»Die Mütter bunkern Bohnen aus dem vorigen Jahr«

Die Atomkatastrophe hat Yukos Freundeskreis gespalten. Die einen sind sorglos und leben friedlich weiter, die anderen denken ständig an die Auswirkungen der Strahlung. Yuko kann beide Positionen verstehen.


Safe Sugimani

Neulich abends habe ich mich seit langer Zeit mal wieder mit Kumiko unterhalten. Sie ist eine alte Freundin, 36 Jahre alt, und seit neun Monaten Mutter eines kleinen Mädchens namens Fumika. Und unter allen Menschen die ich kenne, ist sie mit Sicherheit diejenige, die sich am meisten Sorgen wegen der Strahlung und deren Folgen macht. Kumiko erzählte mir, sie habe neulich eine Eingabe an den zuständigen politischen Vertreter in Suginami gemacht (Suginami ist einer von 23 Tokioter Stadtbezirken). Die Petition heißt Safe-Sugimani-Projekt, und sie ist komplett auf ihrem Mist gewachsen. Es geht dabei um Folgendes.

Ich möchte wissen, was die Kinder da essen
"Weil ich arbeiten muss, lasse ich meine kleine Fumika immer in der Kindertagesstätte. Ich habe mir extra die Erlaubnis geholt, meiner kleinen Fumika selbstgemachte Speisen von zuhause mitzugeben. Damit sie nicht den Kram essen muss, den die Schule bereitstellt. Das darf ich machen, bis sie ein Jahr alt geworden ist. Nur bis dahin gilt die Sonderregelung. Danach bekommen die Kinder wieder das offizielle Schulessen. Deswegen die Petition. Wenn meine kleine Fumika schon das isst, was andere ihr kochen, möchte ich wenigstens im Detail wissen, was die Kinder da zu essen bekommen." Als Kumiko das erzählte, wirkte sie sehr ruhig.

Er fand mein Engagement unangemessen

"Andere Mütter", so erzählte sie, "sind noch viel beunruhigter als ich. Von manchen weiß ich, dass sie Bohnen aus dem vorigen Jahr einbunkern. An meiner Arbeit ist es anders. Einer meiner Kollegen lehnte es gar ab, meine Petition zu unterzeichnen. Er sagte, seine Verwandten kämen alle aus der Fukushima-Provinz. Wahrscheinlich fand er mein Engagement unangemessen, vielleicht ärgerte es ihn auch. Ich kann das verstehen. Jeder von uns hat schließlich so seine Sorgen und eine andere Meinung. Oder etwa nicht?" Und dann lächelte sie mich an.

Mr. Sorglos
Tada san ist das komplette Gegenteil von Kumiko. Tada san ist Mr. Sorglos. Er ist 37 Jahre alt, Single, hat keine Kinder. Was er isst, ist ihm wurscht. Einen Tag nach meinem Gespräch mit Kumiko sagte er: "Nun, ich habe keine Kinder, und mein Körper ist voll ausgewachsen. Ich fürchte Kontaminierung und ihre Folgen nicht so sehr. Leute die das tun, sind dieselben, die schon in Panik geraten, wenn das Mineralwasser, das sie gestern noch gekauft haben, einen Tag später nicht mehr erhältlich ist. Sie fürchten dann gleich, es sei giftig und wurde vom Markt genommen." Der Spott, der anfänglich noch sein Gesicht verzerrte, verwandelte sich in ein Lächeln. "Weißt du, die Lebenserwartung hier ist recht hoch. Ich pflege einen unbekümmerten Umgang mit mir selbst. Ich bin zufrieden, wenn ich einen Job habe und was zu essen, egal was. Ich gebe mich mit wenig zufrieden und erwarte nichts." Er sagte es halb im Scherz, halb ernst.

Meistgelesen diese Woche:

Mein Herz ist gespalten. Ich bin 60 Prozent Tada san, denn ich habe noch keine Kinder. Und zu 40 Prozent bin ich Kumiko, denn ich bin sicher, dass ich welche haben will. Jetzt vereine ich noch beide Standpunkte in mir.