Bis Januar 2010 will Barack Obama das amerikanische Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba schließen. Doch wohin mit den Gefangenen? Von 779 Menschen, die dort seit 2002 festgehalten wurden, sind momentan noch 229 interniert, gegen rund 60 besteht kein Terrorverdacht mehr. Sie könnten sofort freigelassen werden – wenn sich ein Land findet, das sie aufnimmt.
In ihre Heimat können viele der Häftlinge nicht zurück: aus Angst vor Verfolgung, Gefängnis, manchmal auch Folter. Das Außenministerium hat den Diplomaten Daniel Fried zum Botschafter der Häftlinge gemacht – er soll für sie ein neues Zuhause suchen. Außerdem versprechen die USA jedem Land, das ehemalige Guantanamo-Häftlinge aufnimmt, Zugang zu allen Dokumenten. Wir stellen einige der Inhaftierten vor.
Ahmed Belbacha (ISN 290)
Geboren 1969 in Algerien
Festgenommen in: Afghanistan 2001
In Guantanamo seit: März 2002
Ahmed Belbacha floh 1999 aus Angst vor der Gewalt der Groupe Islamique Armé von Algerien nach England. Er arbeitete als Reinigungskraft in Hotels, lernte Englisch, doch sein Asylantrag wurde abgelehnt. Im Juni 2001 flog er nach Pakistan, um dort an einer Koranschule zu studieren, reiste nach Afghanistan, wollte im Dezember nach England zurück und einen neuen Asylantrag stellen. In Afghanistan wurde er verhaftet, von der CIA befragt und nach Guantanamo überstellt. Gegen ihn besteht kein Terror-Verdacht.
Hedi Hammamy (ISN 717)
Geboren: 1969 in Tunesien
Festgenommen: April 2002 in Pakistan
In Guantanamo seit: August 2002
Weil Hedi in Tunesien keine Arbeit fand, zog er 1987 nach Italien und arbeitete dort in einem Restaurant. Im Jahr 2000 zog er nach Pakistan, um dort zu heiraten. Seine Tochter Marwa kam im Juni 2001 zur Welt. Als er sich im April 2002 ein Haus in Pakistan ansehen wollte, wurde er verhaftet und nach Guantanamo verschleppt. Als sein Schwiegervater Abdullah sich nach Hedi erkundigte, wurde auch er nach Guantanamo gebracht. Aus Angst vor Verfolgung flohen seine Frau und seine Tochter zurück nach Tunesien. Sowohl Hedi als auch Abdullah wurden vom Terrorverdacht freigesprochen – Abdullah wurde nach Tunesien geschickt, wo er als angeblicher Islamist sofort verhaftet wurde. Weil Hedi ein ähnliches Schicksal fürchtet, bleibt er in Guantanamo – bis ihn ein Land aufnimmt.
Polad Sirajov (ISN 089)
Geboren: 1975 in Aserbaidschan
Festgenommen: November 2001 in Afghanistan
In Gaunatanamo seit: Januar 2002
Polad Sirajov hat Türkisch und Englisch an der Erciyes Universität in Kayseri, Türkei, studiert. Im Frühjahr 2001 besuchte er eine Koranschule in Afghanistan, um Arabisch zu lernen. Als dort die Kämpfe zwischen Taliban und Nordallianz eskalierten, wurde Polad von Soldaten des Warlords Abdul Rashid Dostum verhaftet und über Wochen festgehalten – um ihn anschließend, ohne Anklage, dem US Militär zu übergeben. Vor dort aus kam er nach Guantanamo, wo er immer noch wartet, bis ein Land ihm Asyl gewährt.
Ayman al-Shurafa (ISN 331)
Geboren: 1975 in Saudi Arabien
Festgenommen: 2001 in Afghanistan
In Guantanamo seit: 2002
Als Sohn einer saudi-arabischen Familie studierte er Betriebswirtschaft in Gaza, bekam einen palästinensischen Pass und floh nach Ausbruch der Intifada. Saudi Arabien nahm ihn als Palästinenser nicht auf, er landete in Afghanistan. Dort wurde er nach Ausbruch des Krieges im Jahr 2001 gefangen genommen und nach Guantanamo gebracht. Dort wurde er vom Terrorverdacht freigesprochen – doch Palästina hat sich bisher nicht bereit erklärt, ihn aufzunehmen. Auch sein Geburtsland Saudi Arabien verweigert die Aufnahme.
Oybek Jamoldinivich Jabbarov (ISN 452)
Geboren: 1974 in Usbekistan
Festgenommen in: Afghanistan 2001
In Guantanamo seit: 2002
Oybek wuchs in Chortok, Usbekistan auf. Nach Schule und Militärdienst arbeitete er in Tadschikistan. Durch seine Mutter erfuhr er, dass er in Usbekistan von der Polizei gesucht wird – angeblich wegen "verfassungsfeindlichem Verhalten". In seine Heimat konnte er seitdem nicht mehr zurück. Die tadschikische Regierung vertrieb 1999 viele Usbeken nach Afghanistan, Oybek arbeitete dort als Händler. Im Dezember 2001, als das Land durch Kämpfe bereits sehr unsicher war, boten ihm Soldaten der Nordallianz an, ihn durch das gefährliche Gelände zu fahren – doch sie übergaben ihn (vermutlich gegen Zahlung eines Kopfgelds) an amerikanische Soldaten. Oybek fühlte sich bei den Amerikanern sicher; er kannte die US Truppen durch seine Zeit beim Militär. Doch sie schickten ihn als Terror-Verdächtigen nach Guantanamo.
Ravil Mingazov (ISN 702)
Geboren: im December 1967 in Kamchatskaya, Russland
Festgenommen in: Pakistan 2002
In Guantanamo seit: Oktober 2002
Ravil Mingazov studierte Tanz in Naberezhyne Chelny und tourte mit Ballettgruppen durch Russland, später auch als Mitglied des russischen Militärballetts. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion arbeitete er in einer Armeeküche (dort entstand auch dieses Photo), konvertierte zum Islam und wurde deswegen schikaniert: Sein Haus wurde durchsucht, er durfte seinem Kind keinen muslimischen Namen geben. Für ein besseres Leben mit anderen Muslimen zog er nach Tadschikistan weiter in ein usbekisches Flüchtlingslager in Afghanistan, wo er vor den Kämpfen nach Pakistan flüchtete. Dort wurde er bei einer Razzia festgenommen und den amerikanischen Streitkräften übergeben. Über das Gefängnis in Bagram kam er im Oktober 2002 nach Guantanamo. Seit ein ehemaliger Guantanamo-Häftling in Russland erschossen wurde, ist ihm die Rückkehr in sein Heimatland zu gefährlich.
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Adel Al Hakeemy (ISN 168)
Geboren: 1965 in Tunesien
Festgenommen: 2001 in Pakistan
In Guantanamo seit: Februar 2002
Weil Adel Al Hakeemy in Tunesien keine Arbeit fand, zog er 1989 nach Italien und jobbte als Landarbeiter und Küchenhilfe. Im März 2000 heiratete er in Pakistan und zog mit seiner Frau in die afghanische Stadt Dschalalabad, um dort mit seinem Schwiegervater eine Firma zu gründen. Nach dem 11. September 2001 wollte er Afghanistan mit seiner schwangeren Frau verlassen, wurde in Pakistan festgenommen und an das US-Militär übergeben. Seit Februar 2002 ist er in Guantanamo. Er ist mittlerweile von allem Verdacht freigesprochen, kann aber aus Furcht vor den tunesischen Behörden nicht zurück in sein Heimatland. Seine Tochter hat er nie gesehen.
Abdul Ra’ouf Ammar Mohammad Abu Al Qassim (ISN 709)
Geboren: 1965 in Lybien
Festgenommen in: Pakistan 2002
In Guantanamo seit: August 2002
Er desertierte aus der lybischen Armee und floh aus Angst vor religiöser Verfolgung aus seinem Heimatland. Zuletzt lebte er mit seiner schwangeren Frau in Pakistan, wo – nach dem 11. September 2001 – vermeintliche Terroristen gegen Kopfgeld vom amerikanischen Militär gekauft wurden. Seit Sommer 2002 ist er in Guantanamo. Obwohl gegen ihn kein Verdacht besteht und er als ungefährlich eingestuft wird, droht ihm in Lybien eine Haftstrafe. Daher wartet er auf ein Land, dass ihn nach knapp sieben Jahren Gefangenschaft in Guantanamo aufnimmt.
Hisham Sliti (174)
Geboren: 1966 in Tunesien
Festgenommen: Pakistan 2001
In Guantanamo seit: Mai 2002
Aufgewachsen in Bir El Bey, am Rande von Tunis, zog er 1995 nach Italien, wo er im Hafen von Elba arbeitete, ins Drogemilleu abrutschte, und sich nach erfolglosen Entzugsversuchen dem Islam zuwandte. Ohne Arbeit und Aussicht auf ein Visum in Europa, reiste er im Mai 2000 nach Afghanistan, um dort ein neues Leben zu beginnen. Als das Land nach dem 11. September 2001 zunehmend gefährlich wurde, zahlte er einem Fahrer 20 Dollar, damit er ihn außer Landes bringt. Doch er wurde zusammen mit drei anderen Ausländern an die pakistanische Polizei verkauft, die sie an die Amerikaner übergab. Seit Mai 2002 ist er in Guantanamo, wo ihm keinerlei Verbindung zum Terrorismus nachgewiesen wurde.
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Nabil Hadjarab (ISN 238) (dieses Bild zeigt Nabil Hadjarab als Teenager)
Geboren: 1979 in Algerien
Festgenommen in: Pakistan 2001
In Guantanamo seit: 2002
Nabil Hadjarab wurde in Algerien geboren, doch wuchs in Frankreich auf. Mit zehn Jahren zog er zu seinem Vater nach Algerien, ging dort zur Schule. Vier Jahre später starb der Vater, Nabil musste die Schule abbrechen und sich mit Jobs seinen Unterhalt verdienen. Im Jahr 1999 zog er zurück zu seiner Familie nach Frankreich und bewarb sich um eine Aufenthaltsgenehmigung. Um die Wartezeit zu überbrücken, reiste er 2001 nach Pakistan. Nach dem 11. September 2001 wurden Ausländer dort als angebliche Terroristen an das amerikanische Militär übergeben. Im Januar 2002 kam er, damals 22 Jahre alt, nach Guantanamo. Nach Jahren wurde sein Fall bearbeitet, er wurde von jedem Terrorverdacht freigesprochen. Aus Furcht, dass ihn Algerien nach seiner Rückkehr weiterhin einsperren würde, wartet er auf ein französischsprachiges Land, das ihm Asyl gewährt.
Komoldin Kasimbekov (ISN 675)
Geboren: 1977 in Usbekistan
Festgenommen: November 2001 in Afghanistan
In Guantanamo seit: 2002
Komoldin Kasimbekov floh 1999 vor politischer Verfolgung aus Taschkent nach Kasachstan und dann schließlich nach Afghanistan, wo er in einer Autowerkstatt arbeitete, die von einer usbekischen Oppositionsgruppe betrieben wurde. Beim Versuch, die Stadt zu verlassen, wurde er verhaftet und am 16. September 2001 freigelassen – unter der Bedingung, in Afghanistan zu kämpfen. Als der Krieg in Afghanistan eskalierte, gab er seine Waffe (mit der er – eigenen Angaben zufolge – nie geschossen hat) bei der Nordallianz ab und ergab sich freiwillig. Die Nordallianz übergab ihn dem amerikanischen Militär. Seit 2002 ist er in Guantanamo gefangen.
Djamel Ameziane (ISN 310)
Geboren 1967 in Algerien
Festgenommen in Afghanistan 2001
In Guantanamo seit: Februar 2002
Djamel Ameziane arbeitete nach seinem Uniabschluss für die Trinkwasserversorgung in Algerien. Auf der Suche nach Arbeit zog er im Jahr 1992 nach Österreich, wo er sich schnell vom Tellerwäscher zum Koch in Wien hocharbeitete. Als sein Visum nicht verlängert wurde, bemühte er sich um Asyl in Kanada, wo er nach fünf Jahren mit befristeter Aufenthaltsgenehmigung ausgewiesen wurde. Aus Angst vor den Kämpfen zwischen der algerischen Armee und islamischen Oppositionstruppen zog er nach Afghanistan. Dort wurde er von der Polizei festgenommen und gegen ein Kopfgeld von 2000 Dollar an das amerikanische Militär übergeben – seit 2002 ist er in Guantanamo und fürchtet eine Rückkehr nach Algerien.