Auf der Erde leben zurzeit 7,2 Milliarden Menschen. Pro Sekunde werden es zweieinhalb Menschen mehr. Wenn man davon ausgeht, dass es fünf Minuten dauert, diesen Text hier zu lesen, werden nach dessen Lektüre also 750 Menschen mehr auf der Welt leben als zu Beginn. Man könnte etwas schneller lesen, dann wären es vier Minuten und nur 600 Menschen mehr, aber, mal ehrlich, was bringt das schon? Es sind trotzdem noch wahnsinnig viele. (Und wenn man die Kolumne gar nicht anschauen würde? Na ja, das finde ich jetzt irgendwie nicht so gut.)
Einige der Menschen, die in diesen Minuten zur Welt kommen, JETZT zum Beispiel oder JETZT, werden vielleicht später den Wunsch äußern, Matrose zu werden oder Smutje in einer Kombüse oder auch Schiffskapitän. Ihnen wird man sagen müssen: Überlegt euch eine Alternative! Oskar Levander, einer der Chefs der Marine-Abteilung von Rolls-Royce, wo man Schiffe entwirft, gestaltet und ausstattet, Oskar Levander also hat jetzt gesagt, in etwa zehn, zwanzig Jahren würden die ersten unbemannten Schiffe in See stechen; überhaupt liege die Zukunft der Seefahrt in genau dieser Unbemanntheit. Der Mensch stelle auf dem Meer im Grunde nur eine Fehlerquelle dar, er schlafe zu wenig und sei unkonzentriert, von Nichtskönnern wie Francesco Schettino, der die »Costa Concordia« auf die Felsen vor der Insel Giglio setzte, jetzt mal gar nicht zu reden. Außerdem koste Personal halt Geld, nicht bloß auf Grund seiner Gehaltsforderungen, sondern auch, weil es Kabinen brauche, Essen, Wasser, Toiletten. Das alles ist nicht nötig, wenn man Schiffe von Land aus navigiert, wie es bei fliegenden Drohnen längst Realität ist.
Solche Nachrichten können einen Seemann natürlich schon erschüttern – und nicht nur ihn. Menschenleere Meere? Und niemand liegt mehr vor Madagaskar? Keiner hat noch die Pest an Bord? Welcher Kapitän nimmt uns dann mit auf die Reise? Der Mann in der goldbetressten Uniform auf dem Kreuzfahrtschiff: nur noch ein Schauspieler, der nichts zu sagen hat, weil das Schiff von Bad Homburg vor der Höhe aus gelenkt wird? Selbst die Piraten werden ja überflüssig, wenn es auf einem Schiff keine Geiseln mehr zu nehmen gibt und der ganze Pott eine uneinnehmbare Festung ohne Türen und Fenster ist.
Es ist seltsam: Je mehr Menschen zur Welt kommen, desto weniger werden benötigt. In Fabriken ackern Roboter, Autos lenken sich selbst, ein Berufsstand nach dem anderen verschwindet. In Peking zum Beispiel wird die Bevölkerung demnächst komplett gegen Maschinen ausgetauscht, die das nur noch geringfügig mit »Luft« durchsetzte Schwermetall in Straßen und Räumen einatmen und direkt zu Gitterstäben für die örtlichen Straflager verarbeiten. Und Jogi Löw gedenkt, angesichts der bedenklichen physischen Zerbrechlichkeit seiner Spieler, in Brasilien den ersten vollautomatischen, garantiert schambeinentzündungsfreien Mittelstürmer mit hundert Prozent Ballbesitz einzusetzen.
Was wird aus den vielen Menschen in einer vollautomatisierten Welt? Was treibt uns, dass wir einerseits immer mehr werden, andererseits mit voller Kraft an unserer eigenen Überflüssigwerdung arbeiten? Werden unsere Nachkommen dereinst auf fremden Planeten sitzen und von dort mit selbstlenkenden Fahrzeugen, Maschinenwesen aller Art und Drohnenschiffen auf der Erde spielen wie Horst Seehofer im Keller mit seiner Modelleisenbahn?
Und könnte es sein, dass zwischen all den ferngesteuerten Kreuzern schon sehr bald auch Fitness-Galeeren zur See fahren, gerudert von Tausenden gesundheitsbewussten deutschen Rentnern, die – einen Ertüchtigungs-Urlaub gebucht habend, Shantys singend, sich freudig unter der sirrenden Peitsche des Alltours-Reiseleiters duckend und endlich den eigenen Körper mit all seinen Fähig- und Notwendigkeiten mal wieder so richtig spürend – Bio-Bananen aus Südamerika nach Europa bringen, garantiert klimaneutral und moralisch absolut okay?
Illustration: Dirk Schmidt