Wie abgestumpft darf man auf Terror reagieren?

Der Anschlag in Barcelona lässt unseren Autor seltsam kalt. Darf man sich an Terror gewöhnen? Oder sollte man sich bemühen, bei jedem neuen Angriff auf Unschuldige Trauer zu empfinden?

Anschlag in Barcelona, sagte die Kollegin, die die Eilmeldung als erste entdeckte. Sie sagte das eher zu sich selbst als zu uns anderen im Büro. Jeder im Zimmer hielt kurz inne, brummte irgendwas betroffenes, schaute aus dem Fenster, hing den Gedanken nach, meine waren ziemlich schlicht: Oh, echt, schon wieder. Ich schaute auf mein Handy, las die Zeile: EIL: Barcelona – Transporter fährt in Menschenmenge, dann legte ich das Handy wieder weg und machte weiter mit dem, was ich vorher getan hatte.

Drei Sekunden, vielleicht vier.
War das alles?
Ja, war es.

Ein anderer Kollege sagte am nächsten Tag, er habe dieses Gefühl nicht erst jetzt – dass ihm die Betroffenheit nach Terroranschlägen abhanden gekommen ist. Jetzt hatte ich es auch. Ich kenne Barcelona, ich kenne Menschen, die dort leben, und andere, die gerade dort Ferien machten, es war nicht sofort klar, dass es allen gut geht, und trotzdem: vier Sekunden.

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Natürlich laufen sofort die üblichen Routinen an: J.K. Rowling twittert etwas Kluges, die AfD hetzt, ein lokaler Politiker hält eine bewegende Rede, Tausende Menschen drücken auf Twitter ihre Betroffenheit aus. Ich diesmal nicht. Ich lese nur einen Kommentar in der BILD-Zeitung am nächsten Tag, darin steht, Anschläge würden nicht dadurch weniger schlimm, dass sie sich häufen. Stimmt. Der Kommentar fordert, man dürfe jetzt nicht abstumpfen. Leicht gesagt, denke ich beim Lesen, und was wäre das Gegenteil?

Es ist eine sonderbare Art von Luxus, sich den Mangel an Betroffenheit leisten zu können. Wer sich darüber Gedanken macht, hatte zuerst mal überhaupt sehr viel Glück.  Niemand ist gern betroffen, sehr viele Menschen würden eine Menge dafür geben, an diesem Abend nicht Opfer gewesen zu sein. Aber mein Nichtbetroffensein, das sofortige Zurückkehren zur Tagesordnung, fühlt sich falsch an.

Den nach all den Anschlägen der letzten Jahre freigewordenen Platz nimmt jetzt Abgeklärtheit ein, die hoffentlich nicht schon Zynismus ist: Kann man eh nicht ändern. Wenn’s passiert, passiert’s.

Ich erinnere mich an den 11. September 2001, an die Anschläge in London, Madrid, Paris. Diese große, abstrakte Betroffenheit, die Ahnung, dass sich dadurch jetzt etwas geändert hat, ohne genau sagen zu können, was. Damals schien für Stunden, manchmal auch Tage, die Sonne in einem anderen Winkel zur Erde zu stehen. Das Licht war anders, das Leben änderte das Tempo, zumindest fühlte es sich so an. Jetzt erstmal keine Witze mehr. Und schon dieses Gefühl, selber ein bisschen betroffen zu sein, half, damit umzugehen. Die Illusion, mit dem Mit-Trauern selbst auch etwas bewältigt und beigetragen zu haben, auch wenn das gar nicht stimmte. Denn sicher, was ich darüber denke, wie es mir damit geht, Hunderte Kilometer entfernt und zum Glück komplett verschont geblieben, das ist wohl wirklich egal. Es sei denn, es geht nicht nur mir so.

»Der Terror« meint jeden von uns, das ist mir auf eine sehr abstrakte Art klar. Aber er meint nicht genau mich, er meint ja auch nicht genau die, die das Pech hatten, im falschen Moment am falschen Ort zu sein, zufällig. Man müsste die Anschläge aber persönlich nehmen, um daraus Schlüsse zu ziehen. Und sie sind ja genau nicht persönlich gemeint, sondern unkonkret und ungesteuert in die anonyme Menge. Aber was heißt das? Hieße das nicht auch, eigentlich könnte ich mich freuen, jetzt mal wieder davon gekommen zu sein? Wäre das nicht normal, angemessen, gesund?
Kann schon sein. Es wäre aber auch ziemlich daneben.

Und während dieser Text, der ohne klugen Schluss auskommen muss, auf sein Ende zuläuft, kommt die nächste Eilmeldung: Messerstecherei in Finnland.

Und dazu fällt mir nicht mehr ein als der naive, hilflose, aber ehrliche Gedanke:
Ich hab einfach keine Lust, mich daran zu gewöhnen.