Richard Holbrooke ist ein Politiker-Typus, den man in Deutschland nicht findet: Publizist, Investmentbanker und Diplomat. 1968 war er Mitglied der US-Delegation bei den Friedensverhandlungen mit Vietnam, unter Präsident Clinton Botschafter in Bonn. In Europa wurde er bekannt, als er 1995 dem serbischen Präsidenten Milosevic das Friedensabkommen von Dayton abrang. Sollte 2008 ein Demokrat US-Präsident werden, gilt der 65-Jährige als Favorit für das Amt des Außenministers. Foto: dpa
SZ-Magazin: Herr Holbrooke, Sie haben einmal Diplomatie mit Jazz verglichen …
Richard Holbrooke: Oh, ja. Das war vor zehn Jahren.
Und heute? In Zeiten von Al-Qaida und Irakkrieg – ist Diplomatie eher mit Punk zu vergleichen?
Auch wenn Sie es nicht glauben: Ich weiß nicht mal, was Punk ist. Ich habe Diplomatie mit Jazz verglichen, weil gute Diplomatie auch die ständige Improvisation ein und desselben Grundthemas ist: Wie bringt man die führenden Nationen dazu, dass sie zusammenspielen?
Zurzeit herrscht aber eher der Eindruck, dass viele Spannungen auf der Welt kaum noch mit friedlichen Mitteln zu lösen sind. Erleben wir das Ende der Diplomatie?
Ich vertraue noch immer auf ihren Wert. Allerdings, das haben wir in Bosnien, im Kosovo und in Afghanistan gesehen, gibt es Momente, in denen man Gewalt anwenden muss. Aber Diplomatie verschwindet deshalb nicht.
Dennoch erscheint die Liste der unlösbaren Konflikte lang: Nordkoreas atomare Drohgebärden, der Iran, der sämtliche Ultimaten der UN schlicht ignoriert; und im Irak sterben Woche für Woche Hunderte Menschen.
Die Welt ist voll von Ländern und Figuren, die Regeln und Diplomatie nicht respektieren. Das gab es immer schon. Es gab immer Menschen, die der internationalen Gemeinschaft getrotzt haben – manchmal sehr erfolgreich, wie Adolf Hitler, der sich dem System widersetzte, bis das System kollabierte. Heute ist es der Iran, der sich mehr als jedes andere Land verweigert. Hinzu kommt: Es gibt zum ersten Mal wichtige nicht staatliche Akteure, die das System umgehen wollen – Al-Qaida zum Beispiel. Das ist eine neue Herausforderung.
Wenn Diplomatie die friedliche Lösung von Konflikten ist, dann hält sich neben dem Iran vor allem ein Land nicht an die Regeln: die USA.
In der modernen amerikanischen Geschichte, die mit Präsident Wilson vor 90 Jahren beginnt, haben die Vereinigten Staaten als Führungsnation für die Welt immer mit anderen Ländern zusammenarbeiten wollen. Leider haben die USA die Bedeutung von Diplomatie herabgestuft: Zum ersten Mal in der modernen amerikanischen Geschichte hat sich auf höchster Ebene der Regierung die Überzeugung durchgesetzt, dass es ein Zeichen von Schwäche ist, wenn man mit seinem Gegner redet, und dass dauerhafte Bündnisse nicht viel Wert sind. Ich teile diese Philosophie nicht.
Wo ist das Versagen der US-Diplomatie zurzeit besonders eklatant?
Im Umgang mit Syrien zum Beispiel. Seitdem Israel in den Südlibanon vorgedrungen ist, hat die Regierung Bush hochrangige Gespräche mit Syrien verweigert. Jeder amerikanische Außenminister, von Henry Kissinger bis Colin Powell, hat mit den Syrern gesprochen. Nur Präsident Bush und Außenministerin Rice sagten öffentlich, dass die Syrer schon wüssten, was zu tun sei. So funktioniert Diplomatie nicht. Die Syrer haben internationalen Besuchern signalisiert, dass sie mit den USA zu reden wünschten. Die Israelis haben uns gebeten, mit Syrien zu reden. Und trotzdem tun wir es nicht. Das macht keinen Sinn. Syrien ist einer der Schlüssel für eine Lösung im Nahen Osten.
Hätten die USA nicht auch längst mit Nordkoreas Herrscher Kim Jong-il sprechen sollen?
Nordkoreas Atombombe ist zwar ein enormer Rückschlag für die politische Stabilität, aber sie ist keine direkte Bedrohung für die USA, Südkorea oder Japan. Das Problem ist eher, dass die Nordkoreaner ihre Technologie oder ihr nukleares Material an einen Schurkenstaat oder eine Terrororganisation verkaufen könnten. Dies müssen wir jetzt unbedingt verhindern. Dass sich unsere Regierung fünf Jahre lang geweigert hat, direkt mit Nordkorea zu sprechen, macht die Sache nicht leichter.
Präsident Bush hat jüngst eingeräumt, die Situation im Irak sei mit der in Vietnam vergleichbar. Sie arbeiten seit 40 Jahren in der US-Außenpolitik und haben an den Friedensverhandlungen zur Beendigung des Vietnamkriegs teilgenommen. Ist der Vergleich Irak – Vietnam zutreffend?
Es besteht die große Gefahr, dass das Irak-Projekt scheitert. In gewisser Weise sind die Vergleiche zwischen Vietnam und Irak korrekt, sowohl militärisch als auch politisch. Aber diplomatisch gibt es keine Ähnlichkeiten. In Vietnam wussten wir genau, mit wem wir verhandeln mussten – mit der Regierung in Hanoi. Mit wem aber wollen Sie im Irak verhandeln? Sie können mit Aufständischen nicht verhandeln, die scheinen nicht einmal einen klaren Führungskern zu haben. Und Sie können nicht mit Al-Qaida verhandeln. Al-Qaida ist nicht die Sowjetunion.
Angenommen, Sie könnten Osama bin Laden trotzdem treffen. Wie würden Sie mit ihm verhandeln?
Mit bin Laden? Mit dem gibts nichts zu verhandeln. Mit manchen Menschen können Sie nicht sprechen. Bin Laden hat in jeder seiner Äußerungen klargemacht, dass er den Westen für böse und dekadent hält. Da macht er keinen Unterschied zwischen den USA oder Deutschland. Er möchte das Kalifat des 13. Jahrhunderts wieder errichten. Er würde Israel von der Landkarte tilgen.
Sie haben in Ihrer Karriere mit einer Menge Schurken zu tun gehabt. Darunter war während der Balkankonflikte auch der frühere serbische Präsident Slobodan Milosevic. Als Vermittler: Was ist der Unterschied zwischen bin Laden und Milosevic?
Milosevic war Präsident eines Landes, das von den USA und der EU anerkannt wurde. Er hatte Besitz zu verteidigen: Städte, seine Infrastruktur, sein Militär, die Wirtschaft. Er versuchte Jugoslawien als ein serbisches Imperium zu erhalten. Bin Laden will nichts aufbauen, sein Ziel ist die Zerstörung. Er ist der gemeinsame Feind aller Zivilisation, den Islam eingeschlossen. Er muss isoliert und zerstört, seine Ideologie muss vernichtet werden. Und das wird lange dauern.
Könnten Sie sich vorstellen, mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadine-dschad zu verhandeln?
Ich persönlich? Bestimmt nicht. Genauso wenig wie meine Regierung. Die Iraner haben mich als Vorsitzenden der Asien-Gesellschaft in New York gefragt, ob wir Ahmadinedschad als Redner empfangen würden. Ich habe einen Tag darüber nachgedacht und mich schließlich gefragt: Hätten wir Hitler ein Forum geboten? Nein, hätten wir nicht. Aber wir sollten mit den Iranern reden, dem Außenminister etwa, der ja auch zu den UN kommt. Außerdem haben wir während des Afghanistan-Feldzugs mit ihnen gesprochen.
Das war noch eine andere iranische Regierung. Warum ist das jetzige Regime so kompromisslos?
Iran ist im Moment der größte Nutznießer der Ereignisse. Sie sind zwei ihrer größten Rivalen los: die Taliban und Saddam Hussein. Im Krieg mit Irak haben sie acht Jahre lang versucht, Saddam loszuwerden, und dafür eine Million Menschen geopfert. Wir haben es in drei Wochen erledigt. Sie sind in Afghanistan mit den Taliban nicht fertig geworden. Bei uns waren sie nach ein paar Tagen verschwunden. Der Iran kontrolliert die Hamas, die Hisbollah, den Ölpreis, die Wirtschaft und zunehmend auch die Politik von West-Afghanistan. Sie betreiben ihr Nuklearprogramm, und in Bagdad gibt es jetzt eine schiitische Regierung – die erste seit 400 Jahren. Wir haben ihnen all das geliefert. Jetzt unterstützen sie Muktada al Sadre und andere schiitische Führer im Irak, die langfristig das Ziel verfolgen, die Vereinigten Staaten aus dem Land zu vertreiben. Wenn das gelingt, würde eine schiitische Sichel vom Mittelmeer bis nach Zentralafghanistan entstehen. Ich denke, Iran ist im Moment wirklich das gefährlichste Land der Welt.
Strategisch scheint es nur zwei Optionen zu geben: das Atomprogramm hinzunehmen oder Krieg zu führen.
Nein, das akzeptiere ich nicht. Iran ist zwar gerade die schwierigste diplomatische Aufgabe. Aber Diplomatie hat nicht immer etwas mit Verhandlungen zu tun. Es geht auch darum, internationale Koalitionen einzusetzen und Länder zu isolieren. Wir haben beim Iran viel zu langsam gehandelt; wir haben aber noch nicht alle Optionen ausgeschöpft.
Als Diplomat darf man offenbar vor allem eines nie aufgeben: die Hoffnung. Sind Sie ein Optimist?
Immer. Aber ich hoffe, auch ein Realist.
Welche Eigenschaften zeichnen einen guten Diplomaten noch aus?
Ein Gespür für Geschichte. Geschichte ist wie ein dynamischer, rauschender Fluss. Alle Situationen der Gegenwart haben ihre historischen Wurzeln. Zweitens: die Bereitschaft, genau zuzuhören. Danach muss man entscheiden, ob es Gemeinsamkeiten selbst mit dem Gegner gibt. Gibt es sie nicht – so wie bei Al-Qaida –, dann muss man eine internationale Koalition schmieden und den Gegner besiegen. Und besonders wichtig ist drittens: Sie brauchen in Ihrem Land Unterstützung für Ihre Arbeit. Nehmen Sie nur Tony Blair: Er ist der erfolgreichste Labour-Premier der Geschichte, aber seine eigene Partei hat ihn rausgeworfen, weil sie seine Irak-Politik nicht unterstützt.
Wie ist es mit ganz praktischen Talenten? Guten Nerven, zum Beispiel?
Die brauchen Sie ganz bestimmt. Und eine gute Physis. Die Gespräche mit Milosevic zogen sich manchmal die ganze Nacht hin. Da war es entscheidend, den Tisch nicht als Erster zu verlassen. Um uns mürbe zu machen, boten uns die Serben manchmal einen Drink nach dem anderen an. Da habe ich ihnen klargemacht: Wir trinken immer erst dann, wenn wir wieder ein Stück des Friedensvertrags vereinbart hatten. Das half.
Der frühere russische Außenminister Igor Iwanow nannte Sie einen Besessenen, in Washington werden Sie manchmal Dirty Dick genannt …
Die Namen habe ich noch nie gehört. Aber im Kosovo gibt es eine Bar, die heißt »Tricky Dick«. Manchmal hat man mich auch den Bulldozer genannt. Wie auch immer es gemeint war: Ich nehme das als Kompliment.
Half es, wenn Gesprächspartner wie Milosevic Angst vor dem Bulldozer hatten?
In Verhandlungen mit Gegnern ist es manchmal ganz gut, ein wenig gefürchtet zu werden. Wenn Sie mit Freunden verhandeln, sollten Sie respektiert, vielleicht sogar gemocht werden. Also muss man variieren, der Stil muss zur Situation passen. Meinen sogenannten Ruf habe ich auf dem Balkan erworben; das waren feindselige Verhandlungen. Aber ich habe auch 30 Jahre lang mit China geredet. Schüchtern Sie niemals Chinesen ein, niemals! Ich war nie unverschämt zu Chinesen und ich werde es nie sein. Man muss mit ihnen ganz anders umgehen, langsam, geduldig, Stück für Stück. Passen Sie sich ihrer Kultur an. Oder nehmen wir die Vereinten Nationen, wir haben dort die Finanzstruktur geändert. Dazu mussten 191 Staaten, darunter Kuba, Syrien, Nordkorea und Libyen, zustimmen. Außerdem mussten wir unsere Verbündeten überzeugen. Mit der EU war es besonders schwierig. Versuchen Sie mal, die EU unter Druck zu setzen – das funktioniert nicht.
Zum Schluss: Verraten Sie uns Tricky Dicks besten Trick? …
(schweigt)
Im richtigen Moment nichts zu sagen?
Ja, manchmal. Aber Sie müssen anderen auch zuhören und sich klar verständlich machen. In der Diplomatie halte ich nichts davon, zu trickreich oder verschlagen zu sein. Das war der Stil von Talleyrand, aber das war auch eine andere Zeit. Heute müssen Sie Ihre Ziele der Öffentlichkeit, der ganzen Welt erklären. Außenpolitik muss in schlichter Art verständlich sein. Nach dem 11. September glaubten die Amerikaner, dass sie Präsident Bush verstünden, und sie unterstützen ihn überschwänglich. Dann waren sie verwirrt: Es gab keine Massenvernichtungswaffen im Irak, Saddam hatte mit dem 11. September nichts zu tun, die Ziele in Afghanistan waren nicht erreicht, Al-Qaida war nicht aus-gelöscht. Und die unglaubliche Einigkeit begann zu bröckeln.
Ist die Welt nicht zu kompliziert, um sie in simplen Worten zu erklären?
Das ist eine akademische Haltung. Wenn Sie Politiker in einer Demokratie sind, dann müssen Sie Ihre Politik so erklären, dass Sie die Menschen verstehen. Die Menschen müssen nicht jedes Detail über die sunnitische oder die schiitische Situation wissen. Aber sie müssen die grundsätzlichen Ziele verstehen.