Fernsehkoch

Das Bild des Spitzenkochs, wie es bis vor wenigen Jahren Gültigkeit hatte: ein wortkarger Künstler, im Verborgenen operierend, der allein durch sein Werk – das an den Tisch gebrachte Menü – zu den Gästen spricht. Die Genese dieses Werks ist nicht vollständig nachvollziehbar. Natürlich gibt es Assistenzköche, die in Abwesenheit ihres Chefs die Gerichte weit gehend nachkochen könnten, doch die Einzigartigkeit des Meisters offenbart sich in einigen unscheinbaren Details. Von Georges Auguste Escoffier, dem berühmtesten Koch des frühen 20. Jahrhunderts, gibt es die Geschichte, wie er in seiner Zeit im »Hotel Adlon« einmal Wilhelm II. in das Geheimnis seiner Bouillabaisse einweihte: Sämtliche Anwesenden mussten sich wegdrehen und die Augen schließen, als Escoffier ihm die entscheidende Beigabe verriet.Heutige Fernsehköche, wie sie in Deutschland gerade unerwartete Erfolge feiern, verkehren dieses Bild ins Gegenteil. Zum einen wird im TV-Studio der Prozess des Kochens nach außen gestülpt: kein Handgriff, der die lückenlose Nachvollziehbarkeit der Rezepte unterbrechen dürfte. Zum andern aber, und darin besteht das paradoxe Verhältnis zwischen Kochkunst und Fernsehshow, spielt genau jene Kategorie nicht die geringste Rolle, auf die sich der ganze Ehrgeiz des Spitzenkochs traditionell richten muss: der Wohlgeschmack des Essens. Denn das Medium kann zwar Bilder und Töne übertragen, aber keine Geruchs- und Geschmackssignale. Ein Koch im Fernsehen wirkt daher auf den ersten Blick völlig deplatziert, um seine eigentliche Kunst betrogen: wie ein Pantomime im Radio. Er kann allenfalls als versierter Kochdarsteller auftreten, dessen Resultaten man vertraut oder nicht. Woran liegt es also, dass Tim Mälzer oder Ralf Zacherl zu allgegenwärtigen Fernsehstars geworden sind? Warum hat ihre Ideologie des betont einfachen, geheimnislosen Kochens solchen Zulauf? Weil die Spitzengastronomie das letzte kulturelle Gebiet war, auf dem sich die Figur des unnahbaren Künstlers noch halten konnte. Die maßgeblichen Tendenzen in der bildenden Kunst, der Musik oder der Literatur sorgten in den letzten Jahrzehnten dafür, dass der Typus des genialen Schöpfers nach und nach verschwand und ersetzt wurde durch einen bloßen Neuverteiler des vorhandenen Materials: Im Bereich der populären Musik etwa brachte diese Umstellung die Figur des Discjockeys hervor. Man muss Tim Mälzer mit dem Erscheinungsbild früherer Kochprominenz vergleichen, um zu sehen, dass sein Erfolgsprinzip genau in diesem Zusammenhang steht. Es geht um eine Art DJisierung der Kochkunst: von der Inspiration im Verborgenen zur bloßen Organisation des Vorhandenen. Das auffällige Mikrofon am Mund Mälzers, produktionstechnisch vollkommen sinnlos, unterstützt dieses Anliegen. Überdeutlich soll eine Atmosphäre der Performance her-gestellt werden, um sich von der früheren Esoterik der Gourmetküche abzuheben.Die Popularisierung der Profession »Koch« durch das Fernsehen, unter Umgehung des Geschmackssinns als Beglaubigungsinstanz, führt aber zu einer merkwürdigen Konstellation: Bis vor sechs, acht Jahren war kaum ein schöpferischer Beruf so wenig von der Erscheinung der Person abhängig. Tim Mälzer dagegen wurde, wie man lesen kann, vor eineinhalb Jahren nicht seiner besonderen Fähigkeiten wegen ausgewählt, sondern aufgrund der bis in die lispelnde Aussprache hinein stimmigen Ähn- lichkeit mit dem Urbild des Pop-Kochs, Jamie Oliver. Der Erfolg der Sendungen hat also eine Auftrennung bewirkt, die vor ganz kurzer Zeit noch undenkbar schien: dass der Status eines Kochs nicht mehr auf dem Geschmack seiner Gerichte beruht, sondern auf seiner Eloquenz in den Medien. Essen, Sinnlichkeit schlechthin, wird zur Requisite einer Inszenierung. Die Nachricht, dass jemand wie Tim Mälzer (Spitzname: Küchenbulle) tatsächlich noch in seinem eigenen Restaurant arbeitet, ist daher für den Zuschauer eher befremdlich, eine beinahe unzulässige Vermischung von Wirklichkeit und Fiktion. Wäre das Erlebnis, vom Fernsehkoch unmittelbar bewirtet zu werden, nicht ebenso irritierend wie in einem Polizeirevier auf den Bullen von Tölz zu stoßen?