»Muffin in der Konservendose, Wegwerftoilette, Taschenlampe«

Wie gut oder wie schlecht man in Japan auf Katastrophen vorbereitet ist, hängt auch vom Arbeitgeber ab. Yuko berichtet diesmal von Notfallrucksäcken, Taxiquittungen und Wasserlieferungen aus Hongkong.

Jedem seine eigene Panik
Ich bin ziemlich ernüchtert, wie groß der Unterschied ist zwischen dem Krisenmanagement meines Arbeitgebers und dem anderer Firmen. Nur um es Ihnen noch einmal kurz ins Gedächtnis zu rufen: Ich arbeite in einer unabhängigen Media-Agentur mit etwa 100 Mitarbeitern im Herzen von Tokio. Am Nachmittag des 11. März, am Tag des Erdbebens, war ich im Büro. Als es wackelte, gab es keinerlei Protokoll, kein Notfallplan, dem ich und meine Kollegen folgen konnten. Stattdessen machte jeder sein Ding, hatte jeder seine kleine, individuelle Panik. Denn Individualität wird bei uns groß geschrieben.

"Denk an die Quittung!"
Als ich bestützt fragte, ob ich nach Hause gehen könne, sagte die Personalleitung nur: “Du weißt, bei uns läuft alles über Eigenverantwortung. Wenn du jetzt nach Hause gehen möchtest, dann nimm einfach ein Taxi.“ Ich staunte nicht schlecht, als er ergänzte: „Denk nur bitte daran, dir eine Quittung geben zu lassen.” Ich dachte nur: Wie zum Geier soll ich das jetzt bitte machen, mir ein Taxi nehmen? Alle Züge stehen still, auf den Straßen ist die Hölle los, es dürfte weit und breit kein Taxi geben, und ich soll ausgerechnet jetzt daran denken, mir die Fahrt quittieren zu lassen? Natürlich hat es auch seine Vorteile, wenn die Zügel etwas lockerer gehalten werden. Wir müssen uns nach keinem Dresscode richten, unsere Arbeitszeiten sind fließend, wir dürfen sogar von zu Hause aus arbeiten, wenn wir möchten.

Sie sahen aus wie Grundschulkinder
Ich habe mich schnell an dieses liberale, fast unjapanische Arbeitsklima gewöhnt. Vielleicht fand ich es deswegen ebenso lustig wie befremdlich, in den Straßen von Tokio Geschäftsleute vorzufinden, die zu Anzug und Kostüm auch Helme und einen auf den Rücken geschnallten "Notfallrucksack" trugen, als ich das Gebäude verließ. Sie erinnerten mich ein wenig an die Grundschulkinder bei Erdbebenübungen. Jede japanische Schule hat eine ähnliche Notfallausrüstung auf Lager. Auch einige meiner Freunde gehörten zu den derartig Uniformierten. Yukari, Yayoi und Miki sind für große, international agierende Finanzgruppen tätig. Sie erzählten mir, ihre jeweiligen Arbeitgeber hätten ihnen die Notfallausrüstung zur Verfügung gestellt. Sie bestand aus 1 Helm und 1 Rucksack, darin waren enthalten: 1 Muffin in der Konservendose,  Wasser, 1 Wegwerftoilette, 1 silberne Thermofolie und 1 Taschenlampe.

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Erst das Jod, dann das Charterflugzeug
„Aber da war gar keine Batterie drin“, riefen alle drei gleichzeitig. Als letzte Zutat enthielt der Rucksack...tataaa...Jodtabletten. Ich kannte sie bislang nur vom Hörensagen, und es war das erste mal, dass ich sie zu Gesicht bekam. Yukaris Firma empfahl in der Packungsbeilage die sofortige Einnahme von zwei Tabletten, die dann 48 Stunden wirken würden. Daraufhin müsse man – natürlich nur im absoluten Worst Case Scenario – am Tag Drei der Apokalypse ein bereitgestelltes Charterflugzeug erreichen. Wie gesagt, es besteht ein gewisser Unterschied zum Krisenmanagement meines Arbeitgebers.

Geld oder Leben
Dabei ist Yukari gerade erst aus dem fernen Westen Japans wiedergekommen. Ihre Arbeitgeber haben doch tatsächlich vor einem Monat, also nach dem Erdbeben, den kompletten Firmensitz, mitsamt allen Angestellten und deren Familien, nach Tokio verlegt. “Was immer auch in Japan passieren mag, der globale Finanzmarkt macht unverdrossen weiter. Deswegen können auch unsere Geschäfte jetzt nicht einfach pausieren. Den Umzug durchzuziehen kam einem Signal gleich.” Und Yayoi fügt sichtlich verärgert hinzu: „Ja, das Motto des Finanzmarkts lautet Geld oder Leben. Aber verdammt, wenigstens am Tag des Erdbebens hätten sie doch die Finanzmärkte in Tokio schließen können!“

Welcher Typ ist ihr Arbeitgeber?
Noch einmal kurz zurück zum Thema Krisenmanagement. Yayois Firma hat neulich einen sehr bekannten Strahlenschutz-Spezialisten eingeladen, der in einem exklusiven Seminar alle Mitarbeiter des Unternehmens über die aktuelle Lage in Fukushima informierte. Mikis Arbeitgeber geht sogar so weit, beinahe täglich Wasser aus Hongkong einfliegen zu lassen. Wahrscheinlich ist es nicht einmal ein Unterschied von Branche zu Branche. Ich weiß von einigen kleineren Medienklitschen, die direkt nach dem Erdbeben ihre Büroräume zu einer Zufluchtstätte umfunktionierten. Ich möchte an dieser Stelle ein Bild bemühen. Wäre meine Firma ein potentieller Partner, so wäre es wohl der lustige und stylische, aber auch ziemlich unpersönliche Typ. Verdammt aber auch. Übrigens, wissen Sie eigentlich, welcher Typ ihr Arbeitgeber ist?