Gerade haben sie in meinem Ort auch den letzten Container für die Flaschenrückgabe vor dem Supermarkt geschlossen. Darauf klebt ein Zettel, der unmissverständlich in Großbuchstaben darauf hinweist, dass man nun AUF KEINEN FALL auf die Idee kommen könne, die Flaschen im Supermarkt abzugeben. WIR NEHMEN KEINE FLASCHEN ZURÜCK!!!!! brüllt der Zettel mit fünf Ausrufezeichen.
Willkommen in Amerika. Im Umkreis von zehn Kilometern in diesem Vorort von Los Angeles haben wir vier gigantische Supermärkte, die alle gerne Flaschenpfand kassieren, aber keiner nimmt Flaschen zurück. Batterien natürlich auch nicht.
Alles in mir sträubt sich dagegen, Batterien einfach in den Hausmüll zu werfen. In Deutschland ist das seit 20 Jahren verboten, und zwar aus gutem Grund: Die Dinger enthalten Schwermetalle und Säuren, die bei falscher Entsorgung im Grundwasser landen und die Umwelt vergiften, außerdem stecken darin kostbare Ressourcen, die nach Wiederverwertung schreien. Das muss ich Ihnen nicht erzählen, weil uns in Deutschland die Grundzüge des Recyclings schon mit der Muttermilch eingeflößt werden. Als Deutsche kommt man ja quasi schon mit dem grünen Punkt auf der Stirn zur Welt.
Selbst in dem bayerischen 250-Seelen-Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, gibt es mehrere Container, in denen fein säuberlich zwischen Weiß-, Braun-, und Grünglas, Dosen, Altpapier und Kleiderspenden getrennt wird. Jede Vierjährige kennt den Unterschied zwischen der grünen und der gelben Tonne. Aber in der 13-Millionen-Stadt Los Angeles? Wenn Recycling jemals olympische Disziplin wird, werden wir Deutschen Weltmeister im Braunglas-Weitwurf mit doppeltem Dosenpfand-Salto, aber in Amerika gilt Umweltschutz als Randsportart für Außenseiter.
Als die Küchenschublade schließlich trotz aller Bemühungen, auf aufladbare Exemplare auszuweichen, von gebrauchten Batterien überquillt, stopfe ich sie in eine Tüte und die in meinen Kofferraum. Nun fahre ich schon seit Monaten mit einer bipolaren Ladung durch die Stadt, immer in der verzweifelten Hoffnung, auf meinen Recherche-Streifzügen irgendwann einem Recycling-Container zu begegnen. Ich bin wild entschlossen, die seltene Chance nicht zu verpassen, sobald sie sich bietet. Mein deutscher Ehrgeiz lässt keine Niederlage zu.
Öko-Webseiten bieten sogar den Service an, man könne in der näheren Umgebung nach Annahmestellen suchen, aber Batterien stehen erst gar nicht auf der Liste, und wenn ich meine Postleitzahl eingebe, blinkt nur Error Error Error. Selbst im Bioladen, sogar bei den großen Ökoketten wie WholeFoods - von Recycling haben sie dort noch nie etwas gehört. Dort verkaufen sie den Bio-Salat und die Bio-Tomaten ja auch in Plastiktüten. »Was macht ihr denn mit euren Batterien?«, frage ich meine Nachbarn. Die einhellige Antwort aller Amerikaner, verdutzt, auf welche dummen Fragen diese Deutschen kommen: »Na, wir werfen die in den Müll, wieso?«
Als ich in Nepal studierte, war Recycling einfach: Müllabfuhr gab es keine. In meiner ersten Woche in Katmandu fragte ich die Vermieterin meines Dachterrassen-Studios naiv, wo ich denn meinen Müll loswerden könnte. Die junge Nepalesin nickte, nahm mir meine Mülltüte ab und bevor ich protestieren konnte, schwang sie die vollgestopfte Tüte einmal in die Luft und in hohem Bogen von der Terrasse. Umweltschutz beschränkte sich darauf, vorher hinab zu schauen, damit man keinen Passanten auf den Kopf trifft. Die Bettler, die Kinder, die Straßenhunde und die Kühe nahmen sich dann, was sie brauchen konnten, der Rest wurde einmal im Monat mit erbärmlichem Gestank verbrannt.
In Amerika dagegen tun sie so, als wollten sie ihr schönes Land bewahren, indem sie schöne, blaue Recycling-Tonnen aufstellen. Um den Amerikanern das Konzept schmackhaft zu machen, erlauben die meisten Gemeinden allerdings, dass man alles Mögliche in diese blauen Tonnen schleudern kann. Mülltrennung hat sich hier noch nicht durchgesetzt, deshalb werfen die Nachbarn auch ihre halb gegessenen Salate und die Hundehäufchen mit hinein. Weil sie im Recycling-Center die Salatsoße nicht feinsäuberlich von den Glassplittern kratzen können, gilt ein hoher Prozentsatz als »kontaminiert«. Den Mist gleich auf die Straße zu werfen, wäre ehrlicher.
Schließlich, die große Chance: Im Lokalblatt entdecke ich, dass unser Städtchen zweimal im Jahr Elektroschrott annimmt. Hurra! Yippie! Es geht doch! Beim ersten Termin bin ich verreist. Extrem stolz, den zweiten Termin an einem Samstag Morgen nicht verschlafen zu haben, laufe ich also mit meinem alten Smartphone, einem toten Laptop und meinem Sack Batterien auf dem Parkplatz vor der City Hall auf. Reihe mich brav um acht Uhr morgens in die Auto-Schlange ein. (Man fährt mit dem Auto zum Recycling, klar.). Als ich dran komme, reiche ich dem Mann im blauen Overall mein Telefon und meinen Computer, aber bei den Batterien zuckt er zurück: »Ma'am, die nehmen wir nicht!«
»Die nehmen Sie nicht? Ja, aber wo kann man die denn dann abgeben?« Darauf weiß er auch keine Antwort. Er meint, eine andere Behörde nehme sie an jedem dritten Samstag jedes zweiten Monats, aber nur von 10 bis 14 Uhr. Und auch nur, wenn man den positiven Pol jeder Batterie vorher einzeln mit Tesa abklebt. Ganz sicher ist er sich nicht.
Ganz langsam versinkt die Titanic. So muss sich ein Olympia-Läufer mit zitternden Muskeln kurz vor der Zielgerade fühlen, wenn ihn der Gegner mit einem gezielten Tritt zu Fall bringt. Jahrzehnte deutschen Recycling-Trainings, eine bislang makellose Recycling-Karriere – und nun ist alles umsonst. Ich kann nicht ausschließen, dass sich meine Augen mit Tränen füllen. Jedenfalls muss mein Gesichtsausdruck so verzweifelt sein, dass der Mann beschließt, eine Kernschmelze zu verhindern und mir die verdammte Tüte abzunehmen, mit den Worten: »Naja, ausnahmsweise.«
Ich gehe jede Wette ein: Der wartet, bis ich um die Ecke biege, dann wirft er sie einfach in den nächsten Abfalleimer.
Und ich fliege nächstes Mal mit einem Koffer voll Batterien nach Deutschland zurück.
Foto: Zettberlin/photocase.de