Der Anti-Konflikt-Herd

Brennstoff zum Heizen und Kochen ist rar in Kenia. Müll dagegen gibt es viel zu viel. Das brachte den kenianischen Architekten Jim Archer auf eine zündende Idee.

Der Ofen, auf dem ihr Reistopf brodelt, sagt die Frau, das ist nicht einfach nur ein Ofen. Es ist so etwas wie ein Herd der Verständigung. »Bei den Wahlen dieses Jahr haben wir zusammen gekocht, statt uns die Köpfe einzuschlagen.« Dorkas Atieno, 28 Jahre, Friseurin, lacht, während sie im Reis rührt.

Der Ofen, sie nennen ihn »Community Cooker«, steht im Freien auf einem kleinen Grundstück in Karagita, einer rund 30 000 Einwohner starken Hüttensiedlung im Herzen der kenianischen Blumenindustrie. Hier leben Menschen aus allen Teilen des Landes – was auch heißt: Angehörige aller Ethnien. Eine Mischung voller Sprengkraft. Nach den Wahlen vor fünf Jahren gingen plötzlich Banden verschiedener Volksgruppen aufeinander los, weil der Verlierer der Wahl sich um den Sieg betrogen fühlte. Karagita war einer der Orte des Landes, an denen die Gewalt am schlimmsten wütete.

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Dorkas Atieno gehört dem Volk der Luo an. Sie kocht meistens Reis, Bohnen, Fisch aus dem Victoriasee, während die Kikuyu-Frauen eher Sojabohnen, Maisbrei oder Süßkartoffeln zubereiten. An den Tagen rund um die Wahlen dieses Jahr, Anfang März, standen die Frauen gemeinsam um den Ofen, gaben sich gegenseitig zu probieren, was sie gerade kochten. »In diesen Tagen war mir klar«, sagt sie, »dass wir nie wieder aufeinander losgehen werden.«

Noch eine Besonderheit: Ihr Reis, ihre Bohnen und ihre Freundschaft zu den Kikuyu-Frauen – all das gart auf Hitze, die nicht von teurer Holzkohle oder von Kerosin befeuert wird wie die anderen, oft übel riechenden Feuer der Stadt. Ihr Feuer ist 800 Grad heiß und fast geruchsfrei. Genährt wird es von sorgfältig ausgewähltem Müll.

Der Erfinder

Er ist Mitgründer eines der größten Architektenbüros in Kenias Hauptstadt Nairobi: Jim Archer, 75, halblanges schütteres Haar, knorrige Nase. Er sitzt in seinem Büro im grünen, kolonial geprägten Westen der Stadt, die offene Flügeltür führt in einen Garten. Im Vorraum stehen all die internationalen Design-Preise, die er für den Community Cooker gewonnen hat: einen mit einfachsten Mitteln zusammengemauerten und geschweißten Ofen, der Müll in Hitze verwandelt. »Als Nächstes erzeugen wir damit noch Strom«, sagt er, »und Kühlenergie. Zum Beispiel für Leichenhäuser, damit haben wir hier in Kenia ein echtes Problem.«

Mitte der Siebzigerjahre war Archer, Sohn britischer Einwanderer, für zehn Jahre ins Nachbarland Uganda gegangen, anschließend drei Jahre nach England, und als er nach dieser langen Zeit in sein Geburtsland Kenia zurückkehrte, sah er überall diese Unmengen Müll. »Ich erkannte mein Land nicht wieder«, sagt er, »früher war es das schönste und sauberste auf Erden.« Zugleich sah er, wie schwer es vielen Leuten fiel, sich die tägliche Ration Holzkohle oder Kerosin zum Kochen zu leisten. Er fragte sich: Könnte man nicht beide Probleme gemeinsam lösen?

An der Wand seines Büros hängt die allererste Ideenskizze. Oben, am Ende des Schornsteins, eine gekritzelte Rauchwolke, daneben ein Pfeil und ein dick eingekreistes Wort: »nasty!« – übel. »Was ich völlig unterschätzt hatte«, sagt Archer, »die Schwierigkeit, den Müll auf über 800 Grad zu erhitzen – sodass er verbrennt, ohne giftigen Rauch in die Umgebung zu blasen.« Ein Amerikaner wollte ihm ein computergesteuertes System aufschwatzen, er hat ihn davongejagt. »Sobald etwas schwierig instandzuhalten ist, wird es in den Slums früher oder später aufgegeben, und dann hat man einfach einen weiteren Haufen Schrott, der vor sich hinrostet.« Seine Faustregel für die Ideenfindung: »Wenn man ein Problem nicht mit einem Stück Schnur, Draht oder einem Schweißbrenner beheben kann, dann will ich nichts davon wissen.«


Der Müllkocher soll zum Herz einer grünen Oase in der Arbeitersiedlung werden.

Der Müll-Manager

David Musyoka, 43 Jahre alt, technischer Leiter des Community Cooker, öffnet eine Klappe, stopft ein paar zerrissene Kartonstücke in den Ofen. »Das hier ist das ganze Geheimnis«, sagt er. Dann dreht er behutsam einen Hahn auf, Wasser beginnt über ein dünnes Rohr in die züngelnden Flammen zu tropfen. Ein zweiter Hahn: tröpfchenweise zähe schwarze Flüssigkeit; altes Motorenöl, nach gängiger Lehrmeinung zu nichts mehr zu gebrauchen, in Kenia deshalb oft in Böden und Bächen entsorgt. Es zischt, faucht und spratzelt, die Mischung aus Altöl und Wasserdampf feuert den Brand an wie ein Turbolader, katapultiert die Temperatur von läppischen 200 auf über 800 Grad.

Es war ein Junge aus Kibera, dem größten Slum von Kenias Hauptstadt Nairobi, dem die Macher des Community Cooker die zentrale Innovation verdanken. Ich weiß, wie wir das Problem lösen, hatte er zu Jim Archer gesagt, als der gerade an einem Prototyp tüftelte, und zeigte ihm, wie er Rohre und andere Teile zweifelhafter Herkunft aus Kupfer, Messing, Aluminium einschmilzt, um das Metall anschließend auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Archer gab ihm den Spitznamen »Firebox Francis«. Seit der Gewaltwelle nach den Wahlen vor fünf Jahren hat sich Firebox Francis offenbar in sein Heimatdorf zurückgezogen, geht nicht mehr ans Telefon – doch seine Idee lodert täglich im Müllofen weiter.

Mit einem langen Stab stopft David Musyoka den Müll, der über eine geschlossene Rampe in den Ofen rutscht, in die Brennkammer. »Wir sind immer noch am Experimentieren«, sagt er. Derzeit verfeuern sie vor allem Plastikabfälle von einer Fairtrade-Farm in der Nähe, die den Bau des Cookers finanziert hat; nicht alle davon taugen als Brennstoff. Es ist ein bisschen wie bei der Papst-wahl. Schwarzer Rauch: Die richtige Wahl ist noch nicht getroffen. Weißer bis farbloser Rauch: hurra. In einer Ecke türmen sich leere Plastikschachteln für Erdbeeren, »die sind einfach geschmolzen und an der Ofenwand festgeklebt«, sagt David Musyoka, »ich werde den Leuten von der Farm sagen, dass sie die nicht mehr bringen sollen.«

Er zeigt auf das Grundstück außerhalb des Zauns, wo der Boden fetzenweise mit Papier und Plastik übersät ist. »In ein paar Monaten wird diese Stadt unglaublich sauber sein«, sagt er. Ab Ende April sollen die städtischen Müllsammler den Ofen beliefern und dafür einen Zusatzverdienst bekommen, »das wird sie enorm motivieren«.

Auf dem Grundstück rund um den Cooker keimt Gras, junge Bäumchen sprießen, mit ein wenig Fantasie kann man hier einen kleinen Park entstehen sehen. »Die Leute in Karagita können schließlich einen Ort gut gebrauchen, an dem sie sich erholen können«, sagt David Musyoka. Der Müllkocher, so der Plan, soll nach und nach zum Herz einer grünen Oase in der Arbeitersiedlung werden.

Der Unternehmer

Er ist gelernter Journalist und dozierte zwischenzeitlich an einer Akademie, ehe diese pleiteging. Wie so viele Kenianer muss er sich jetzt mit Gelegenheitsjobs durchschlagen: Peter Mutahi, 35, hat als Rosenpflücker gearbeitet, später auf Baustellen, inzwischen hat er von einem Bekannten gelernt, wie man kleine Kuchen backt. Morgens kauft er Mehl, Öl, Hefe und Zucker – und früher auch noch Holzkohle, um seinen Ofen anzufeuern. Nachmittags verkauft er die Küchlein in den Straßen von Karagita.

Er öffnet eine Klappe an der Seite des Community Cooker: Unter den Kochplatten gibt es auch einen Backofen, der bislang noch selten genutzt wird, aber das scheint sich jetzt zu ändern.

Peter Mutahi hebt ein Blech voller Küchlein heraus, stellt es vor sich ab. »Das Ding funktioniert besser, als ich gedacht hätte«, sagt er aufgekratzt. Er ist heute probeweise mit einem kleinen Eimer voll Teig gekommen, hat ein paar Dutzend Kuchen gebacken, »die Qualität ist verblüffend«, sagt er und bricht einen davon in der Mitte auseinander. »Morgen komme ich mit der dreifachen Menge Teig wieder, ich glaube, die werden mich hier jetzt jeden Tag sehen.«

Vor einer Woche erst hat er den Community Cooker entdeckt, als er die Straße hinablief. »Ich war erst skeptisch«, sagt er, »da stand dieses Ding mit dem hohen Schornstein, aus dem oben Rauch rauskam. Keine Ahnung, was das sollte.« Er ging aufs Grundstück, und dort erklärten sie ihm, dass der Ofen mit Müll befeuert werde. Hätten sie nicht hinzugefügt, dass er probeweise gern völlig gratis backen dürfe, wäre es wohl bei dem einen Besuch geblieben.

»Ich glaube, das Ding wird mein Business wirklich zum Wachsen bringen«, sagt er jetzt. »Wenn ich jeden Tag das Geld für die Holzkohle spare, kann ich mir vielleicht sogar etwas zurücklegen. Und wer weiß – womöglich kann ich es mir dann eines Tages sogar wieder leisten, als Journalist zu arbeiten.«

Fotos: Siegfried Modola / Agentur Focus