Der Arbeitskampf trägt Prada

Chris Smalls wurde von Amazon gefeuert, weil er sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzte. Seine Reaktion: Er gründete eine Gewerkschaft und wurde damit zum Star auf dem roten Teppich – als einer der einflussreichsten Menschen des Jahres.

Wer ist hier der größere Star? Zendaya mit Chris Smalls bei der Ehrung »Times 100« am vergangenen Wochenende.

Foto: Twitter

Weil doch gerade alles, was irgendwie auf realen Tatsachen beruht und dabei noch eine halbwegs gute Geschichte hergibt, als Serie verfilmt wird – das hier ist super Stoff für euch, liebe Leute von Netflix, HBO oder Amazon Prime Video. Ach nee, sorry, für Amazon ist das natürlich nichts, handelt ja von eurem Laden. 

Der Plot jedenfalls geht ungefähr so: Auf der einen Seite ist da einer der reichsten Männer der Welt, nennen wir ihn Jeff Bezos, der aus einem Online-Buchladen den größten Versandhandel der Welt gemacht hat. Womöglich nicht zuletzt, weil seine Arbeiter in den Logistikzentren rund um die Uhr schuften und dafür nur so mittelanständig bezahlt werden. Sogar während Corona sollten sie weiter machen wie immer. Sicherheitsmaßnahmen? Mindestabstand? Leider nicht im Prime-Paket enthalten.

Ihm gegenüber steht Chris Smalls, nicht nur dem Namen nach eine kleinere Nummer. Er fängt mit Ende 20 als Prozess-Assistent im größten Logistikzentrum im Raum New York an, mit dem Science-Fiction-haften Namen JFK8. Erst ist er begeistert von seinem Job, steigt zum Supervisor auf, dann wird er vom unmenschlichen Arbeitstakt desillusioniert. Als er während Corona gegen die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen demonstriert, wird er wegen »Verletzung der Social-Distancing-Auflagen« gefeuert. In einem internen Memo, das geleakt wurde, bewerten Amazon-Anwälte den 33-jährigen als »not smart, not articulate«. Kurzum: eine dumme Nuss, keine Gefahr. Und das ist der Kardinalfehler, der die Story so richtig ins Rollen bringt.

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Smalls organisiert sich nämlich daraufhin mit einigen Mitstreitern, um die erste Gewerkschaft einer Amazon-Niederlassung zu gründen: Amazon Labor Union, kurz ALU. 120.000 Dollar sammeln sie auf der Pattform Gofundme ein, während der Konzern 4,3 Millionen Dollar für »anti union campaigning« ausgibt. Smalls schafft es trotzdem, wird in seinem Bestreben, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen, von Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez unterstützt, von Joe Biden ins Weiße Haus eingeladen und landet schließlich auf der »Time100«-Liste der einflussreichsten Personen des Jahres 2022.

Von wegen nicht schlau: Alexandria Ocasio-Cortez, Chris Smalls und Bernie Sanders.

Foto: Getty Images

Klassische David gegen Goliath Nummer also, das hat immer Saison. Aber jetzt kommt noch der entscheidende, moderne Aschenputtel-Dreh: Goliath sieht trotz seiner Milliarden immer peinlich aus, während David verdammt cool gekleidet ist; und das ausgerechnet als Gewerkschaftler. Altmodischer vom Ruf her geht es ja eigentlich nicht. Klar, gute Sache und so, aber wer Gewerkschaft sagte, meinte in der Vergangenheit auch immer: dünnen Kaffee, muffige Räume, schlechte Laune. Und hier kommt nun Smalls daher und zieht nicht nur in den Arbeitskampf, sondern verpasst ihm gleich ein ganz neues Image.

Er, der als Sohn einer alleinerziehenden Mutter in New Jersey aufwuchs und viel Basketball und Football spielte, träumte schon als Junge davon, Hip-Hop zu machen. Kurz versucht er sich sogar an einer Musikkarriere, aber als seine Ex-Frau mit Zwillingen schwanger wird, will er Stabilität und sucht sie ausgerechnet bei Amazon. Seinen dem Hip-Hop entlehnten Klamottenstil gab er dabei allerdings nie auf. Der Mann trägt dicke Goldketten, Ohrringe, Grillz, Kapuzenpullover, Tracksuits, Air Jordans. Und weil er auch als Gewerkschaftsführer immer noch er selbst ist, ändert er nichts an seinem Auftreten. Zum Besuch im Weißen Haus erscheint er in einer bunten Lederjacke mit dem Slogan »Eat the Rich.« Wie war das noch mal: Not smart? Not Articulate?

Bezos dagegen fällt in letzter Zeit nicht nur mit Steuerflucht und mieser Bezahlung auf, sondern auch durch seinen grauenhaften Stil. Vor allem seit er seine Ehefrau nach 25 Jahren Ehe für eine Moderatorin mit aufgespritzten Lippen verlassen hat, geht er ständig auf Partys, trägt dabei fürchterliche Hemden und bedruckte Jacketts. Überhaupt liebt er es – abgesehen von seinen Polohemden und leichten Daunenwesten – flamboyant. Zu seinem ersten Flug ins All erschien er mit Cowboy-Hut und Biker Boots. (Soundtrack, ganz sicher: »Some people call me the Space Cowboy, yeah. Some call me the gangsta of love...«)

»Geschmack lässt sich eben nicht kaufen«, wird das ältere Publikum jetzt zufrieden denken, was heutzutage natürlich Unsinn ist. Jemand, der sich eine Riesen-Yacht bauen lässt, für die eine historische Brücke kurz mal abmontiert werden muss, könnte die besten Hollywood-Stylisten bezahlen. Aber der Space Cowboy ist ein Selfmade Man, er glaubt, dass er so etwas Simples wie Mode alleine kann. Der Quatsch, den er da laufend trägt, ist bestimmt hausgemacht. Und damit noch einmal zurück zu David.

Chris Smalls wurde bei der Time 100 Gala Mitte Juni sogar von Prada ausgestattet. Er wählt aber keinen klassischen Anzug der italienischen Marke, sondern Shorts, glänzendes Jackett und Prada-Brustbeutel für den Hals. Dazu Bandana-Tuch um den Kopf und große Sonnenbrille. Arbeitskampf meets Hip-Hop meets High Fashion. Smalls ist in jeder Hinsicht ein Gewerkschafter der neuen Generation. Da will sich jetzt natürlich auch Zendaya mit ihm fotografieren lassen. Happy End. Kann man sich nicht ausdenken, das alles.

Typischer Instagram-Kommentar: »Big things often have smalls beginnings«
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Passender Song: The Joker (Space Cowboy) – The Steve Miller Band