CUS ist Deutschlands bekanntester Rätselautor. Er will anonym bleiben. Man weiß nur, dass er Bücher schreibt und sich jede Woche das »Kreuz mit den Worten« im »SZ-Magazin« (S. 52) ausdenkt. Prof. Ryuta Kawashima, 49, Neurologe, entwickelte das Lernspiel »Dr. Kawashimas Gehirnjogging«, dessen zwei Teile sich in Deutschland millionenfach verkauften.
CUS: Grüß Gott, Doktor Kawashima. Sie sehen ja tatsächlich so aus wie die Animation in dem Computerspiel Dr. Kawashimas Gehirnjogging.
Prof. Ryuta Kawashima: Diese Figur ist schuld daran, dass Leute mich für einen lustigen Onkel halten und nicht für einen Wissenschaftler.
CUS: Stört Sie das?
Kawashima: Mir ist wichtiger, wie meine Kollegen meine Forschungsergebnisse beurteilen. Was fremde Leute über eine Animation aus Dr. Kawashimas Gehirnjogging sagen, ist mir egal.
CUS: Ich finde es schön, mal einen Kollegen zu treffen. Ich darf Sie doch einen Kollegen nennen, oder? Wir bringen schließlich beide die Menschen zum Nachdenken.
Kawashima: Stimmt. Aber im Gegensatz zu Ihnen bin ich kein Rätselmacher, sondern Neurologe. Ich habe Medizin studiert und forsche hier an der Universität von Sendai. Mit meinem Team analysiere ich Gehirnaktivitäten und habe herausgefunden, dass leichte Rechenaufgaben und Wortspiele unser Gehirn am besten fit halten. Deshalb haben wir Dr. Kawashimas Gehirnjogging entwickelt.
SZ-Magazin: Das Spiel hat Ihr Gesicht auch bei uns in Deutschland berühmt gemacht. Von CUS dagegen weiß niemand genau, wie er aussieht. Beneiden Sie ihn?
Kawashima: Und wie! Ich stehe überhaupt nicht gern in der Öffentlichkeit. Manchmal starren mich Leute auf der Straße an oder wildfremde Menschen fotografieren mich mit ihren Handys. Das ist mir sehr unangenehm. Wenn ich im Zug jemanden sehe, der Gehirnjogging spielt, drehe ich mich um und verlasse das Abteil, bevor er mich entdeckt. Einmal kam ein offenbar schizophrener Mann hier an die Universität und behauptete, ich hätte sein Gehirn zerstört. Da musste ich in der Klinik anrufen, damit die ihn abholen.
CUS: Sie wären also auch lieber unbekannt geblieben?
Kawashima: Ja, auf jeden Fall.
CUS: Also, wenn Nintendo Sie heute noch mal fragen würde:
»Hören Sie, Professor Kawashima, wir möchten dieses Spiel mit Ihnen entwickeln«, was würden Sie antworten?
Kawashima: Gern. Aber ich würde Nintendo bitten, weder mein Gesicht noch meinen Namen zu veröffentlichen.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: CUS verrät, wie er sich seine Rätsel ausdenkt - und Kawashima befürchtet die allgemeine Verdummung)
CUS: Dann habe ich ja alles richtig gemacht. Denn bei mir gehört die Anonymität zum Spiel. Ich kann mich sogar unerkannt mit meinen Rätslern unterhalten: Neulich sah ich drei Stundenten im »Jennerwein«, einer Kneipe in München. Sie grübelten über dem Kreuz mit den Worten aus dem SZ-Magazin. Wir kamen ins Gespräch und ich wollte ein wenig miträtseln bei der Frage: »Wer so denkt, denkt nicht allein«, denn ich hatte selbst die Lösung vergessen. Die Antwort hieß: laut, denn wer laut denkt, lässt andere am Denken teilhaben. Aber wahre Rätselfreunde wollen die Lösung eh nicht geschenkt kriegen, das ist öde. Der Weg ist das Ziel. Und das Glücksgefühl, wenn man das Rätsel geknackt hat, ist das Größte.
Kawashima: Leider habe ich überhaupt keine Zeit für Denkaufgaben. Mein Beruf fordert mich genug. Sie sind sicher viel besser als ich beim Lösen von Rätseln.
CUS: Nein, bestimmt nicht. Mir fehlt die Geduld. Die Zeit, die ich brauche, um ein Rätsel zu lösen, kann ich auch nutzen, um mir eines ausdenken. Das macht mehr Spaß.
SZ-Magazin: Sie beide erfüllen ja ein Bedürfnis. Und zwar das nach geistiger Anstrengung. Vernachlässigen wir denn unser Gehirn?
Kawashima: Ich fürchte schon. In Japan merkt man das an der Schrift: Viele Japaner können unsere Schriftzeichen nicht mehr zeichnen. Das überlassen sie Schrifterkennungssystemen. Da müssen sie nur Laute eintippen, »Enter« drücken und sofort erscheint das gewünschte Zeichen auf dem Bildschirm. Die Informationstechnologie nimmt uns das Denken ab.
CUS: Computerspiele fördern die geistige Entwicklung doch auch nicht.
Kawashima: Aber wir haben herausgefunden, dass sich unser Gehirn beim Spielen entspannt. Für den Aufbau des Gehirns brauchen wir Anstrengung und Entspannung. Dafür können Videospiele wichtig sein. Allerdings besteht die Gefahr, dass wir zu viel Zeit für die Entspannung nutzen, weil ein Spiel gerade so viel Spaß macht. Interessieren Sie sich auch für Forschung?
CUS: Ehrlich gesagt, nein. Ich will Menschen mit Rätseln unterhalten und herausfordern, verbessern will ich sie nicht. Durch meine Aufgaben kann man aber lernen, neue Lösungswege zu finden und frei zu assoziieren.
Kawashima: Wie denn das?
CUS: Wenn ich mir ein Rätsel ausdenke, beginne ich mit der Lösung und suche die dazu passende Aufgabe. Die Lösungswörter sind bei fast allen Worträtseln gleich. Einzigartig ist nur der Weg, der zu diesem Wort führt. Nehmen wir das Lösungswort »Purpur«. Die Assoziationen dazu: »Rot. Purpurschnecke. Kardinäle tragen Purpur: Kardinalspurpur. Pur – das heißt so viel wie rein. Und pur-pur hieße demnach rein-rein. Ein Wort vorn, eines hinten, oder: Vorn rein, hinten rein.« Na, das klingt ja unanständig und ist doch garantiert jugendfrei. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt! Dazu nun die Kardinäle, und die Aufgabe könnte lauten: »Vorne rein, hinten rein, so mögen’s Kardinäle gern.« Auf diese Assoziationen muss der Rätsler dann kommen. Das ist ein Spiel mit verdeckten Bedeutungen und die Lösung ist überraschend, weil sie eben gar nicht schmutzig ist, sondern rein.
Kawashima: Oh, das ist ein gutes Training! Wortspiele aktiveren den präfrontalen Kortex, einen Teil des Frontallappens der Großhirnrinde. Er steuert das angemessene Handeln. Wer ihn trainiert, stärkt sein Gedächtnis. Unsere Tests haben einen Leistungsanstieg von zwanzig bis dreißig Prozent gezeigt. Sogar Demenzpatienten wurden geistig aktiver. Wenn Sie jetzt zum Beispiel an einem Rätsel arbeiten, dann würde man Ihren präfrontalen Kortex ganz aktiv sehen.
CUS: Wie würden Sie das denn erkennen?
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Vor allem die beheizten Toilettensitze im Hotel haben mich beeindruckt")
Kawashima: Zum Beispiel am Magnetresonanz- oder Kernspintomografen. Damit arbeiten wir viel. Wir müssten Sie bloß in eine dieser Röhren legen.
CUS: Manchmal habe ich Geistesblitze, da fallen mir Aufgaben ein, auf die ich sonst nie komme. Der Ausdruck »ev.a« zum Beispiel. Die Lösung dafür lautet Protestantin. »Eva« steht für Frau allgemein und »ev.« für evangelisch. In diesen vier Zeichen, den drei Buchstaben und dem Punkt, ist also »evangelische Frau« alias »Protestantin« verpackt. Was passiert denn bei solchen Eingebungen im Gehirn?
Kawashima: Leider konnten wir solche Geistesblitze bisher nicht analysieren. Aber wenn Sie sich bei uns in einen Scanner legen und dort diese Situation erzeugen würden, könnten wir diese Momente vielleicht auffangen.
CUS: Ich fürchte, so lang kann ich nicht in Japan bleiben, denn solche Geistesblitze habe ich nur etwa einmal im Monat.
Kawashima: Dann sollten Sie häufiger nach Japan kommen, damit wir dieses Phänomen gemeinsam erforschen können.
CUS: Danke für das Angebot. Ich überlege es mir.
Kawashima: Gefällt es Ihnen hier nicht?
CUS: Doch, doch. Vor allem die beheizten Toilettensitze im Hotel haben mich beeindruckt. Und die Lebensmittelabteilung hier in einem Kaufhaus. Da habe ich mangels Sprachkenntnissen versehentlich Plätzchen mit Fischgeschmack gekauft. Die Hochhäuser in Tokio mag ich allerdings nicht, die erinnern mich an den Betonstil der Sechzigerjahre. Mir ist zwar ein Renaissance-Palast aufgefallen, aber der gehörte zum Disneyland. Interessant fand ich, wie die Leute hier Zeitung lesen: von hinten nach vorn und von oben nach unten. Die Seite wird auch nicht zwischen oben und unten gefaltet, sondern zwischen linker und rechter Hälfte. Das ist bei uns anders. Waren Sie denn schon mal in Europa?
Kawashima: Ja, ich habe in Stockholm am Karolinska-Institut gearbeitet, das den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin verleiht. In Deutschland war ich auch schon, sogar in Bayern, auf einem Bergfest.
CUS: In Erlangen gibt es ein berühmtes Bergfest. Waren Sie vielleicht dort?
Kawashima: Das kann sein. Da wurde viel Bier getrunken. Ich weiß noch, dass sich ein älterer Mann einfach zu uns an den Tisch setzte. Der kannte zwar niemanden, aber er hat jedem die Hand gegeben. Das fand ich sehr beeindruckend.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Wie bitte? Sie haben elf Millionen Dollar abgelehnt?")
SZ-Magazin: Nun mal zurück zum Thema – sind jetzt leichte oder schwere Rätsel besser?
Kawashima: Das kann man nicht so einfach sagen. Als Wissenschaftler habe ich mit einfachen Aufgaben angefangen, die jeder lösen kann. Zum sogenannten Querdenken kommen wir später.
CUS: Dann wird es also auch ein Gehirnjogging mit komplizierten Fragen geben?
Kawashima: Das Spiel wird sich sicher weiterentwickeln, aber an der Entwicklung bin ich nicht interessiert.
SZ-Magazin: Seltsam, Sie wären lieber anonym geblieben, fürchten, als Wissenschaftler nicht mehr ernst genommen zu werden, das Spiel scheint Ihnen auch nicht so wichtig – warum haben Sie es denn überhaupt entwickelt?
Kawashima: Das stimmt so nicht. Ich mag das Spiel schon. Aber die wichtigste Aufgabe des Forschers ist es, mit seinem Wissen den Menschen zu helfen. Mein Ziel lautet also, meine Erkenntnisse über die Funktion des Gehirns zum Vorteil der Gesellschaft einzusetzen. Ich wünsche mir, dass wir geistig aktiver werden. Und dazu muss ich die Masse erreichen. Das funktioniert sowohl mit Büchern als auch mit Spielen sehr gut. Aber darüber hinaus ist mir nichts wichtig.
CUS: Na ja, aber Sie haben doch eine Menge Geld damit verdient.
Kawashima: Mir standen elf Millionen Dollar für die Lizenzgebühren zu. Aber dieses Geld habe ich der Forschung gespendet. Wir haben hier am Institut zwei neue Labore bauen können.
CUS: Wie bitte? Sie haben elf Millionen Dollar abgelehnt? Sie hätten sich zur Ruhe setzen können!
Kawashima: Da wäre mir wohl ziemlich langweilig geworden. Ich verdiene an der Universität genug, um mit meiner Familie ein gutes Leben führen zu können. Ich glaube nicht, dass mich mehr Geld noch glücklicher hätte machen können.
CUS: Das haben Sie jetzt aber schön gesagt.
Kawashima: Aber meine Frau und meine vier Söhne glauben, sie seien nicht so glücklich.
SZ-Magazin: Ist es wahr, dass Sie einmal ein Computerspiel zerbrochen haben, weil Ihre Kinder nicht aufhören wollten zu spielen?
Kawashima: Ja. Einer meiner Söhne hatte das Verbot nicht eingehalten.
CUS: Bei uns beklagen sich auch viele Eltern darüber, dass ihre Kinder ständig zocken.
Kawashima: Ich habe über dieses Problem schon mit dem Nintendo-Präsidenten gesprochen. Schließlich muss es ja möglich sein, ein Gerät nach dreißigminütigem Spiel für weitere 24 Stunden abzuschalten. Aber wir waren uns nicht sicher, ob die Konsumenten das akzeptieren würden.
SZ-Magazin: Können Sie uns vielleicht verraten, wie Eltern
ihre Kinder zum Lernen animieren können?
Kawashima: Die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern ist das Allerwichtigste. Die Animation meines Gesichts in dem Spiel, zum Beispiel spricht den Spieler direkt an. Auch Kinder lernen besser, wenn sie ermahnt oder gelobt werden. Am wichtigsten ist: Kinder müssen wissen, warum sie lernen. Und wenn nicht nur Eltern und Lehrer, sondern auch noch die Großeltern mitlernen würden, könnte das viel dazu beitragen, der Demenz vorzubeugen und
außerdem die Kommunikation zwischen den Generationen zu fördern. Wenn es uns gelingt, das zu vermitteln, dann können wir gemeinsam glücklich werden.
CUS: So gesehen müssen Ihre Kinder Genies sein.
Kawashima: Nein, es sind ganz normale Kinder. Ich glaube, das größte Glück, das ein Mensch haben kann, ist normal zu sein.
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