I. Lehrjahre sind keine Herrenjahre
Der hessische Ministerpräsident Roland Koch gründete mit 14 seinen eigenen Ortsverband der Jungen Union (JU). Das ist nicht zwingend, um in der Politik Karriere zu machen. Aber beginnen Sie früh, so wie Markus Söder: Mit 16 kann man Mitglied bei der CSU werden, er trat wenige Tage nach seinem Geburtstag ein.
Wirklichen Erfolg haben nur Genies – davon gibt es auch in der Politik wenige. Oder die Hundertprozentigen – hier liegt Ihre Chance. Es geht jetzt darum, das politische Geschäft von der Pike auf kennen zu lernen, die Instinkte zu schärfen, den Unterschied zu verstehen zwischen Menschen, die einem nützen, und denen, die das nicht tun. Letztere sollte man schnell vergessen.
Es geht um das Spargelstechen der Politik, um all das, was andere nicht machen wollen: Werden Bratwürste für das JU-Grillfest benötigt – besorgen Sie welche. Fehlt beim JU-Fußballspiel jemand im Tor – stellen Sie sich rein. Seien Sie immer da, wenn andere kneifen: beim Kleben von Wahlkampfplakaten, am Infostand, selbst wenn es schneit. Als Politiklehrling muss man Knecht sein können, Ehrgeiz und Engagement sind vorerst Ihr einziges Kapital.
Die Schulkameraden schlagen sich jetzt vielleicht erstmals die Nächte um die Ohren, trinken Alkohol und hören Musik. Es sind die Verlierer von morgen. Sie dagegen sind bei jedem Treffen des JU-Ortsverbands dabei. Dann dürfen Sie auch einmal an einer Vorstandssitzung teilnehmen.
Folgen Sie Söders Beispiel, suchen Sie sich möglichst früh einen Mentor. Er sollte einen guten Posten und eine viel versprechende Zukunft haben. Ein, zwei Jahre – länger dürfte es dann nicht dauern, bis Sie den Ortsverband übernehmen. Die Bratwürste holt nun ein anderer.
Sie können stattdessen zum ersten Mal Politik machen, zum Beispiel die Begrünung eines Platzes in Ihrer Nachbarschaft fordern. Was Sie jetzt lernen, funktioniert im Ortsverband genauso wie im Kanzleramt: Leute umwerben, Kontakte knüpfen, Einfluss gewinnen, eine kleine Intrige spinnen. Wenn die Schulkameraden anschließend erzählen, Sie wollten schon mit 17 Ministerpräsident werden, wenn die Lehrer »jegliche soziale Fähigkeiten« bei Ihnen vermissen – dann sind Sie auf einem guten Weg.
II. Brutus war ein guter Mann
Sie haben Erfahrungen in der Politik gesammelt und ein ausgeprägtes Gespür für Macht entwickelt. Markus Söder war 24, als es ihn in die erste Reihe drängte, in den Bezirksvorsitz der Jungen Union. Doch es gab ein Problem: Dort regierte sein Mentor Peter Dilling. In solchen Fällen gilt es, die dunkle Seite der politischen Arbeit kennen zu lernen. Sie müssen ein erstes Mal Brutus sein.
Planen Sie Ihre Intrige mit Umsicht, ein, zwei Jahre vor der nächsten Wahl zum Bezirksvorsitz: Sie wissen am besten um die Schwächen Ihres Freundes und Förderers; sorgen Sie dafür, dass diese auch in der Jungen Union bekannt werden. Bauen Sie Ihren Einfluss aus, indem Sie wichtigen Funktionären Posten versprechen, falls Sie gewählt werden. Denn politische Organisationen, das müssen Sie verstehen, funktionieren wie das Schneeballsystem eines Versicherungsvertriebs: Um in der Hierarchiepyramide selbst aufzurücken, braucht man immer neue Leute, die einen von unten stützen.
Abends sollte das Telefon Ihr bester Freund sein: Irgendwo wartet immer die Frau eines mächtigen Parteimitglieds, bei der man sich einschmeicheln kann. Es wird erzählt, dass Söder so den Nürnberger Oberbürgermeis-ter Ludwig Scholz für sich gewonnen hat.
Geben Sie sich Ihrem Mentor niemals als sein Feind zu erkennen. Denn ohne die Fähigkeit, Vertrauen auch auszunutzen, kommen Sie nun nicht mehr weiter. Sentimentalität ist der Mühlstein um den Hals eines erfolgreichen Politikers. Was hatte der CSU-Politiker Peter Gauweiler noch über den jungen Edmund Stoiber gesagt? »Stoiber kennt sich mit den ganzen parteiinternen Machtstrukturen bestens aus... Ihm fehlt das Öl der Liebe. Wir kommen da aus verschiedenen Denkschulen. Mir geht es um die Sache, ihm eher um die Taktik.« Und wo steht Peter Gauweiler jetzt? Und wo Edmund Stoiber?
III. Politik heißt Kampf
Bei Schiller denken Sie an Locken, bei Thomas Bernhard fragen Sie sich, wie der Mann eigentlich mit Nachnamen heißt? Das macht nichts. Aber ein Buch sollten Sie doch gelesen haben: Die Kunst des Krieges für Führungskräfte. Sun Tzus alte Weisheiten. Der chinesische Kriegsherr schreibt unter anderem:
»Der kluge Feldherr weicht dem Gegner aus, solange dieser frischen Mutes ist. Er greift an, sobald der Gegner müde wird.«
Sie müssen Ihre Gegner inner- und außerhalb der Partei überrumpeln. Durch Schnelligkeit, Frechheit, Bestimmtheit. Wenn Ihre Gegner noch zweifeln, ob man die Kirchweih für den Wahlkampf instrumentalisieren sollte, müssen Sie schon da gewesen sein. Sie müssen sich verhalten wie der Igel zum Hasen. Beim Pfarrfest, beim Bieranstich, beim Feuerwehrball. Wenn ein Parteifreund schließlich sagt: »Er hat alle Konkurrenten weggebissen, einen so brutalen Politiker habe ich nie mehr erlebt« – dann denken Sie an Sun Tzu: »Ein großer Feldherr versäumt keine Gelegenheit, um sich die Schwächen seines Gegners zunutze zu machen.«
Sie sind jetzt an einem wichtigen Punkt Ihres Aufstiegs angelangt: Der Vorsitz der bayerischen JU liegt in greifbarer Nähe und Sie müssen nun für die Zukunft planen. Denn bei der Jungen Union ist Ihre Karriere spätestens mit 35 beendet, Sie sollten rechtzeitig ein Landtagsmandat gewinnen.
»Ein siegreiches Heer geht gegen den Feind vor wie ein Mühlstein, der auf ein Ei fällt«, sagt Sun Tzu. Ihre wichtigste Waffe im Wahlkampf heißt Polemik, das lokale Asylbewerberheim ist immer ein gutes Thema. Markus Söder hat gezeigt, wie es geht: Warnen Sie die Bürger auf Flugblättern vor »Sicherheitsproblemen« – selbst wenn in dem Heim bisher gar nichts vorgefallen ist. Angst mobilisiert und Asylbewerber wehren sich nicht. Und wenn nun aufgebrachte Bürger skandieren: »Wir sind asylantenmüde« – Sie haben es ja nicht gerufen. Sie sind nur »ein Straßenkämpfer in den Schluchten des Wahlkreises«.
Sun Tzu war zu seiner Zeit bekannt als der größte Feldherr Chinas. Kreieren auch Sie einen Mythos: zum Beispiel, dass Sie und nur Sie allein dem politischen Gegner Ihren Wahlkreis entrissen hätten. Und wenn der schon lange vor Ihnen fest in der Hand der CSU war – wen interessiert das schon?
IV. Seien Sie biegsam wie eine Kornähre im Frühlingswind
Die Zeiten festgelegter Standpunkte sind vorüber, Positionen und Haltungen nur strategische Zwischenstopps auf Ihrem Weg nach oben. Sie müssen sie wechseln können wie Ihre Krawatten. Das gibt dem modernen Politiker Freiheit. Sie können also wie Markus Söder gleichzeitig fordern, das Sandmännchen müsse erhalten bleiben und in der UNO künftig Deutsch gesprochen werden. Es schadet Ihnen heutzutage nicht, einen »geistigen Aufbruch« zu verlangen und Der Lümmel von der ersten Bank als einen Buchtitel von Ludwig Thoma auszugeben. Sie dürfen ohne weiteres an einem Tag sagen, dass CSU und Grüne in den Kommunen Koalitionen bilden sollten, und am nächsten, dass dies der Untergang der CSU wäre. Effekte zählen, nicht Inhalte.
Ihre eigene Position sollte stets unbestimmt, Ihre Überzeugungen immer vage bleiben. So sind Sie selbst nie angreifbar. Fragt dennoch einmal jemand nach Ihren Grundwerten, antworten Sie knapp. Zum Beispiel: »Ich bin jemand, der schon auf einem sehr starken CSU-Fundament steht.«
V. Populismus bedeutet doch nur, nahe beim Volk zu sein
Wir leben in einer Mediendemokratie. Das können Sie beklagen. Sie können es sich aber auch zunutze machen. Getreu Söders Devise: »Solange es richtig scheppert, ist alles im Lot. Hauptsache, der Name ist richtig geschrieben.« Forderungen, die in diesem Sinne immer funktionieren:
– Schlechten Eltern das Kindergeld streichen.
– Schwarzfahrer ins Internet stellen.
– Das Schulgebet wieder einführen.
Wenn einige Ihrer Parteifreunde nun finden, Ihre Aussagen seien »intellektuell erbärmlich« und Sie selbst ein »gnadenloser Populist«, dann haben die die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Denn um, wie Söder formuliert, »im Nirwana der Medienwelt verlässliche Botschaften« zu setzen, muss man manch-mal bis an die Grenzen gehen. Ein Fallbeispiel: Sie haben im Wahlkampf gegen ein Asylbewerberheim polemisiert (siehe Kapitel III: Politik heißt Kampf) und der politische Gegner hat Sie daraufhin als Rassisten bezeichnet. Dies erfüllt möglicherweise den Tatbestand der Verleumdung, Sie müssen ihn vor Gericht bringen. Dort gewinnen Sie und wieder sind Ihnen ein paar Schlagzeilen sicher. Dass Sie der Urheber des ganzen Ärgers waren – daran erinnert sich am Ende keiner mehr.
VI. Politik ist angewandte Mathematik
Eine politische Karriere ist eine Gleichung mit vielen Unbekannten, aber nur einem denkbaren Ergebnis: Aufstieg. Um es zu erzielen, müssen Sie lernen, rein funktional zu denken. Alles in Ihrem Leben lässt sich für Ihr Fortkommen instrumentalisieren: Posten, Ämter, Vereinsmitgliedschaften sie sind die Plattformen auf dem Weg nach oben; Wähler, Freunde, der Ehepartner – sie sind die Trittbretter Ihrer Karriere. Wenn Kollegen, die mit Ihnen zusammengearbeitet haben, später sagen: »Andere Menschen interessieren ihn nicht. Er interessiert sich nur für sich selbst« – dann haben Sie diese Lektion verstanden. Sie sind jetzt 28, JU-Vorsitzender in Bayern und haben ein Landtagsmandat. Bildlich gesprochen steht das Haus, aber es fehlt die Inneneinrichtung. Dafür brauchen Sie eine Ausbildung, eine juristische bietet sich an, Jura ist das Studium vieler erfolgreicher Politiker: Gerhard Schröder, Guido Westerwelle, Edmund Stoiber. Ein Doktortitel würde Sie zusätzlich schmücken.
Der Wähler mag keine Berufspolitiker, Sie sollten sich deshalb auch um einen Job kümmern. Wie schon beim Studium können Ihnen hier Ihre Parteifreunde behilflich sein: mit einer Stelle beim Bayerischen Rundfunk vielleicht. Das Schönste daran: Dort können Sie weiter Politik machen. Zum Beispiel mit einem Bericht zur Landtagswahl in Bayern – über Ihren eigenen Gegenkandidaten.
VII. Alles Private ist politisch
Sie brauchen jetzt auch im Privaten ein solides Fundament, denn alles ist politisch — das wussten schon die 68er. Es gilt auch für Ihre Karriereplanung: Führten Sie privat bisher ein eher unstetes Leben, wird es Zeit zu heiraten. Die Tochter eines angesehenen Unternehmers Ihrer Heimatstadt wäre die ideale Partnerin. Das mehrt Ihren Einfluss und hat zudem ganz praktische Vorteile: Sie können jetzt aus Ihrem Viertel ziehen, weg von den Industriebrachen, dorthin, wo die Villen stehen, der Nachbar auch einen Doktortitel trägt und vor den Häusern BMW-Geländewagen und indische Steinskulpturen stehen. Damit sind Sie zwar einer der ganz wenigen Landtagsabgeordneten, die nicht in ihrem Stimmkreis wohnen – aber welcher Wähler merkt das schon?
Und als Söder einmal gefragt wurde, was er denn am meisten verachte, antwortete er einfach: »Verlogenheit und Schleimerei.«
VIII. Nicht nur Fahrradprofis buckeln
Wer nach unten tritt, muss auch bei den richtigen Leuten den Rücken krumm machen können. Bei Ihrem Parteivorsitzenden zum Beispiel. Um ihm zu schmeicheln, sollten Sie als JU-Vorsitzender folgende Sätze so oft wie möglich fallen lassen:
– »Er ist unser Captain Future.«
– »Er ist unser Oberjugendlicher.«
– »Ich kann mir nicht helfen ich finde ihn einfach Klasse.«
– »Ich bin sein Fan.«
In diesem Kapitel geht es um das Wundermittel der Politik, um die wertvollste Münze in diesem Geschäft: Loyalität. Denn in Wahrheit sind Menschen in Ihrer Position nur einer Person gegenüber loyal: sich selbst. Das weiß auch Ihr Parteivorsitzender, um so mehr schätzt er Ihre Treuebekundungen. Einige haben sich besonders bewährt:
– Wenn der Parteivorsitzende in der Landtagsfraktion spricht, sollten Sie immer direkt nach ihm reden und das Gesagte noch einmal exakt wiederholen.
– Schwören Sie die Junge Union auf Ihren Förderer ein, richten Sie zu seinen runden Geburtstagen große Feste für ihn aus.
– Nutzen Sie die Chancen, die Ihnen die Redakteursstelle beim Bayerischen Rundfunk bietet. Dort sollten Sie möglichst oft positiv über Ihren Mentor berichten.
Er wird Ihnen dankbar sein. Er wird Sie möglicherweise mit einem Posten im ZDF-Fernsehrat belohnen, auch mit einem Sitz im CSU-Präsidium. Vielleicht sogar mit dem Amt des Generalsekretärs.
IX. Kaschieren Sie Ihren Ehrgeiz
Eine oft missachtete Regel, dabei sind die Folgen fatal. Rudolf Scharping musste es erleben: Der ehemalige SPD-Spitzenpolitiker dachte immer, er sei der bessere Bundeskanzler als Gerhard Schröder, und sagte es sogar öffentlich. Jetzt unterrichtet er an einer Universität. Deshalb: Kaschieren Sie Ihren Ehrgeiz, Diskussionen um Personalien, besonders die eigene, sind Gift für die Karriere. Fragt Sie jemand nach Ihren Ambitionen, antworten Sie: »Ich habe noch nie Posten-Astrologie betrieben.«
In diesem Zusammenhang: Es hilft immer, so zu tun, als sei man unabhängig von politischen Ämtern. Erzählen Sie deshalb immer, dass Sie eine jurististische Ausbildung und lange als Journalist gearbeitet haben, selbst wenn Ihre früheren Kollegen vom BR sagen, Sie seien zwar CSU-nah, aber untalentiert gewesen. Und, ganz ehrlich: Mit einem Befriedigend in der Doktorarbeit nimmt Sie auch keine Kanzlei. Aber wichtig ist doch nur, dass die Wähler es glauben.
X. Endlich Chef sein
Dort, wo Sie jetzt stehen, wird die Luft allmählich dünner. Es ist noch nicht der Mount Everest der Politik, von dessen Anstieg Außenminister Joschka Fischer sagt, hier stapelten sich die Leichen der Politiker, denen die »letzte Härte gefehlt hat«. Aber mit 36 sind Sie immerhin im Himalaya angekommen. Da heißt es Tempo rausnehmen, jeden Schritt noch genauer planen. Sonst geht einem schnell der Atem aus.
Ihre bisherige Karriere stößt bei vielen Menschen auf Vorbehalte. Hochrangige Partei-freunde sagen, Sie seien ein »Mann ohne Werte«. Die schlechte Nachricht: Es stimmt. Die gute: Das macht nichts.
Mit einer schnellen Auffassungsgabe lässt sich alles antrainieren: Statt das Ende des Sandmännchens zu beklagen, sollten Sie nun über Patriotismus sprechen; statt Ausgehverbote für Jugendliche zu fordern, christlich-abendländische Traditionen preisen.
Ihr Vater nannte Sie einen Taugenichts, Mitschüler und Parteifreunde haben Ihre Fähigkeiten angezweifelt. Sie haben sich alle verschätzt. Denn wenn Sie jetzt weiterhin umsichtig sind, geduldig taktierend auf Ihre Chance lauern, so wie Sie es gelernt haben, dann werden Sie einmal nicht mehr Knecht sein. Dann sind Sie der Chef.
Aus dem SZ-Magazin vom 14. Januar 2005; Fotos: dpa