Nein, ich will mich nicht beklagen. Aber in neun von zehn Fällen läuft es so: Ich bin mit Freund X oder Kollegin Y lose verabredet, sagen wir, Dienstag Abend, Ort noch offen. Am frühen Abend schreibe ich mal eine SMS oder WhatsApp oder E-Mail, es gibt ja genug Möglichkeiten, sich unaufdringlich zu melden: »Hallo, alles klar? Ich kann um acht am Sendlinger Tor sein.«
Keine Antwort.
Also gehe ich auf Verdacht um acht zum Sendlinger Tor, da steht Freund X / Kollegin Y und freut sich. Ich sage: »Ah, gut, dass du da bist, ich wusste jetzt gar nicht, ob du kommst …«
Darauf X/Y: »Wieso, du hattest doch geschrieben, also bin ich um acht gekommen.«
Ich: »Ja, aber ich wusste nicht, ob du auch kommst.«
X/Y: »Stell dich nicht so an, ich bin doch da.«
Hm.
Ja, das Treffen hat geklappt, das schon. Aber wäre das, was vorher war, ein persönliches Gespräch gewesen, es wäre ungefähr so abgelaufen:
Ich (blicke Freund X / Kollegin Y an und sage): »Ich kann um acht am Sendlinger Tor sein.«
X/Y (sieht mich reglos an, schweigt): - - -.
Stille.
Draußen wehen ein paar Blätter im Wind.
Es wird Abend.
Für die klassischen Kommunikationswege haben sich, teils über Jahrhunderte, Routinen etabliert. Auf einen Brief antwortet man in der Regel mit einem Brief. Bei einem Telefonat sagt man »Ja« oder »Mhm« oder, wenn man den Mund voll hat, »Vafbehe«. Im direkten Gespräch nickt man ab und zu mit dem Kopf. Die elektronische Kommunikation gibt es erst seit gut zwanzig Jahren, da fehlen diese Routinen noch. Kennt ja jeder: Mails erst mal im Posteingang hängen lassen. Spontane Einladung per SMS erst mal sacken lassen. Im WhatsApp-Gruppen-Chat abwarten, was die anderen so sagen. Machen viele so. Nervt aber.
Das Gute an den elektronischen Kommunikationsmitteln ist natürlich, dass sie so diskret daherkommen, viel taktvoller als ein Anruf, kein Gebimmel, kein Zwang, sofort ranzugehen - nur ein kleiner unverbindlicher Wink, der es einem überlässt, zu reagieren, wann man will. Aber die Reaktion muss dann eben auch kommen, irgendwann. Nur mal eine Zahl: Weltweit werden täglich 42 Milliarden WhatsApp-Nachrichten verschickt. Wie viele dieser Nachrichten sind Rufe hinaus ins Nichts, unbeantwortet unterwegs in den Weiten der Netze, digitale Flaschenpost? Manchmal wäre doch schon ein kurzes »Ja« oder »Gut« völlig ausreichend.
Wenigstens gibt es gute Neuigkeiten. Peter Schlobinski, Germanist an der Universität Hannover und Spezialist für das Thema elektronische Kommunikation, sagt: »Es verändert sich gerade viel. Jugendliche antworten extrem schnell, weil sie auf ihren Smartphones ständig online sind, permanent mehrere WhatsApp-Chats parallel laufen haben.« Also einfach mal auf die nächste Generation warten: Vielleicht schicken die ja eine Antwort, bevor sie zum Treffpunkt kommen.
Kann aber auch sein, dass ich einfach nur hoffnungslos old school bin, wenn ich klassische Kommunikation erwarte. Hätte mir längst klar sein müssen, seit ich dem sehr geschätzten Kollegen L. ein lustiges Internet-Bild per Mail schickte: Er antwortete nicht. Nein. Dass er das Bild lustig fand, merkte ich daran, dass er es zehn Minuten später twitterte. Das ist dann wohl eher new school.
Professor Schlobinski sagt: »In der Tendenz verdichtet sich Kommunikation, das bedeutet, dass man immer mehr gezwungen wird, schnell zu reagieren.« Ich mag keine Zwänge, aber unter diesen Umständen hätte ich ausnahmsweise nichts gegen etwas mehr gesellschaftlichen Druck. Nur so ein ganz kleines bisschen. Bis es so weit ist, hier ein Vorschlag: Wollen wir uns zumindest für SMS und WhatsApp auf eins von den eher exotischen Emojis einigen, eins, das man sowieso nie verwendet? Es gibt doch dieses komische schwarze Viereck - sagen wir, das bedeutet ab jetzt »Nachricht erhalten, alles klar«. Wäre nur ein Knopfdruck. Und dann wüsste ich, dass ich auf jeden Fall zum Sendlinger Tor gehen kann. In Ordnung?