Als Kind brauchte man nur eine Batterie, zwei Drähte und eine Birne, und man hatte: Licht. Es brannte, so lange man wollte. Licht verstand man sogar, wenn der Lehrer es erklärte; Licht war einfach. Bis man an einem düsteren Herbstabend aufs Fahrrad stieg und einem klar wurde: Licht am Rad ist nicht einfach, sondern einfach kaputt. Vom ersten bis zum letzten Fahrrad ist es der Refrain des Radlerlebens: Ich glaub, mein Licht ist kaputt. Man sagt immer erst mal »Ich glaub«, weil es doch nicht sein kann, dass etwas so Elementares und Einfaches ständig kaputtgeht. Dann verdreht man sich beim Fahren den Hals, mit Hoffnung noch, aber je dunkler es wird, desto mehr sieht man: Echt, schon wieder – das Licht ist kaputt.
Jürgen Schlottke, der die Internetseite www.fahrrad-hilfe.de betreibt, formuliert es nüchtern, aber vernichtend: »Die Beleuchtung ist die mit Abstand am häufigsten von Störungen betroffene Einrichtung am Fahrrad. Die Ursache liegt darin, dass es die Hersteller bis jetzt noch nicht geschafft haben, vernünftige, haltbare und unempfindliche Konstruktionen zu entwickeln.« Wenn man einmal anfängt, sich vor Augen zu führen, was alles schief- bzw. kaputtgehen, also im Arsch sein kann bei der Fahrradbeleuchtung, dann wundert man sich, dass die Menschheit noch vor den ersten bemannten Marsflügen und vor der Überwindung der Schwerkraft durch Antimaterie-Schuhe überhaupt gewagt hat, ein so kühnes Unterfangen wie die Beleuchtung eines Fahrrads in Angriff zu nehmen. Traditionelle Dynamos haben bei Nässe wenigstens eine Entschuldigung fürs Nichtfunktionieren, davon abgesehen hilft nur eine von Fachleuten ominös als »gezahnte Weichkunststoffkappe« bezeichnete Vorrichtung oder aber die Installation eines Nabendynamos, der dann aber zum Beispiel auch nicht verhindert, dass die Rücklichtbirnchen ständig durchbrennen, sobald durch Wackelkontakte oder Korrosion der Spannungsbegrenzer im Scheinwerfer defekt ist. Und reden wir gar nicht darüber, wenn der Strom nirgendwo ankommt, weil er über »die Masse«, also den Rahmen, wegen Rost und allgemeiner Entropie des Universums nicht weitergeleitet werden kann. Zum leidigen Thema Kabel vermeldet das Land Nordrhein-Westfalen in einer Broschüre mit dem verwirrenden Titel Nur Armleuchter fahren ohne Licht erschöpfend und alarmierend: »Verlegen Sie die Kabel so, dass sie einerseits möglichst nirgendwo überstehen, andererseits aber am Übergang zwischen Gabel und Rahmen genügend Spiel für Lenkbewegung haben (Kabelreserve spiralig wickeln). Die serienmäßig verwendeten Kabel sind oft sehr dünn. Verwenden Sie dickeres Kabel (Litze, 1 qmm Querschnitt, aus dem Elektronikladen), das auch höheren mechanischen Belastungen gewachsen ist.«
Am Ende hilft einem entweder der Einsatz eines Fließschemas, wo man mithilfe von Ja/Nein-Fragen, daraus folgenden Handlungsanweisungen und eines Kybernetikstudiums das Problem einkreisen kann, oder aber man geht gesenkten Hauptes in den Fachhandel und lässt über sich ergehen, wie eine komplett neue Lichtanlage installiert wird, was im Regelfall etwas weniger teuer ist als die Fehlersuche und gegebenenfalls Neuverkabelung. Wobei man sich theoretisch neue Lampen bis circa hundert Euro installieren lassen könnte, was jedoch oft den Wert des restlichen Fahrrads oder sogar des Schlosses übersteigen würde. Dafür wäre man dann aber »7 x heller als gesetzlich vorgeschrieben« unterwegs, was einem während der kurzen Phasen schönster Funktionstüchtigkeit wahrscheinlich nur einbrächte, dass entgegenkommende Fußgänger »Meine Augen, meine Augen!« schreien und auf die Straße taumeln würden. Viele behelfen sich angesichts derartiger Dilemmata mit abnehm- und ansteckbaren Beleuchtungssystemen, die mit Batterien betrieben werden. Und begeben sich damit als Touren- oder Hollandradfahrer in die Illegalität, denn derartige Lichtanlagen sind vom Gesetzgeber nur für Rennräder unter elf Kilogramm zugelassen. Was etwa der Gewichtsmenge entspricht, die man im Laufe eines mittleren Radfahrerlebens an unbrauchbar gewordenen Abnehm- und Anstecklampen ansammelt (Bruch der Haltevorrichtung, Batteriekorrosion, »irgendwo« hingetan).
Licht ist außerordentlich existenziell, mit der Forderung danach oder nach mehr davon beginnt oder endet alles (Gott, Goethe). Auch die Fahrradbeleuchtung zwingt einen ins Existenzielle. Zu welcher der drei Menschengruppen will man gehören? Zu jenen, die mithilfe von Fließschemata und viel Zeit und Geduld ihre Kabellage und ihre Leuchtmittel regelmäßig warten und selbst reparieren? Zu einer Gruppe von Menschen also, in deren Lebensentwurf Platz ist für einen sinnvollen Aufbewahrungsort mit passenden Ersatzbirnchen? Oder will man zu jener Gruppe gehören, deren Mitglieder pragmatisch und flüssig genug sind, jeden Lichtausfall professionell beheben zu lassen, und welche die Monate bis zum nächsten Lichtschaden mit einem trügerischen Gefühl von Unangreifbarkeit genießen? Oder aber zu jener Gruppe Desperados, die den Kampf ums Licht aufgegeben hat und einfach ohne fährt?
Bei Stichproben des Fahrradclubs ADFC und der Polizei macht die dritte Gruppe fast die Hälfte der Radfahrer aus. Das Unfallrisiko ist immens, aber nicht nur deshalb braucht es geradezu lebensverneinenden Wagemut, um sich der Gruppe von »Dann eben einfach ohne Licht«-Fahrern anzuschließen. Man muss auch bereit und darauf gefasst sein, sich von jeder und jedem anmeckern, hinterherrufen und ausschimpfen zu lassen. Das Spektrum geht von »Wohl lebensmüde!« bis »Die andern Lichter knips ich dir auch noch aus!« All das muss man mit ertragen können, im quälenden Bewusstsein, dass die anderen zu allem Überfluss auch noch recht haben und dass man die Situation nicht selbst verschuldet hat, sondern gewissermaßen stellvertretend die Sünden der Licht gebenden Industrie büßt.
Es verbietet sich, angesichts all dessen von »Lichtblicken« zu sprechen. Aber das Fahrradlicht-Debakel hat auch gute Seiten: Schön ist es, wenn Desperados und normal Beleuchtete auf der Heimfahrt Allianzen bilden: »Kannst du hinter mir fahren? Mein Rücklicht ist kaputt!« Schön sind die transzendenten Momente, wenn man bang in einen düster-nassen Herbstabend rollt und plötzlich feststellt, dass das Fahrradlicht sich unerklärlich über Nacht selbst repariert hat. Auch schön, dass die Launen des Fahrradlichts einen magisches Denken lehren und wieder zum Kind machen: Bitte, liebes Fahrradlicht, lass uns verhandeln. Ich haue hier drauf und fummele dort herum, dann klopf ich gegen dein Gehäuse, verfluche deinen Schöpfer, und du tust mir dafür den Gefallen, immer mal wieder zu brennen, bis der Frühling kommt.
Illustration: Dirk Schmidt