marlon Brando und Al Pacino tun eigentlich nichts Besonderes, trotzdem haut dich jede Szene um, weil du weißt, wie viel von ihren Worten abhängt. Reese’ Leistung in »Natürlich blond« ist höher einzuschätzen, weil du in so einem Film richtig hart arbeiten musst, um lustig zu sein und gleichzeitig glaubwürdig. Sie singen in »Walk The Line« die Cash-Stücke selbst. Reese und ich sagten eine Woche vor den Dreharbeiten: »Wir wollen nicht singen, das kriegen wir nicht hin.« James antwortete: »Ich verklage euch, wenn ihr euch jetzt nicht zusammenreißt.« Seit Sissy Spacek in »Nashville Lady« hat das wohl niemand mehr gemacht: in einem Musikfilm live singen. Normalerweise bewegt man vor der Kamera nur die Lippen und nimmt erst hinterher den Gesang auf. Zum Glück konnte auch Cash nicht singen. Er war kein Pavarotti, aber er hatte diese unglaubliche Kraft, mit der er seine Lieder aus dem Körper herausdrückte. So was ist schwieriger zu imitieren als der Gesang eines ausgebildeten Tenors. Wie lernten Sie dieses Herausdrücken? Ich habe mir ein Haus im Wald gemietet und mich fünf Monate darin eingeschlossen mit meinem Material: Musik, Bücher, Videos und meine eigenen Interviews, die ich mit June und Johnny vor ihrem Tod 2003 führte. Zuerst musste ich lernen, meine Stimme fünf Zentimeter weiter nach unten in meinem Hals zu verlagern. Von da holte Johnny seinen düsteren Sound her. Der Alabama-Slang, dieses breiige Betonen der Vokale, fiel mir leicht. Grinsen mit einer schiefen Lippe; das simple Gitarrenspiel; die steife Körperhaltung – ich habe fünf Monate lang von morgens bis abends daran gearbeitet, Johnny zu werden. Das Geheimnis ist, diese Dinge beiläufig erscheinen zu lassen, und bis man das draufhat, vergeht viel Zeit. Wie viel von Ihrer eigenen Persönlichkeit steckt in dem Johnny? Ich hasse die Vorstellung, dass ein Schauspieler seine eigenen Erfahrungen in eine Rolle einbringt. Ich versuche, das Gegenteil zu erreichen: Mein Ich soll verschwinden. Haben Sie eine Freundin? Es fällt mir schwer, Beziehungen aufrechtzuerhalten, während ich arbeite. Wenn Sie für jede Rolle so intensiv Ihre Figur studieren: Wirkt sich das auf Ihren eigenen Charakter aus? Als ich nach den Dreharbeiten in meine alte Wohnung kam, fühlte ich mich nicht mehr wohl. Die Einrichtung, die Bilder an den Wänden – ich hatte das Gefühl, sie gehörten einer anderen Person. Das ist mir schon öfter passiert. Dauert ein paar Monate, bis ich mich an den Alltag nach dem Film gewöhne. Eine Art Schizophrenie? Manchmal bewege ich mich da an einer Grenze.
Sie haben nie eine Schauspielschule besucht, aber Ihre Technik scheint so zu funktionieren wie das Method Acting: Sie spielen die Figur nicht einfach nur, sondern Sie gehen für eine Weile vollkommen in ihr auf. Ich bin kein Techniker, diese Methoden interessieren mich nicht. Auf jeden Film bereite ich mich anders vor, das mache ich alles nach Gefühl, und wenn ich mich zu sehr in der Figur verliere, merke ich es immer noch selbst. Nach Feierabend bin ich wieder Joaquin und nicht Johnny oder Commodus. Wissen Sie, wie man das in Hollywood nennt, wenn sich Schauspieler übertrieben in eine Rolle reinsteigern? Nein. Das heißt DDLing (gesprochen: DieDieEling) nach Daniel Day-Lewis. Der ist bekannt dafür: Wenn er einen Serienkiller spielt, muss man fürchten, dass er nachts in deinem Wohnwagen steht und dich absticht. Aber ich will mich nicht lustig machen, er ist ein guter Mann. Sie gelten als eigensinnig. Lassen Sie sich vom Regisseur was sagen? In diesem Fall ganz enorm. Es war James’ Projekt von der Idee bis zum Schnitt. Er schrieb das Buch, trieb das Geld auf und brachte uns alle ins Ziel. Das war nicht einfach, denn er gehört nicht zu den Regisseuren, denen sich alle Türen öffnen, sobald sie einen Vorschlag machen. Wir arbeiteten mit einem Minibudget von 30 Millionen Dollar. Reese überredete den Gouverneur ihres Heimatstaates Tennessee, die Produktion zu subventionieren, damit wir in Memphis drehen konnten. Der Film sieht deutlich teurer aus. Reese verdient normalerweise 15 Millionen Dollar pro Film, doch sie verzichtete auf einen Großteil. Wir hatten zu wenig Geld, um vier Jahrzehnte nachzustellen. Allein ich trage sechzig verschiedene Kostüme. James legte viel Wert auf die Klamotten und andere Details, denn sie waren entscheidend für die Atmosphäre des Films. Wenn heutzutage jemand einen historischen Film macht, färbt er die Bilder hinterher orange oder bräunlich, weil es preiswert einen antiken Effekt erzeugt. »Walk The Line« arbeitet nicht mit Tricks, wir verwendeten keine Computer. Unsere Reise durch die Jahrzehnte und die Bewusstseinszustände bedeutete harte Arbeit an Kleinigkeiten. Worauf sind Sie in diesem Film besonders stolz? Auf meinen Gang. Johnny winkelte seine Knie nicht an beim Gehen und wirkte ein wenig roboterhaft. Das habe ich gut hinbekommen. Nehmen Sie ein Lob an? Mal sehen. Ihnen und Ihrem Team ist ein Meisterwerk gelungen. Das interessiert mich nicht. Ist schon vorbei. Ich frage mich nur: Was soll ich als Nächstes machen? Werde ich jemals wieder einen Film drehen? Die Antwort lautet: wahrscheinlich nicht, keine Lust mehr. JOAQUIN PHOENIX, 31, gilt als einer der begabtesten Schauspieler seiner Generation. Seine Eltern, Mitglieder einer christlichen Hippiesekte, besorgten ihm und den Geschwistern River, Rain, Liberty und Summer schon im Kindesalter eine Agentin; bereits mit sieben spielte Joaquin die ersten Rollen, oft zusammen mit seinem Bruder River, der 1993 in Joaquins Armen an einem Drogencocktail starb. 1995 brillierte Phoenix in Gus Van Sants »To Die For« und spielte seitdem u.a. neben Russell Crowe in »Gladiator« oder mit John Travolta in »Im Feuer«. Für seine Darstellung von Johnny Cash wird er nun für den Oscar gehandelt. JOHNNY CASH (1932–2003) ist der bekannteste Countrysänger aller Zeiten. Seine ersten Aufnahmen entstanden Mitte der Fünfziger beim Label Sun Records in Memphis, Tennessee, in den Sechzigern wurde der »Mann in Schwarz« dank Hits wie »Ring Of Fire« zum Topstar der Countrymusik; auch wegen Tablettensucht und Rowdytums geriet er in die Schlagzeilen. 1968 nahm er ein Aufsehen erregendes Livealbum im Folsom-Gefängnis von Kalifornien auf. In den Siebzigern und Achtzigern verlief seine Karriere wechselhaft, ehe er Anfang der Neunziger im Zuge eines erstaunlichen Comebacks zur Ikone der Alternative-Rock-Generation wurde.