Wenn es stimmt, dass es im Leben eines Künstlers nur zwei Katastrophen gibt – die eine, dass sich alle Träume zerschlagen, die andere, dass sich alle Träume erfüllen –, dann ist die englische Band Coldplay ein gutes Beispiel für diese Redewendung. Spätestens seit ihrer letzten Platte X&Y von 2005, die sich weit über zehn Millionen Mal verkauft hat, gelten Coldplay als Konsensband schlechthin. In jeder Kritik werden sie als die Band bezeichnet, »auf die sich alle einigen können«. Die Musik und die eingängige Stimme des Sängers Chris Martin halten perfekt die Balance zwischen Gefälligkeit und Glaubwürdigkeit.
Nach dem letzten Album, von vielen Kritikern für belanglos erklärt, gab es aus der Umgebung der Band erste Verlautbarungen, dass man an dem großen Erfolg leide, dass man mit Sehnsucht auf die Energie und Ungewissheit der Anfangstage zurückblicke. Jetzt haben Coldplay ihre vierte Platte, Viva la Vida or: Death And All His Friends, veröffentlicht, und es ist fast rührend mitanzusehen, wie sich die Band darum bemüht, Widerhaken in der Musik zu installieren, ihrem Auftreten neue Sperrigkeit und Distinktion zu verleihen. Sie haben neben Brian Eno auch den Produzenten einer erfolgreichen Independent-Rockband angestellt, der ihre Lieder mit lärmigen Gitarrenschichten und ungewohnten Rhythmuspassagen anreichert. Und auf der Bühne tragen die Musiker, wie kürzlich bei den MTV Movie Awards zu sehen, nicht mehr wie bislang schlichtes Schwarz, sondern wild zusammengenähte Soldatenuniformen aus groben Stoffen. Im Erscheinungsbild der Band erfüllt diese Kleidung genau dieselbe Funktion wie die Gitarrengewitter und Ethno-Rhythmen in den Liedern: Raue Oberflächen sollen den Vorwurf des allzu Glatten, Reibungslosen entkräften helfen. Coldplay stehen heute dort, wo ihre Vorbilder U2 Ende der Achtzigerjahre nach ihrer Platte The Joshua Tree angekommen waren oder R.E.M. 1992 nach Automatic for the People. Sie verkörpern jene Identitätskrise von Rockbands, deren Stil, nach den ästhetischen Unwägbarkeiten der Frühzeit, endgültig unangreifbar geworden ist. U2 begannen vor zwanzig Jahren damit, experimentelle Alben wie Achtung Baby oder Zoo aufzunehmen. Sie versuchten, sich die eigenen Markenzeichen, die echoartigen Gitarren und den elegischen Gesang, fast mit Gewalt auszutreiben. Coldplay, die stets verkündeten, ihre Vorbilder bald einzuholen, haben dieses Ziel nun in doppelter Hinsicht erreicht: was die Verkaufszahlen angeht und die künstlerische Ratlosigkeit.
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Es gibt zwischen den erfolgreichsten Rockbands der letzten zwanzig Jahre aber noch eine Gemeinsamkeit. Inzwischen sind Bono, Michael Stipe und Chris Martin vor allem auch durch ihre politische Einflussnahme bekannt, und vielleicht hat diese zweite Karriere tatsächlich mit dem Verlauf der Bandgeschichten zu tun. Wenn man sich die Biografien der drei Musiker ansieht, scheint ein Zusammenhang zu bestehen zwischen ästhetischer Stagnation und Engagement. Das Auftreten als politische Figur rückt genau in dem Maß in den Mittelpunkt ihres öffentlichen Erscheinens, wie die Erzeugnisse ihrer Bands an Originalität zu verlieren drohen. Solange die eigene Musik genug Zugkraft besitzt, spielt politische Betätigung für den Frontmann einer prominenten Band keine besondere Rolle.
Könnte man sich jemanden wie Thom Yorke von Radiohead als notorisch Engagierten vorstellen? Eher nicht – und zwar nicht deshalb, weil er politisch desinteressiert wäre, sondern weil seine ganze schöpferische Kapazität weiter von der Arbeit der Band in Beschlag genommen wird. Er ist Musiker, nicht Repräsentant. Die Welt des »Benefizrock« mit ihren Wohltätigkeitskonzerten dagegen müsste weniger als Forum sensibler Künstlergemüter verstanden werden, sondern als Strategie der Aufmerksamkeitsver-lagerung. In der politischen Arbeit versuchen Bono oder Chris Martin die Prägnanz zurückzugewinnen, die ihre Musik eingebüßt hat.