Es ist Freitagabend, ich sitze bei 25 Grad allein auf der Dachterrasse und starre in den Himmel. Mir ist langweilig. Vor ein paar Tagen bin ich nach München gezogen und kenne niemanden in dieser Stadt. Nur wie lernt man möglichst schnell Leute kennen, mit denen man in eine Bar gehen oder zum See fahren kann?
Als Studentin war das nie ein Problem. Im Arbeitsleben ist es nicht mehr so leicht: Meist sind die Kollegen und Kolleginnen älter, sie haben längst einen festen Bekanntenkreis oder schon Familie. Wo finde ich also neue Freunde? Dafür, dass wahrscheinlich jeder solche Lebensphasen kennt, wird erstaunlich wenig über dieses Problem geredet.
Eine Freundin erzählt mir am Telefon, dass sie seit ihrem Umzug in eine neue Stadt im Internet nach Freunden suche und sich mit anderen Frauen verabrede, die sie online kennenlernt. Das solle ich auch mal probieren. Aber ich bin skeptisch. Machen sowas nicht eher Einzelgänger oder Verzweifelte? Freunde online finden – das klingt wie der allerletzte Ausweg für sozial inkompetente, hoffnungslose Fälle. Ich würde mich aber weder als unkommunikativ, noch verschlossen gegenüber neuen Menschen beschreiben.
Zögerlich öffne ich die App namens »Bumble«, die meine Freundin nutzt, lege das Handy aber wieder weg – und erstellte mir ein paar Minuten später doch ein Profil. Eigentlich ist Bumble eine Dating-App, aber es gibt eine Freundschaftsfunktion, mit der man sich einfach matchen kann. Interessanterweise scheinen sich im Freundschaftsbereich alle mehr Mühe mit ihrem Profil zu geben als beim Onlineflirten.
Anders als etwa bei Tinder verraten die Leute hier gerne etwas über sich: Die in der App vorgegebenen Satzanfänge wie »Nach der Arbeit ...«, »Nachtclub oder Netflix ...« oder »Yoga oder wandern ...« werden möglichst aufwendig und lustig ergänzt. Fast immer ist auch das Instagram-Profil verlinkt. Man erfährt also einiges über den anderen.
Freundschaft-Apps scheinen wie ein geschützter Raum, in dem man frei von Erwartungen Kontakt aufnehmen kann. Der Druck des Datings, jemanden beeindrucken zu wollen, bleibt aus. Eine Frau schreibt zum Beispiel, dass sie neu in München sei und deshalb oft Langeweile habe. Beim Flirten würde das niemand zugeben. Dass sie so frei von ihrer Einsamkeit erzählt, finde ich sympathisch, also schreibe ich sie an: »Hey Marie, ich denke, wir sitzen im selben Boot.« Wir schreiben hin und her und verabreden uns.
Beim ersten Treffen mit Marie habe ich direkt ein gutes Gefühl. Mit Dutt auf dem Kopf und Grinsen im Gesicht steht sie vor einem Brunnen im Münchener Uni-Viertel. Sie sieht genauso aus wie auf ihren Profil-Bildern, das ist beim Online-Dating ja eher nicht der Fall. In der Bar bestellen wir dasselbe Getränke und sprechen über das Ankommen in Bayern und das anfängliche Alleinsein. Aus Versehen stoße ich mein Weinglas um und sie wird nass, aber unangenehm oder peinlich ist das nicht. Wir ziehen weiter zum Italiener und teilen eine Vorspeise mit viel Knoblauch. Erst als kurz nach Mitternacht ein Unwetter aufkommt, verabschieden wir uns. Noch in derselben Nacht fragt sie, ob ich gut nach Hause gekommen sei.
Beim Freunde swipen geht es mir wie beim Onlinedating früher: Zuerst fand ich es seltsam, bei einem ansprechenden Foto nach rechts zu wischen und dann mit einer fremden Person zu chatten. Heute erzählt man ganz natürlich von seinem letzten Tinder-Date. Partnersuche im Netz ist zu einem Massenphänomen geworden. Laut der Studie »Match me if you can« liegt die Erfolgsquote, Freundschaften auf Tinder zu schleißen, sogar höher als die sexueller Kontakte oder einer Partnerschaft. Es soll mehr als dreimal so wahrscheinlich sein, über die App neue Freunde zu finden, als einen neuen Partner.
Am nächsten Sommerwochenende saß ich nicht mehr allein auf der Dachterrasse, sondern bin mit Marie zum See gefahren. Wir haben viele Stunden dort verbracht: gelacht, gequatscht, gegessen und geschwommen. Und am Tag darauf haben wir uns gleich wieder im Englischen Garten verabredet. Einer echten, tiefen Freundschaft steht nur mehr eins im Weg: Marie zieht nach Bangkok.