In der Welt der Waren gibt es solche, die zur sofortigen Vernichtung produziert werden, die Wurstsemmel zum Beispiel. Eine Wurstsemmel überlebt selten den Tag, der Kauf ist praktisch ihr Todesurteil. Manche Wurstsemmeln sind, kaum haben sie Bäckerei oder Metzgerei verlassen, schon an der nächsten Straßenecke, wie man so sagt, Geschichte. Daran ist nichts zu klagen, die Wurstsemmel ist die Eintagsfliege unter den Waren, eine Existenz über den Tag hinaus ist ihr nicht bestimmt. Ist sie im Magen gelandet, hat sich ihr Daseinszweck erfüllt.
Ähnlich ist es mit der Kalbskeule, wobei mir dazu ein Interview des Kochs Holger Stromberg einfällt, das ich in der Welt las. Stromberg war eine Weile Koch der Fußball-Nationalmannschaft, immer noch besucht er Bundesligaspiele. Kürzlich, so erzählte er, sei er beim FC Bayern zu Gast gewesen und habe gesehen, dass es in den Logen und im sogenannten Businessbereich »viel zu viel Essen« gebe, »viele Kalbskeulen werden unangetastet weggeworfen«. Stromberg nennt das »Wahnsinn«, aber es hat Methode in unserer Buffetgesellschaft, die wenig Respekt kennt gegenüber dem Essen und seiner Entstehung. Sollte der FC Bayern wieder deutscher Meister werden, bin ich dafür, bei der entsprechenden Feier eine Schweigeminute zu Ehren aller ungegessenen Kalbskeulen einzulegen, wobei man in Bayern natürlich eher Kalbshaxe sagt. Aber wen interessiert das schon in einer Schweigeminute?
Es wäre ein Signal.
Vor einer Weile gab es erhebliche Aufregung in der Öffentlichkeit, weil es hieß, der überwiegende Teil der Retourenpakete deutscher Versandhändler würde weggeworfen, nagelneue Waschmaschinen landeten im Schrott. Offensichtlich war das nicht ganz richtig, die Forschungsgruppe Retourenmanagement der Universität Bamberg teilte mit, nur 3,9 Prozent der zurückgeschickten Waren würden entsorgt oder verschrottet, immerhin noch elf Millionen Pakete im Jahr. Vieles andere lande bei Restpostenhändlern.
Das Magazin Galileo zeigte den Manager einer solchen Firma, einen freundlichen Herrn namens Ralf. Er sagte, sein höchstes Ziel sei, »dass die Ware ein zweites Leben bekommt«, wozu anzumerken wäre, dass diese Ware oft genug kein erstes Leben hatte. Aber Ralf sieht sich auch mit Fragen konfrontiert, die unsereinem in wildesten Fantasien kaum einfallen: Zum Beispiel habe man in einer retournierten Waschmaschine eine lebende Katze gefunden oder in einem Drucker Fleisch, »warum auch immer Fleisch in einen Drucker gehört«. Ach, das sind so Fragen …
Zu den Waren, denen man in der Regel ein langes Leben wünscht, gehört die Fahne. Ja, eine Fahne (auch die des Kalbshaxenklubs FC Bayern) soll im Wind wehen und knattern, sie soll fröhlich Zeichen geben ihrer Existenz. Hängt sie schlapp am Mast, denkt man stets, sie lebe ihr Leben nicht, wie es sein sollte.
Um so irritierender ist, was die israelische Tageszeitung Ha’aretz aus der iranischen Stadt Chomein berichtet. Dort steht die Fabrik des größten Flaggenherstellers des Landes. Die Firma meldet Rekord-Umsätze, monatlich werden 2000 amerikanische, britische und israelische Fahnen hergestellt, was einer Fläche von 20 Fußballfeldern oder 0,000055569 Prozent des Saarlands entspricht. Jedoch produziert man das Tuch nur zu einem Zweck: damit es auf Demonstrationen verbrannt werden kann.
Irre, nicht wahr? Ausgerechnet im Iran, dessen Bevölkerung lange schon unter einem pseudoreligiös-korrupten Regime leidet, das den Satan des Kapitalismus zu bekämpfen geschworen hat, ausgerechnet dort erfüllt sich der wildeste Traum rücksichtsloser Geschäftemacher: Eine eigentlich auf lange Lebensdauer angelegte Ware wird nur zum Zwecke ihrer sofortigen Vernichtung produziert, sodass der Kunde umgehend Nachschub benötigt, worauf neue Ware …