Ja, Menschen haben die höchsten Gipfel bestiegen, ja, Menschen sind in die tiefsten Ozeantiefen getaucht, und, ja, Joey Chestnut aus Vallejo/Kalifornien hat siebzig Hotdogs in zehn Minuten gegessen, Weltrekord, 2016 war das. So viele Dinge sind geschehen, so viele Bestleistungen wurden übertroffen, so viele Forderungen wurden erfüllt.
Aber, nein, immer noch hat niemand die Welt umschwommen. Immer noch ist niemand dem so oft schon und immer dringlicher geäußerten Verlangen nachgekommen, bei Dover ins Meer zu steigen, sich gegen die Strömung in den Atlantik hinaus zu kämpfen, dann – die Bermudas weiträumig meidend – den Panama-Kanal anzustreben, die Äquator-Linie bis Borneo haltend singapurwärts zu kraulen, darauf scharf rechts die Richtung Rotes Meer zu halten, schließlich an Mekka vorbei durch den Suez-Kanal mit den körperwirtschaftlich optimalen 18 Zügen pro Minute ins Mittelmeer zu ziehen, worauf Gibraltar noch zu umrunden wäre und man bei Calais wieder an Land gehen könnte, sich Algen aus der Frisur zupfend.
Es gibt die unglaublichsten Rekorde. Doch einer will einfach nicht gelingen: die Weltumschwimmung
Warum geschieht dies nicht? Warum werde ich in meinen Hoffnungen immer wieder enttäuscht. Benoît Lecomte, der Franzose, schwamm 1998 durch den Atlantik, wenigstens das, von Cape Cod bis nach Quiberon, das gab Hoffnung. Er tat das in 73 Tagen, doch trug er Schwimmanzug und Flossen, das Ornat der Schwächlinge. Er schwamm nur acht Stunden pro Tag, ruhte danach auf einem Boot und pausierte eine Woche auf den Azoren. Ach je! War der Mann nicht überhaupt ein Schummler? Seine Durchschnittsgeschwindigkeit hätte, folgt man seinen Angaben, bei 13 Kilometern pro Stunde liegen müssen, vier Mal so schnell wie normale Langstreckenschwimmer, kann sein, dass was nicht stimmte.
André Wiersig aus Paderborn ist ein Mann nach meinem Geschmack. Er schwimmt nur in Badehose und hat jetzt als erster Deutscher die Ocean’s Seven geschafft, also sieben Meerengen durchquert, darunter den Kaiwi-Channel zwischen den Hawaii-Inseln Oahu und Molokai, das sind 44 Kilometer, auf denen fünf Meter hohe Wellen den Vorwärtsstrebenden herumwerfen wie einen Wasserball. Der Ärmelkanal ist eine Aufwärmübung dagegen, so wie, andererseits, auch der Kaiwi-Channel nur Training für die Weltumschwimmung sein kann.
Wiersig schwamm mal mitten im Meer Kopf voran in eine Plastiktüte. Er sei, so sein Bericht, »fast durchgedreht«. Ein anderes Mal erwischten ihn die Tentakel einer Portugiesischen Galeere aus der Ordnung der Staatsquallen. Sein Arm wurde so taub, dass er dachte, er hätte ihn verloren; sechs Stunden kraulte er danach weiter durch die Nacht. Erwähnenswert scheint mir, dass man sich keine Sekunde lang am Begleitboot festhalten darf und am Ende ohne fremde Hilfe aus dem Wasser steigen muss, so sind die Regeln.
Man muss solche physischen und mentalen Leistungen bewundern, ist klar, ist klar. Aber kann das alles sein? Seine wichtigste Erfahrung sei Demut, sagt Wiersig: wie groß ist das Meer, wie klein der Mensch! Auch das klingt banal. Wichtiger ist der Beschluss des Mannes, sich trotz seiner Kleinheit einer so großen Erfahrung überhaupt auszusetzen, sich den Gewalten zu konfrontieren, seine Kräfte zu probieren und zu sehen, was geschieht. Bereit zu sein für das, was die Elemente zu sagen haben, dabei sich bewähren zu wollen – darum geht’s im Leben, Ladies and Gentlemen! In aller Bescheidenheit zu großen Taten aufbrechen, das Motto unserer Zeit angesichts steigender Meeresspiegel! Um es mit dem berühmten letzten Satz aus Herbert Achternbuschs Film Die Atlantikschwimmer zu sagen, gesprochen 1976 von einem, der in voller Kleidung in den Atlantik steigt, um ihn zu überqueren: »Du hast keine Chance, aber nutze sie.«
Die Welt will umschwommen sein. Aber wann, aber wann, aber wann – wird dies endlich geschehen?