Jede aktuelle Gerichtsentscheidung zum Eherecht treibt den Wandel der Gesellschaft voran – aber so richtig im Bewusstsein angekommen ist diese Realität noch nicht. Die neue Rechtslage, die im Fall einer Scheidung gilt, klingt doch sehr kompliziert: mit dem Wegfall der vollen garantierten Unterhaltszahlung für Kinder nach nur drei Jahren, mit ganz unterschiedlichen Urteilen im Einzelfall, mit dem Ende der Verpflichtung, die »ehelichen Lebensverhältnisse« der Exfrau zu garantieren.
Das Ergebnis dieser Veränderungen lässt sich aber einfach zusammenfassen: Nach dem Scheitern einer Ehe bleibt in Zukunft nur noch eine kurze Schonfrist für die bisherige Rollenverteilung zwischen Arbeitsleben und Hausfrauendasein, Geldverdienerstatus und Mutterglück. Dann gilt: Jeder ist bei der Frage, wie er über die Runden kommt, wieder prinzipiell auf sich allein gestellt. Damit geraten viele sicher geglaubte Grundlagen ins Wanken, vor allem aber das altvertraute Konzept des Ehemanns als Beschützer und Versorger. So sehr moderne Frauen die Idee schon belächelt haben mögen – im Hintergrund stand der Ehemann mit dem sicheren Job doch immer noch als gesellschaftliche und biografische Option bereit (siehe auch S. 8). Er war mehr als nur die hoffentlich große Liebe, er musste zuverlässig sein und Stabilität garantieren – im »Hafen der Ehe« legten auch jene an, die vom großen Rattenrennen des Berufslebens erst einmal genug hatten, ganz Mutter sein wollten et cetera.
Dass diese Sicherheit auch über die Scheidung hinaus galt, war nicht nur die Regelung eines unglücklichen Sonderfalls, sondern der entscheidende Punkt: Erst damit wurde der Ehemann, historisch gesehen, vom Patriarchentyrannen – mit dem Ruf eines Sklavenhalters – zum liebenswerten Goldesel befördert. Eine kurze ideengeschichtliche Blütezeit, die nun zu Ende geht – aber ganze Bibliotheken voller Erzählungen hinterlässt, wie Frau sich eines der begehrten Exemplare »angeln«, »dressieren« oder sonstwie nutzbar machen konnte.
Umgekehrt gesehen stand natürlich auch die Ehefrau in der Pflicht: ihm den Haushalt zu führen, »seine« Kinder zu gebären und aufzuziehen, ihm den Rücken freizuhalten für die Karriere – oder wie die ganzen alten Formeln eben so lauteten. Eine faire Rollenverteilung, davon sind viele Ehepaare und CSU-Familienpolitiker bis heute überzeugt. Sie hat nur den Nachteil, auf Dauer angelegt zu sein – eine Dauer, die der Halbwertszeit der deutschen Durchschnittsehe schon längst nicht mehr entspricht.
So machen Gesetzgeber und Gerichte der Frau nun unmissverständlich klar, dass sie sich jeden Gedanken an lebenslange Sicherheit bitte abschminken darf: Will sie wirklich noch alles aufgeben für Mann und Kinder, will sie nicht wenigstens nebenbei dafür Sorge tragen, auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig zu bleiben? Ansonsten wird sie im Fall einer Scheidung nun ziemlich verloren sein. Frauen, die den Ehemann als eine Art Versicherungspolice betrachtet haben, für die sie jahrzehntelang mit Verzicht auf berufliche Selbstverwirklichung bezahlten, werden nun erleben, dass ihnen die garantierte Auszahlung verweigert wird. Tja.
Aber darf der Ehemann, der vor der Strenge des alten Unterhaltsrechts oft zu einem Häuflein Hass und Selbstmitleid zusammenschrumpfte, wenn die Gerichte erst einmal gesprochen hatten, nun wirklich aufatmen? Oberflächlich betrachtet vielleicht. Tatsächlich aber verliert er nun auch jedes Recht, überhaupt Vorstellungen zur Lebensgestaltung seiner Frau zu entwickeln – kaum ein Satz dürfte in Zukunft lächerlicher klingen als das patriarchalische »Ich verdiene doch gut, ich will, dass du zu Hause bleibst«.
Jetzt müssen zwei Individuen, die mit etwa fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit nur einen Abschnitt ihres Lebens gemeinsam verbringen, langfristig für sich selber planen und sich kurzfristig im Zusammenleben arrangieren. Kein traditionelles Modell, keine scheinbare Sicherheit kann da noch helfen. Was ist eine Ehe dann überhaupt noch? Das müssen Frauen und Männer jetzt erst einmal herausfinden. Und das wird noch hart.
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