»Ihr könnt uns mal, wir feiern hier«

Das Festival »Rock am Ring« wurde wegen Terrorgefahr unterbrochen. Jetzt geht es weiter. Aber wie fühlt sich das für die Besucher an? Unser Kollege ist vor Ort und weiß jetzt: gegen Angst singt man am besten.

Ein bisschen Angst hatte ich, als ich mich von der Hauptbühne Volcano aufmachte zu einer der beiden kleineren, Crater. Auf der Hauptbühne waren gerade Five Finger Death Punch mit ihrer Show fertig, jetzt kam die Broilers, und später sollten Rammstein hier spielen, der Haupt-Act des ersten Abends. Aber ich wollte Liam Gallagher sehen, einen der beiden Brüder, die Oasis ausgemacht haben, und ich hatte wie gesagt ein bisschen Angst, weil ich einerseits Oasis geliebt habe, andererseits Liam ein ausgemachter Trottel ist und ich mir die Erinnerung an seine großen Zeiten nicht durch einen dämlichen Auftritt versauen lassen wollte.

Aber statt eines Auftritts kam eine Durchsage, die ich erst einmal nur zum Teil verstand: »Terrorlage«, »Festival unterbrochen«, »bitte geht ruhig zum Ausgang«, »Campingplätze«, »Sicherheit«, »morgen«.

Leute guckten sich ein bisschen ratlos an. Ich habe niemanden gesehen, der laut wurde oder gar panisch. Ich weiß auch nicht, ob schon von einer Bombe die Rede war, wenn dann habe ich es nicht gehört. Mir war in dem Moment schmerzhaft bewusst, dass ich beim Betreten des Geländes durch eine Reihe von Sicherheitskontrollen gelaufen war, ohne dass mich jemand nach meinem Ticket gefragt hat. Ich habe es immer noch unberührt in der Tasche meiner Jacke, die nie jemand kontrolliert hat, weil ich sie in der Hand hatte, während ich abgetastet wurde. Ich hatte auch die Bändchenausgabe im Gedrängel nicht gefunden und es fiel bisher niemandem auf, dass meine Begleitung und ich keins der Bänder trugen, die jeder Festival-Gast eigentlich am Handgelenk haben muss.

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Zumindest bei uns hatten die Sicherheitskontrollen versagt, und ich konnte mir vorstellen, dass es ein paar Leuten gelungen sein konnte, Waffen auf das Gelände zu bringen um einen Bataclan-mäßigen Anschlag zu verüben. Ich bewegte mich Richtung Ausgang.Wir bewegten uns alle fast betont langsam. Die größte Gefahr wäre jetzt wahrscheinlich eine Massenpanik, und ich glaube, das war jedem bewusst. Gleichzeitig entstand so etwas wie eine Art Trotz.

Ich stellte mich in die schnell wachsende Schlange am Merchandising-Stand an, wo die Stimmung einhellig war: Wir lassen uns doch unser Festival nicht versauen. Falls es komplett abgesagt wird, wollen wir wenigstens das T-Shirt, das zeigt, auf welcher Seite wir stehen.Während die Sicherheitskontrollen bei uns versagt hatten, funktionierten alle Absperrungen, die dafür sorgten, dass nicht zu viele Menschen auf einmal in bestimmte Bereiche strömen und sich erdrücken vorbildlich. In die drei Zonen an der Hauptbühne waren wir jeweils nur in kleinen Gruppen vorgelassen worden, immer wieder ermahnt von Ordnern, langsam zu gehen. »Leute, das dient eurer Sicherheit, genießt das Konzert.«

Jetzt, beim Hinausgehen, waren die Wege frei und es staute sich nirgendwo. Dann begann der Gesang. »Eins kann uns keiner nehmen«, begann einer, und in der Menge wiederholten einige die Zeile. Dann stimmten um mich herum alle ein: »Das ist die pure Lust am Leben.«

Es fühlte sich gut an, im Angesicht einer gesichtslosen Bedrohung, der man völlig ausgeliefert ist, gemeinsam klar zu machen: Wisst ihr was, ihr könnt uns mal, wir feiern hier! Und so verlief auch die Nacht, friedlich feiernd, generell mit der Hoffnung, dass es heute weitergehen möge. Alle bekamen besorgte SMS und Anrufe von Freunden und Angehörigen. Jeder macht sich seine Gedanken. Aber ich habe nur wenige gehört, die von sich aus abreisen wollen.

Heute um elf Uhr kam die Nachricht, dass das Festival fortgesetzt wird. Und wir werden bleiben. Ein bisschen Angst bleibt dabei. Auch eine neue: Für den Nachmittag sind Gewitter angesagt.