Einen nicht unerheblichen Teil seiner Adoleszenz opfert der Standard-Mann dem Suchen, Beschaffen, Begaffen und neuerlichen Suchen von Pornografie. Er muss "es" nun mal sehen, um nicht ständig dran zu denken. Sehnsuchtsorte dieser hormonellen Unruhe waren in der analogen Welt Bahnhofskioske, Sexshops und der nicht abgeschlossene Schreibtisch des Mannes von Tante Sybille. Überall dort gab es das Begehrte, allerdings galt es stets Schamhürden zu überwinden: den strengen Blick des Kioskbesitzers, der lange den Preis des Schlüsselloch-Hefts suchte. Das Stehen an der Sexshop-Kasse, bei dem Hände schwitzig die heiße Ware umklammerten. Oder eben Tante Sybille.
Diese Schwierigkeiten des Erwerbs und der Umstand, dass man die zotigen Bildchen ja auch verstecken musste, machten aus Pornobesitz früher so etwas wie den Piratenschatz des jungen Mannes. Derlei Wildromantik hat sich in der digitalen Welt allerdings erledigt. Pornos waren und sind das schnöde Transitgut des World Wide Web, Millionen Europaletten nackter Menschen sind untergebracht auf noch mehr schlecht gestalteten Seiten. An die Stelle des schmuddligen Bahnhofs ist die sehr hygienische Suchmaschine getreten, die auch die deftigste Sucheingabe noch mit stummer Korrektheit besorgt.
In den frühen Jahren des Internetbooms mochte sich die Bildchen-Branche noch der Hoffnung hingeben, man könne alle dabei ausgespuckten Angebote in kreditkartenpflichtige Web-Kioske verwandeln. Angesichts der Findigkeit adoleszenter Männer und ihrer weltweiten Überzahl konnte dieser Plan aber nie recht aufgehen – da wurde stets schneller kopiert und verstreut, als ein Pornofräulein die Lippen schürzen konnte. Zu allem Überfluss stellte man an den Bildschirmen zu Hause auch noch fest, dass es die Pornofräulein gar nicht unbedingt brauchte – gesund ist man ja selber! Der daraus resultierende Siegeszug der Amateur-Pornografie, gepaart mit den immer kostenloseren Profis, den immer besseren Suchmaschinen und immer schärferen Kameras dürfte bedeuten, dass ein vernetzter 14-Jähriger heute schon mehr Nacktfleisch gesehen hat als ein altgedienter Saunawärter.
Und mal jenseits aller moralischen Einwürfe: Zeitersparnis, das ewige Versprechen moderner Elektronik, damit ist es einmal eingelöst. Denn nicht nur das aufwändige Herumlungern an Bahnhöfen entfällt, auch die bisher sehr zeitraubende Tätigkeit "Körperteile imaginieren" ist heute hinfällig, weil ja auf Knopfdruck gleich Tatsachen verfügbar sind. Die Pubertät kann quasi um zwei Jahre verkürzt werden, Eltern atmen auf, Lehrer jubeln, die PISA-Studie geht durch die Decke. Gelobt sei das Porno-Web. Nur die Bahnhofskioskbesitzer sind traurig. Wohin jetzt mit ihrem strengen Blick?