Die Sonne brennt vom Himmel, 26 Grad im Schatten, ein gewöhnlicher Tag im April 2007. Leider bläst ein leichter Wind in der Oberpfalz, sonst könnte man den Käfer hören, wie er unter der Rinde schabt, sagt der Förster Erich Kufner und legt sein Ohr an den Stamm einer Fichte. »Bei Windstille hören Sie ihn sogar noch aus zwei Meter Entfernung.« Aber heute? Nichts. Kufner wirkt ein wenig enttäuscht, so als gehe es darum, den letzten Beweis zu erbringen, dass der Übeltäter auch wirklich existiert.
Dabei sind in Kufners Revier, den Wäldern um die Gemeinden Regenstauf und Pielenhofen, die Spuren der Verwüstung unübersehbar: Das Waldstück, durch das der Förster gerade streift, durchzieht eine Schneise, die bis zur Spitze eines kleinen Hügels reicht, etwa 200 Meter lang, 120 Meter breit. Vor einem Jahr drängte sich hier eine Fichte an die nächste, nun sind gerade noch ein paar Baumstümpfe übrig. »Solche Narben finden sich überall in dieser Gegend«, sagt Kufner. »Die Bäume leiden seit Jahren unter der Hitze, dem Borkenkäfer geht es dafür blendend. Das ist das Resultat.« Nach dem ungewöhnlich warmen Winter in diesem Jahr schwärmten die ersten Käfer schon Anfang April aus, als das Thermometer die 16-Grad-Marke überschritt – mehrere Wochen früher als üblich. Während er bis vor Kurzem noch eine oder zwei Generationen jährlich ausbrütete, schafft er nun locker drei. Das klingt harmlos. Aber durchschnittlich 60 Nachkommen pro Käferweibchen, also etwa 30 Männchen und 30 Weibchen, bedeuten 1800 Käfer in der zweiten Generation und 54000 in der dritten. Das heißt, ein Käfer kommt schon innerhalb eines Jahres auf mehr auf 50000 Nachkommen.
Höhere Temperaturen verkürzen die Brutzeiten und steigern die Libido des Borkenkäfers, weiß der Biologe Thomas Immler, Forscher an der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) in Freising: »Je wärmer, desto lieber macht er’s.« Deshalb vermehrt sich der Borkenkäfer über die letzten Jahre im deutschen Wald milliardenfach, und nicht nur er.
Eine Armada von Käfern, Schmetterlingen, Wespen, Heuschrecken und anderem krabbelndem oder fliegendem Getier kommt mit dem heißen Wetter hervorragend zurecht. Zum Beispiel auch der Maikäfer, der in Deutschland lange nicht zu sehen war und jetzt zurückgekehrt ist. Oder der farbenfroh schillernde Prachtkäfer, ein Schädling, der es vor allem auf Eichen, Buchen oder Kiefern abgesehen hat. Er deponiert seine Eier in der Baumrinde. Nach dem Schlüpfen durchbohren die Larven die Rinde und fressen sich ins Holz. Ist der Baum gesund, ertrinken sie zuvor in der Wasser führenden Schicht. Wiederholte Hitzeperioden und Stürme haben jedoch viele Bäume geschwächt und die Wälder gelichtet. Eine ungeschützte Buche trocknet leichter aus, führt weniger Wasser und bekommt leichter einen Sonnenbrand. Ihre Borke wird dann dünner, das erleichtert dem Prachtkäfer den Einstieg.
Ähnliches gilt für die Kiefer, die oft im Schutz der Fichte gedeiht. Weil die Fichte aber vermehrt dem Borkenkäfer zum Opfer fällt, steht die Kiefer zunehmend allein in der Landschaft – zur Freude des Prachtkäfers. Die Eiche schließlich leidet nicht nur unter dem Klima, sondern auch unter dem Eichenprozessionsspinner, einem Falter, dessen weiß behaarte Raupen im Verbund mit drei weiteren Raupenarten den Baum bevölkern und das Kronendach kahl fressen. Und zwar den ganzen Sommer über, sodass die Eiche es kaum noch schafft, die für die Photosynthese so wichtigen Blätter auszutreiben.
Auch der Eichenprozessionsspinner entwickelt sich bei steigenden Temperaturen prächtig. Er stammt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum und tauchte zunächst nur alle paar Jahre in größeren Mengen bei uns auf. Mittlerweile jedoch fällt er praktisch jeden Sommer über die Eichen her, erklärt Gabriele Lobinger, ebenfalls Biologin an der LWF in Freising.
Was nicht heißt, dass alle vom wärmeren Wetter angezogenen Zuwanderer schädlich wären. Die Feuerlibelle etwa integriert sich verhältnismäßig friedlich in ihre neue Heimat. Bis vor Kurzem bevorzugte sie wärmere Gefilde. »Inzwischen hat sie sich zumindest in Süddeutschland fest etabliert«, sagt Jürgen Ott, Lehrbeauftragter der Uni Landau. Wenn Libellen ihren Lebensraum erweitern, gehen sie, wie die meisten Tiere, nach dem »Trial and Error«-Prinzip vor: Sie fliegen ein Gewässer an und bleiben, wenn das Umfeld stimmt. Wenn nicht, verschwinden sie wieder. Feuerlibellen reagieren sowohl auf die Luft- wie auch auf die Wassertemperatur, da ihre Larven im Wasser leben. Beides stieg in den vergangenen Jahrzehnten merklich an, und so verbreitete das Insekt sich immer weiter nach Norden – bis nach Skandinavien – sowie in höher gelegene Gebiete. Auch in den Alpen oder im Schwarzwald hat sich das Insekt angesiedelt.
Die Feuerlibelle gilt als ausgezeichneter Bioindikator: An ihr lassen sich schnell und zuverlässig Veränderungen in der Natur erkennen. Schnell, weil sie fliegt, sich also rasch verbreiten kann. Zuverlässig, weil die knallroten, relativ großen Libellenmännchen kaum zu verwechseln sind und ihre Ausbreitung somit leicht zu beobachten ist. Insofern ist sie ein Bote des Klimawandels, ein weithin sichtbarer Vorreiter einer großen Wanderung, die Wissenschaftler schon seit geraumer Zeit beobachten. Daran beteiligen sich Spinnen wie der giftige Dornfinger, Fangschrecken wie die exotische Gottesanbeterin, verschiedene Schmetterlings- und Heuschreckenarten oder auch die vor allem in Südeuropa und Afrika beheimatete Holzbiene. »Es findet eindeutig eine Verschiebung statt«, bestätigt Josef Settele, Umweltforscher am Helmholtz-Zentrum in Halle. »Viele Arten, die am Mittelmeer heimisch waren, wandern bei uns ein, afrikanische Arten rücken dafür in den Mittelmeerraum nach.«
Manch Kälte liebende Arten sind dagegen bei uns selten geworden und werden wohl von der Bildfläche verschwinden. Schmetterlinge wie der Hochmoorgelbling und der Randring-Perlmutterfalter etwa. Oder die Nonne, ein Falter, der in süddeutschen Wäldern in der Vergangenheit viel Schaden anrichtete und in letzter Zeit vermehrt nach Polen und Tschechien auswandert. Der Klimawandel kann auch einen Segen für die Natur bedeuten, wenngleich es insgesamt eher danach aussieht, als würde die Zahl der Schädlinge ansteigen.
Das bekommen selbst Menschen zu spüren, die nicht in der Forstwirtschaft arbeiten. Ein Berliner Forscherteam um den Biologen Hans Dautel wies kürzlich nach, dass Zecken in so milden Wintern wie dem letzten durchgehend aktiv sind. Lange dachte man, Zecken würden erst bei Temperaturen ab acht Grad aus ihrer wärmenden Laubschicht am Boden herauskriechen, in der sie ihre Winterruhe halten, solange frostige Nächte drohen. Ein Irrglaube: »In der Nähe des Wannsees haben wir bei leichtem Schneefall und zwei Grad über null aktive Zecken gefunden«, sagt Dautel. So überrascht es nicht, dass Zecken im vergangenen Jahr mehr Krankheiten übertrugen als in den Jahren zuvor. Neben der Rekordzahl von 546 klinischen Fällen von FSME, einer Form der Gehirnhautentzündung, registrierten Mediziner auch weit mehr Fälle von Borreliose. »Wir hatten bis in den Dezember hinein Infektionen und seit Ende April schon wieder eine neue Welle. Früher fing das Mitte Juni an«, sagt Professor Werner Solbach von der Uni-Klinik Lübeck.
Neuerdings finden sich in Deutschland auch fremde Zeckenarten wie die Auwaldzecke. Sie überträgt nicht nur gefährliche Krankheiten, sondern kommt auch mit trockenen Sommern weit besser zurecht als ihre heimischen Artgenossen. Gegen FSME gibt es immerhin einen Impfschutz, gegen die Infektionskrankheit Borreliose helfen nur Antibiotika. Oder man vermeidet gleich Spaziergänge in Risikogebieten, was sich auch im Falle des Eichenprozessionsspinners empfiehlt. Die weißen Härchen der Raupen verursachen zwar keine Krankheiten, lösen aber einen unangenehmen Juckreiz auf der Haut aus oder sogar allergische Reaktionen auf den Schleimhäuten. Selbst wenn die Tiere längst tot sind, bleiben die Brennhaare noch jahrelang giftig und werden durch den Wind weit verbreitet.
Sollten die Temperaturen in Deutschland in den nächsten Jahren weiter ansteigen, wie von fast allen Experten prophezeit, und Trockenphasen immer länger werden, drohen uns noch ganz andere Plagen. Zum Beispiel eine Invasion von aggressiven Ameisen- oder Termitenarten. Spätestens dann wären auch Tropenkrankheiten wieder ein Thema.
Aus dem Mittelmeerraum arbeitet sich längst der Tigermoskito vor, eine Stechmücke, die unter anderem das Dengue-Fieber überträgt. Auch für sie gilt: Je wärmer es ist, desto stärker vermehrt sie sich. Derzeit breitet der Tigermoskito sich in Italien aus und wurde bereits am Gardasee gesichtet, einem Lieblingsziel für bayerische Wochenendurlauber. »Gut möglich, dass Reisende die Mücken bei uns einschleppen. Und wir werden sie, wenn wir keinen ordentlichen Frost mehr bekommen, nicht so schnell wieder los«, sagt Karl Eduard Linsenmair, Professor für Tierökologie und Tropenbiologie an der Uni Würzburg. Gleiches gilt für die Malariamücke. Zwar ist Linsenmair überzeugt, dass Malaria und Dengue-Fieber in Deutschland auf absehbare Zeit kein großes Problem darstellen werden. »Aber wer weiß, was der Klimawandel in Zukunft noch alles anrichtet?«
Keine Klimadebatte ohne Skeptiker: Der Münchner Biologe Josef Reichholf äußerte kürzlich im Nachrichtenmagazin Spiegel die provokante These, der Klimawandel werde vor allem mehr blühende Landschaften bringen. Die Frage nach schädlichen Käfern und Insekten weist Reichholf fast schon entrüstet zurück. Selbstverständlich werde es bei uns in Zukunft nicht mehr von diesem Kleingetier geben. Manche Kollegen vermuten, Reichholf habe weniger die Massenvermehrung der Käfer im Blick als die Massenvermarktung seiner gerade erschienenen Bücher.
Kaum ein Wissenschaftler bestreitet ernsthaft, dass sich in der Natur auch unter veränderten Klimabedingungen über kurz oder lang wieder ein Gleichgewicht einpendeln werde. Die Frage ist nur, wie sich der Mensch darin zurechtfindet. Der Oberpfälzer Förster Erich Kufner weiß von Waldbesitzern zu berichten, gestandenen Männern, die angesichts der Schäden, die Stürme, Hitze und Schädlinge anrichteten, in Tränen ausbrachen. Ihrer Existenz beraubt sahen einige nur noch einen Ausweg und begingen Selbstmord.
Tatsächlich ist der Mensch gegen die Ausbreitung der Insekten machtlos. Mit Gift zerstört er eher die Bäume als die Schädlinge. Langfristig helfen wohl nur die Abkehr von Monokulturen und der Anbau von Mischwäldern, wie sie früher in unseren Breiten üblich waren. Allerdings dauert dieser Prozess Jahrzehnte und muss keineswegs positiv ausgehen: Schließlich kennen die Forscher kaum eine Baumart, an deren Ast nicht irgendein hartnäckiger Feind sägen würde. Deshalb hofft Kufner auf »nasskaltes Sauwetter, damit sich der gestresste Wald endlich wieder erholen kann, nasskaltes Wetter, am besten von Juni bis August!« Zumindest in der Oberpfalz, einer der waldreichsten Regionen Deutschlands, steht er mit seinem Wunsch nicht allein.
Wir haben 10 Zecken im Heft versteckt: Jeweils eine auf den Seiten 3, 7 (im Buchcover des Gemischten Doppels), 23, 29, 41 und 42 sowie jeweils zwei Zecken auf den Seiten 36 und 40.