Jürgen Flimm, 66, erlebte die Studentenproteste 1968 als Regieassistent an den Münchner Kammerspielen. Von 1985 bis 2000 leitete er das Hamburger Thalia-Theater, seit 2006 ist Flimm Intendant der Salzburger Festspiele.
SZ-Magazin: Herr Flimm, welche Bücher von damals stehen noch immer in Ihrem Regal?
Bloch, Marcuse, Böll – Adornos Minima Moralia habe ich sogar stets griffbereit, um darin zu lesen.
Was fasziniert Sie so daran?
Es enthält für mich den zentralen 68er-Text. Sinngemäß heißt es darin, wir müssen die Widersprüche und die Ausbeutung, die in der Welt geschehen, offenlegen, zugeben. Nur so kann die Welt erlöst werden. Die 68er wollten die Welt erlösen?
Wenn man von den geworfenen Steinen absieht, haben wir doch für eine zivilisierte Gesellschaft gekämpft – und ehrlich gesagt: Wir haben unheimlich viel erreicht.
Für welche Errungenschaft sollen wir den 68ern dankbar sein?
Für das »Ungezogene«, den antiautoritären Umgang miteinander. Wir müssen uns erinnern, wie es vor 1968 war: die Spießigkeit, die Tanzstunden, diese Nazi-verbeulte Nachkriegszeit.
Worin haben die 68er geirrt?
China! Ich fand die Kulturrevolution toll – bis ich dann mal in China gearbeitet habe und mir chinesische Theater-Freunde erzählten, was da wirklich passiert ist. Ich fragte mich: Warum hast du dich nicht besser informiert? Wie konnte ich diese pompösen Sätze aus der Mao-Bibel so bewundern und glauben? Mao hat Millionen Menschen getötet, er war ein Verbrecher.
Abgesehen von Ihren Büchern – haben Sie noch ein anderes 68er-Andenken?
Ja, eine Serviette mit einem Autogramm und einem Lippenstift-Abdruck der Sängerin Joan Baez. Love! Joan! steht darauf – ist das nicht schön?
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