Spiel mit der Hoffnung

Vor zwei Jahren starb die Fernsehmoderatorin Miriam Pielhau an Krebs. Sie glaubte bis zuletzt, eine rettende Therapie gefunden zu haben. Ein Irrtum. 

* 12. Mai 1975  † 12. Juli 2016
Die Journalistin moderierte Sendungen wie taff und Big Brother. Kurz vor ihrem Tod erschien Pilhaus Bestseller Dr. Hoffnung - Die Geschichte eines echten Wunders.

Foto: Star Media/imago

Die Hoffnung hatte für Miriam Pielhau fünf Buchstaben. »Googelt mal GcMAF«, schrieb die beliebte Fernsehmoderatorin im Januar 2016 in einer Mail an enge Freunde: »Das wird mir die finale Heilung bringen!«

Da hatte Pielhau vier Chemotherapien hinter sich. 2008 war bei ihr Brustkrebs diagnostiziert worden. Erst wurde sie wieder gesund, sprach darüber auf Spendengalas, schrieb ein Buch. Doch »Herr K.«, wie Pielhau ihn nannte, kam zurück, noch heftiger.

Die letzte Chemo schlug nicht an. Pielhau beendete sie, ernährte sich gesund, meditierte viel. Sie scherzte, es gebe im Kampf gegen Herrn K. nur eines gratis: die Hoffnung. Die setzte Miriam Pielhau schließlich in das Mittel GcMAF.

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Hinter dem Kürzel verbirgt sich ein Stoff, den einige Ärzte, Heilpraktiker und Forscher bis heute im Internet als Wundermittel gegen Krebs bewerben. Der Stoff wird aus Blutplasma gewonnen, er soll das Immunsystem stärken und bösartige Krebszellen bekämpfen.

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Googelt man GcMAF, wie Miriam Pielhau es tat, stößt man auf Fallanalysen. In wissenschaftlich anmutenden Artikeln berichten Autoren von Patienten, die selbst im Tumorendstadium mit GcMAF geheilt worden seien. Eine Frau hatte demnach entzündlichen Brustkrebs, die Ärzte hätten nicht weitergewusst. Eine Woche lang soll die 62-Jährige GcMAF erhalten haben, die Werte hätten sich normalisiert, sie habe »keine Schmerzen mehr« gehabt. Ein anderer Patient soll eine Prostata groß wie eine Mandarine gehabt haben und »Metastasen in der Leber, den Knochen und im Gehirn«. All das sei dank GcMAF eingedämmt worden. Auf den ersten Blick wirken die Analysen glaubhaft, alles ist mit Fußnoten belegt. Aber einige der zitierten Belegstudien wurden längst von Verlagen zurückgezogen, weil der Inhalt fehlerhaft war.

Pielhau wollte nicht sagen, woher sie das Mittel bekam

Kritiker bezweifeln, dass die Studien des japanischen Forschers Nobuto Yamamoto, der um die Jahrtausendwende als Erster
GcMAF propagierte, die versprochene Wirkung des Stoffes belegen. Und seit das angebliche Wundermittel in der Kritik steht, ist zu beobachten: Autoren aus aller Welt publizieren ihre GcMAF-Untersuchungen vermehrt in sogenannten Raubjournalen. Diese geben sich als renommierte Wissenschaftsverlage aus, veröffentlichen Beiträge aber oft gegen Geld ohne eine nennenswerte Prüfung.

Jutta Hübner, die am Universitätsklinikum Jena alternative Krebstherapien erforscht, hat sich für das SZ-Magazin mehr als ein Dutzend dieser Veröffentlichungen angesehen. »Die Fallstudien sind grottenschlecht«, sagt Hübner. Die Untersuchungsmethoden seien ungeeignet, um einen Rückgang des Tumors zu belegen, und die Fallbeschreibungen unvollständig. »Ich würde das Mittel nicht mal einem Patienten geben, bei dem ich keine andere Therapiemöglichkeit habe. Die möglichen schädigenden Wirkungen sind völlig unklar.«

Ein dubioses Werbevideo kann man schnell als Humbug einordnen. Aber wenn die Wirkung eines Heilmittels in einem Journal beschrieben wird, das seriös wirkt? Und wenn man verzweifelt einen Ausweg sucht – da die Schulmedizin nicht mehr hilft?

Ein Wissenschaftler, der seinen Sohn vor einigen Jahren durch Krebs verlor, beschreibt seine Gefühle so: »Wenn du dein Kind sterben siehst, willst du an etwas glauben. Das nutzen diese Leute aus.« Der Mann injizierte seinem Sohn zehn Tage lang GcMAF, dafür zahlte er mehrere Hundert Euro. Als die versprochene Wirkung nicht eintrat, brach er die Behandlung ab. Der Wissenschaftler will unerkannt bleiben, er arbeitet in der Krebsforschung und fürchtet um seine Reputation. Sein Eindruck: Früher seien die Veröffentlichungen über GcMAF mit Fachbegriffen gespickt gewesen, heute sprächen die Autoren gezielt Laien an. »Das erkennt man daran, dass der schmerzfreie Patient im Mittelpunkt steht und nicht die Messwerte«, sagt er.

Von wem Miriam Pielhau das Mittel bekam, lässt sich nicht nachvollziehen. Sie bat Freunde, nicht zu fragen, weil sie wusste, dass GcMAF in Deutschland nicht zugelassen ist. Als einer der größten Anbieter des Mittels bewirbt die Firma Immuno Biotech die Wirkung von GcMAF. Der Geschäftsführer David Noakes hat mehrfach als Co-Autor in Raubverlagen veröffentlicht. Weltweit will die Firma mit Sitz auf der Insel Guernsey mehr als 10 000 Patienten mit GcMAF behandelt haben. Noakes muss sich im November in London vor Gericht verantworten, weil er keine Erlaubnis hatte, das Mittel zu vertreiben. Noakes reagierte nicht auf eine Interviewanfrage des SZ-Magazins.

Weltweit ermitteln Behörden, auch Europol spürte GcMAF nach. Im Internet kursiert der Stoff längst unter neuen Namen: Rerum, ImmunoD oder Goleic. Sogar ein Joghurt wirbt damit, das Immunsystem mit GcMAF zu stärken.

Sie wolle keine fünfte Chemo, schrieb Miriam Pielhau ihren Freunden im Sommer 2016. Wer könne schon sagen, ob die wirke? Stattdessen: »GcMAF, hochdosiert«. Drei Wochen später, am 12. Juli, starb Pielhau.

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