Statt Schmuck trägt Dionne Wilson den siebenzackigen Sherriff-Stern ihres Mannes an einem Band um den Hals: San Leonardo Police Nummer 298. Sie behält den Stern als Erinnerung an ihren Mann Nels »Dan« Nieimi, der 2005 bei seiner Arbeit erschossen wurde. Als dem 25 Jahre alten Mörder Irving Ramirez der Prozess gemacht wurde, drängte Wilson auf die Todesstrafe. Und als Ramirez 2007 tatsächlich zum Tod verurteilt wurde, jubelte sie. »Wir gingen in eine Bar und feierten«, sagt sie. Aber schon am Tag darauf war sie sich ihrer Gefühle nicht mehr sicher, und heute ist sie eine der prominentesten Fürsprecherinnen, die Todesstrafe abzuschaffen. »Ich dachte, das Todesurteil würde mir Erleichterung bringen«, sagt sie, »aber die Wahrheit ist, dass es mir gar nichts bringt. Es bringt mir meinen Mann nicht zurück. Es bringt keine Gerechtigkeit.«
In diesen Tagen erzählt sie ihre Geschichte wieder öfter, denn am 8. November entscheidet sich Amerika nicht nur zwischen Clinton und Trump, sondern es stehen in mehreren Bundesstaaten auch andere richtungsweisende Entscheidungen auf dem Wahlzettel, zum Beispiel zur Legalisierung von Cannabis, Zugang zu Waffen und eben zur Todesstrafe.
Im konservativen Nebraska, das die Todesstrafe letztes Jahr abschaffte, steht am Dienstag die Wiedereinführung auf dem Wahlzettel und in Oklahoma die Bestätigung der Todesstrafe
In Kalifornien stehen sogar zwei Modelle zur Wahl, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Ein Vorschlag schafft die Todesstrafe ab, der andere will die Ausführung der Todesstrafe beschleunigen. 741 Todeskandidaten warten derzeit allein in Kalifornien auf ihre Hinrichtung – mehr als in jedem anderen Staat. Jurys verurteilen zwar nach wie vor Mörder zur Todesstrafe, aber seit Kalifornien die Todesstrafe 1978 wieder eingeführt hat, wurden nur 13 Menschen hingerichtet, der letzte vor zehn Jahren. Die anderen – darunter der Mörder von Wilsons Mann, Irving Ramirez – sitzen seit Jahren in ihren Zellen. Und warten.
Wilson macht Werbung für Proposition 62. Wenn diese Vorlage für den Volksentscheid durchgeht, wird die Todesstrafe in Kalifornien abgeschafft. Alle Todesurteile würden umgewandelt in lebenslänglich ohne Möglichkeit auf vorzeitige Entlassung. Ein ähnlicher Vorschlag scheiterte 2012, aber Wilson glaubt, die öffentliche Meinung habe sich seither geändert.
Die andere Gesetzesvorlage, die in Kalifornien zur Wahl steht, Proposition 66, dagegen sucht das genaue Gegenteil: Sie möchte die Hürden aus dem Weg räumen, die derzeit die rasche Ausführung der Todesstrafe behindern. Wenn ein Verurteilter das Urteil anficht, soll innerhalb von fünf Jahren eine definitive Entscheidung fallen. Derzeit haben mehr als 300 Todeskandidaten Berufung eingelegt, die der Staat wegen Überlastung nur langsam abarbeitet. Weil die Gesetzesvorlage keine neuen Mittel und Stellen in Aussicht stellt, befürchten Kritiker, das Gesetz würde die kalifornischen Gerichte in »Todes-Gerichte« verwandeln, die auch unschuldig Verurteilte schneller hinrichtet.
Marc Klaas setzt sich für die Gesetzesvorlage 66 ein, um den Mörder seiner zwölfjährigen Tochter so schnell wie möglich hinrichten zu lassen. Der sitzt seit 23 Jahren im Todestrakt. »Wir reden über Babymörder, Polizistenmörder, Serienmörder und sadistische Psychopathen«, sagt Klaas, »zu glauben, sie verdienten weniger als das Urteil, das sie bekamen, dient dem System wirklich nicht.«
Dionne Wilson und Marc Klaas haben etwas gemeinsam, das sie lieber nicht teilen würden: Beide haben ihre nächsten Angehörigen durch Mord verloren. Aber beide sind zu unterschiedlichen Schlüssen gekommen. Einig sind sich Wilson und Klaas nur darin, dass das Justizsystem kaputt ist: »Es muss sich etwas ändern«, sagen beide wie aus einem Mund. Nur was, darüber sind sie unterschiedlicher Meinung.
Acht Gründe, die Todesstrafe abzuschaffen
1. Sie verhindert keine Verbrechen. Es gibt keine soliden Studien, die nachweisen, dass die Todesstrafe abschreckend wirkt.
2. Sie ist unmenschlich. Pharma-Firmen wie Hospira und Pfizer haben aufgrund eines EU-Beschlusses im letzten Jahr angekündigt, keinen Nachschub mehr für die Giftspritzen nach Amerika zu liefern. Den 31 Bundesstaaten, die per Giftspritze töten, gehen nun die Tötungsmittel aus. Staaten wie Utah haben deshalb beschlossen, wieder auf altbewährte Strategien wie Erschießen, Gaskammer, den elektrischen Stuhl oder den Strang zurück zu greifen – barbarische Methoden wie im Mittelalter.
3. Es werden zu viele falsche Urteile gefällt. Seit 1973 sind mehr als 150 Gefangene, die bereits zum Tod verurteilt waren, durch neue Beweise freigesprochen worden, meist durch neue DNA-Tests, die eindeutig nachwiesen, dass der Falsche im Gefängnis saß. 1400 Menschen wurden seit 1976 hingerichtet, und mehrere der vollstreckten Urteile sind höchst fragwürdig. »Wenn wir die Verfahren beschleunigen«, fürchtet Wilson, »richten wir noch mehr Unschuldige hin.«
4. Sie hilft den Opfern nicht. »Ich habe mir eingeredet, ich würde mich besser fühlen sobald das Todesurteil gesprochen ist«, sagt Dionne Wilson. »Ich dachte, ich würde am Tag nach dem Urteil mit einem neuen Freiheitsgefühl aufwachen, aber nichts hat sich verändert, im Gegenteil, ich fühlte mich noch schlechter. Also wurde mir klar, dass der einzige Ausweg für mich der ist, etwas Neues zu versuchen.«
5. Sie ist eines modernen demokratischen Staates unwürdig. Amerika ist die einzige westliche Demokratie, in der die Todesstrafe vollstreckt wird. Amerika steht mit der Zahl der Hinrichtungen an fünfter Stelle hinter China, Iran, Pakistan und Saudi-Arabien.
6. Sie kostet mehr als ein menschenwürdiger Strafvollzug. Die kalifornischen Steuerbehörden rechnen, dass die Abschaffung der Todesstrafe dem Staat 5 Milliarden Dollar spart. Gil Garcetti, der als Bezirksanwalt des Los Angeles County zwischen 1992 und 2000 Dutzende von Todesurteilen beantragt hat, halt die Todesstrafe inzwischen »für totale Geldverschwendung. Die Todesstrafe ist keine Abschreckung, und wir könnten das Geld viel besser für wichtigere Dinge ausgeben als dafür, Menschen im Todestrakt zu verwahren.«
7. Das Geld könnte für die Opfer und für Prävention verwendet werden. Dionne Wilson engagiert sich im Gefängnis von San Quentin und setzt sich für eine Rechtsreform ein. »Je mehr Gefangene ich besuchte, desto besser verstand ich, wie ihre eigenen unverheilten Traumas sie zu Gewalt trieben.« Sie möchte den Teufelskreis unterbrechen, indem sie anderen hilft. »Ich möchte neue Opfer verhindern.« Sie glaubt, das Geld werde besser für Rehabilitierung und Prävention ausgegeben. »Wenn es diese Programme schon zu der Zeit gegeben hätte, als Irving Ramirez wegen seine Drogendelikte immer wieder ins Gefängnis kam, könnte mein Mann dann vielleicht noch am Leben sein? Ich darf nicht mich in den Mittelpunkt stellen und mein Bedürfnis nach Rache, sondern die Perspektive: Wie verhindern wir, dass eine weitere Polizeiwitwe und Mutter eine Todes-Nachricht erhält?«
8. Die Mehrheit ist dagegen. In westlichen Demokratien wie Deutschland halten die meisten Menschen die Todesstrafe für unmenschlich. Aber zum ersten Mal sind nun auch in Amerika die meisten gegen die Todesstrafe. Nur knapp die Hälfte der Amerikaner befürwortet die Todesstrafe für verurteilte Mörder (laut einer Umfrage des Pew Research Institutes). Vor vierzig Jahren waren es noch 80 Prozent. Wenn man aber als Alternative eine lebenslängliche Haftstrafe ohne Möglichkeit auf vorzeitige Entlassung anbietet, sprechen sich 61 Prozent für lebenslange Haft aus.
Dionne Wilson hat fünf Jahre nach dem Mord einen Brief an den Mörder ihres Mann geschrieben. »Ich vergebe dir«, schrieb sie, »Du hast dir sicher auch vorgestellt, dass dein Leben einmal anders aussieht.« Eine Antwort hat sie nie bekommen.
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