Um die Ecke hat ein veganer Supermarkt eröffnet, da bin ich hin und stand staunend vor dem Kühlregal mit Fertiggerichten: fränkische Bratwurst, Gyros, Shrimps, Fleischpflanzl, Gulasch, Rinderfilet – nichts scheint der Veganer mehr zu lieben als Fleisch. Doch ist in allem nicht die kleinste DNA-Sequenz von einem Tier enthalten, sondern alles ist aus Soja, Süßlupinen oder einem Stoff namens Seitan gemacht: fleischfreies Fleisch. Wird der Tag kommen, an dem wir einen veganen Bauernhof besichtigen, auf dem lebende Kühe aus Kunstfleisch Sojamilch geben?
Menschen essen Pflanzen, die zu Fleisch geworden sind. Andererseits verzehren aber auch Fleischesser in der Regel Fleisch, das nicht mehr als Fleisch erkennbar ist. Ja, was beispielsweise »Chicken McNuggets« genannt wird, könnte genauso gut ein Pflanzenprodukt sein: Nur der Name erinnert noch an das Tier, das sein Leben für dies’ geklumpte Pressmaterial lassen musste – »kulinarische Abstraktion« hat das ein Frankfurter Ernährungs-Ethnologe mal genannt. Und die Putenbrust in der Supermarkttheke: Könnte der blasse Lappen, wie Bruno, mein alter Freund mutmaßt, nicht auch vom Unterarm einer stämmigen Fleischfachverkäuferin stammen? Wer weiß noch, was das ist: eine Pute?
Übrigens lag bei gewissen Wurst- und Leberkäsprodukten im Supermarkt ja schon immer der Verdacht nahe, ihr Rohmaterial sei beim abendlichen Ausfegen der Metzgerei gesammelt worden – wie auch die Erdbeeren in manchem Joghurt vermutlich aus dem Zusammenwirken von Sägespänen und Chemiebaukasten entstanden sind.
Neu ist, dass klassische Fleischwarenhersteller wie Ikea sich dem veganen Trend anschließen: Zwar gibt es das Billy-Regal, dessen Bretter man ursprünglich aus geschnetzelten Geweihen schwedischer Elche presste, schon länger in einer vegetarischen Variante, und auch der Ablagetisch Tyssedal, für den einst wild lebende Ablagetische ihr Leben lassen mussten, wird heute, wie ich höre, aus moralisch einwandfreiem Rohstoff gemacht, den Schwedens Wälder nach inständigem Bitten freiwillig herausrücken. Doch gibt es nun auch Köttbullar, die Schwedenfrikadelle, als Veganklops, Grönsaksbullar genannt.
Nicht nur dies: Die Rügenwalder Mühle, bekannt für ihre Mett- und Gutsleberwurst, bestreitet, wie ich las, bereits 15 Prozent ihres Umsatzes »im fleischlosen Segment«, was nichts anderes bedeutet als: Für diesen Aufschnitt schnitt man kein Tier auf. Vom Firmenchef Christian Rauffus ist der schöne Satz überliefert: »Die Wurst ist die Zigarette der Zukunft.« Wie es den Rauchern in der Gegenwart ergeht, so wird es bald schon auch den Wurstverzehrern beschieden sein – dies sagt man ausgerechnet in einer der Zentralen der Tierverwurstung und hat dort begonnen, mehr und mehr und noch mehr Wurst aus pflanzlichem Material herzustellen, um dem Schicksal der Zigarette zu entgehen. Wurst im Wandel! Vorbei sind wohl bald schon jene coolen Zeiten, in denen man wie Humphrey Bogart oder Alain Delon, einen Salami-Stick im Mundwinkel, an einer Bar stehend mit lässiger Gebärde den herbeifliegenden Frauenherzen zusehen konnte. Nicht mehr lange, dann werden Wurstesser ihren Neigungen in kleinen, sorgsam abgezirkelten, mit roter Farbe auf dem Asphalt gekennzeichneten Bereichen auf unseren Bahnsteigen nachgehen müssen. Vor unseren Restaurants werden Menschen hastig auf dem Bürgersteig ihre Fleischwürste essen, und wir werden, kaum hat unser Flugzeug abgehoben, die Ansage vernehmen, dies sei ein Nichtwurstesserflug. Wird bald schon auf jeder Fleischwursthaut stehen: Für dieses Essen starb ein Schwein, und auch Ihr Leben kommt durch den Verzehr dem Ende näher und näher, sehen Sie es nicht schon!?
Quo vadis, Wurst? Werden wir dich bald auf Feldern ernten? Von Bäumen pflücken? Pflanzenwurst von Wurstpflanzen? Mag sein, es wird ein alter Traum noch wahr: dass Teewurst wirklich aus Tee gemacht wird.
Illustration: Dirk Schmidt