Am Donnerstagabend habe ich die Zukunft gesehen - und sie hat mir ein bisschen Angst gemacht. Ich saß auf dem Sofa, neben mir meine Freundin, die starrte auf einen Bildschirm. Auf dem lief der Tatort und zwar schon der vom Sonntag, sie ist Kritikerin und darf deshalb früher gucken. Die Zukunft, die mir Angst machte, das waren aber nicht Ballauf und Schenk, die Kölner Kommissare. Obwohl ich jetzt schon verraten könnte, dass...
Nein, mit der Zukunft meine ich das, was ich währenddessen auf einem anderen Bildschirm gesehen habe. Obwohl meine Freundin es nicht leiden kann, musste ich nämlich ab und zu mein Handy aus der Sofaritze ziehen, in die es so gut hineinpasst. Weil der Kölner Tatort langweilig war? Nun ja: Ich musste mich parallel informieren, wie sich der FC Augsburg bei Klopp in Liverpool schlägt. Und was dazu auf Twitter steht. Bei der Gelegenheit habe ich ein kurzes Video entdeckt, das rein gar nichts mit Fußball zu tun hatte, aber so ist es eben, dieses Internet: Eine junge Frau guckt in dem Video unfassbar gelangweilt in die Kamera, neben ihr sitzt ihr aufgekratzter Freund:
Der Freund macht Gesten, als jongliere er Melonen, als fange er Wasserbomben oder beschreibe er große und wohlgeformte Brüste. In was für einem Film der junge Herr wirklich steckt, erfahren wir nicht, das weiß nur er alleine: Er hat eine Datenbrille vor den Augen und Kopfhörer über den Ohren. Er ist rein physisch durchaus anwesend, aber dennoch gerade nicht in der selben Welt wie seine Partnerin - er ist tief in irgendeiner virtuellen Realität versunken.
Dieser Mann, so fürchte ich, hat mir die Zukunft auch meiner Beziehung gezeigt. Und ganz ehrlich: Ob ich der in Sachen Medienkompetenz gewachsen bin, bezweifele ich ein wenig - denn zu Medienkompetenz gehört nämlich auch das Wissen, wann es genug ist und man das Dings mal weglegen sollte.
Schon mein Smartphone, in dem all die Infos zu Augsburg und Kloppo und zum TSV 1860 und zum FC Bayern und irgendwie ja auch zu ManU und dem FC Arsenal; auf dem mein Kontostand und all die lustigen GIFs auf Twitter und die Videos auf Facebook und die neusten Nachrichten und mein Kontostand und die Infos zum TSV 1860 - ach, hatten wir eben schon? Nun ja, also: Schon mein Smartphone ließ mich bisher manchmal zum halben Autisten werden. Wenn ich aber Klopps irre Jubelläufe mit digitalen Scheuklappen künftig aus der Perspektive seiner Hornbrille miterleben kann, dann wird das schwere Auswirkungen auf meine Partnerschaft haben, fürchte ich.
Viel mehr noch: Der Fortbestand der Menschheit insgesamt könnte in Gefahr sein (oder zumindest des Teiles, der sich derartigen Technik-Schnickschnack leisten kann), denn Körperkontakt wird künftig nur noch dann stattfinden, wenn sich die datenbebrillten Partner auf dem Weg zum Kühlschrank gegenseitig über den Haufen rennen.
Wie jede andere neue Technik birgt Virtual Reality aber nicht nur Gefahren, sondern liefert auch gleich die Lösung für das aufgeworfene Problem mit: Kurz, nachdem Datenbrillen den Einzug in jeden Haushalt gefunden haben und nicht mehr nur auf Technikmessen als tolle Requisiten für den Auftritt Mark Zuckerberg dienen, wird iLove - living everyday life den Markt erobern.
Das Rollenspiel, für dass ich mir hiermit schon mal die Rechte sichern möchte, simuliert perfekt den Beziehungsalltag, die Partnerin oder der Partner kann auf Basis der echten Vorlage modifiziert werden, sowohl was körperliche, als auch charakterliche Merkmale angeht. Natürlich nicht übermäßig, vor Spielstart darf der Held nur drei Veränderungen an seinem Partner vornehmen, jede weiteres Upgrade muss sich im Verlauf des Spieles erst verdient werden.
Ein gemeinsam absolvierter Restaurantbesuch mit einem tiefen, konzentriertem Gespräch etwa ermöglicht eine Anpassung der Körbchengröße oder des Hygieneverhaltens des Partners. Ein Spieleabend zu Hause, abwechselndes Deklamieren von Gedichten, ein partnerschaftlich erledigter Abwasch: Wegretuschieren von ausgeleierten Jogginghosen, hässlichen Schlaf-T-Shirts oder Schuppenflechten. Herumtollen im Schnee draußen, der vor dem Fenster herumliegt und nicht in den Timelines der Sozialen Medien: Sinken der jobbedingten Gereiztheit des Partners, Steigerung der Libido, zwei Komplimente oder ein »Ich liebe Dich« an jedem Tag der nächsten Woche.
Durch unsere Fürsorge für den Partner nähert sich der immer mehr dem Traumbild an - ein Spiel mit Suchtgarantie, ein Perpetuum Mobile der Liebe, das unsere Beziehungen revolutionieren wird. Anstatt miteinander zu streiten, anstatt sich auf die Nerven zu gehen, anstatt nebeneinander her zu leben optimieren wir Hasi, Schatzi oder Knuddel. Wir formen ihn oder sie nach unserem Ideal, echtes Glück ist vorprogrammiert, im Wortsinne.
Der Endgegner in iLove - Living everyday life schließlich ist das gemeinsames Lümmeln auf dem Sofa. Und wer es hier schafft, während dem virtuellen Tatort das virtuelle Smartphone in der virtuellen Sofaritze stecken zu lassen, darf einmal kurz in die Zukunft der Paarbeziehung blicken. Ganz ohne zu erschrecken, hoffentlich.