Mikrowelle

In der öffentlichen Wahrnehmung ist es still geworden um den Mikrowellenherd – so still, dass es schon wieder auffällt. Nach seiner Erfindung und Patentierung im Jahr 1946 brauchte er einige Zeit, um ein Symbol für die technische Befreiung der Hausfrau zu werden, dann ein Trendprodukt für den Massenmarkt, schließlich ein allgegenwärtiger, unentbehrlicher Küchenhelfer. In Deutschland schlug ihm lange besonderes Misstrauen entgegen. Der Durchbruch in die Verkaufscharts gelang erst Ende der Achtzigerjahre, später als überall sonst. Er wurde von zahllosen Zeitungsberichten flankiert, die zwischen den Überschriften »Gefahr durch Mikrowellenstrahlung?« und »Mikrowellenherde völlig ungefährlich« schwankten. Ganz entkräften ließen sich die Bedenken nie, Meldungen von per Mikrowelle getöteten Haustieren oder Babys waren lange Zeit ein Klassiker im Ressort »Vermischtes«.Davon ist nichts geblieben. Der Fachverband für Elektrohaushaltsgeräte meldet, dass aktuell fast dreißig Millionen Mikrowellengeräte in deutschen Haushalten vorhanden sein müssen – aber es ist, als würden wir uns für sie schämen, als hätten wir sie völlig aus dem Bewusstsein verbannt. Kein Mensch käme heute noch auf die Idee, eine Eloge auf die Mikrowelle zu schreiben und sie als »bescheidenen Star der modernen Küche« zu preisen, wie es 1995 zum Beispiel die Wochenpost noch tat: »Sie spart die Zeit, die wir nicht haben. Sie verfertigt das Essen, das wir uns verdient haben, wenn wir dabei vorm Fernsehen hocken. Sie schafft den Doppelverdienern das schlechte Gewissen vom Hals, ihre Schlüsselkinder mit belegten Broten ernähren zu müssen. Sie verdichtet individuelle und soziale Zeit.« Gibt es auch unter technischen Geräten so etwas wie Leitfossilien, die eine Ära definieren und dann mit ihr untergehen? Wenn ja, dann muss die Mikrowelle dazu zählen: Gestern noch Unabhängigkeitserklärung für Besserverdiener und Lebensretter für ultramobile Singles – heute ein Schandfleck in der Prestigeküche und Kandidat für den nächsten Sperrmüll.Ramschangebote in Großmärkten, wo Billigversionen kaum noch dreißig Euro kosten, und Absatzzahlen, die seit zwei Jahren rapide fallen, bestätigen diese Beobachtung. Kochen hat eine neue Symbolik gewonnen. Wenn es etwas gibt, was wenigstens theoretisch wieder Zeit kosten darf und muss, dann ist es das liebevoll geplante, mit dem Wissen und dem Equipment der Profis zubereitete Menü für Familie und Freunde. Früher zählte eher das Ergebnis, die warme Mahlzeit auf dem Tisch. Wie schnell und unsinnlich sie produziert wurde, womöglich in einer versteckten, für Gäste nicht einsehbaren Abstellkammer – das hatte niemanden zu interessieren. Je mehr aber die Ausgaben für teure Einbaugeräte stiegen und die Küche ein Repräsentationsraum wurde, desto unpassender schien die Zauberei mit der Mikrowelle. Wurden echte Garungs- und Geschmacksbildungsprozesse darin nicht eigentlich nur simuliert? Und stand die atemberaubende Geschwindigkeit wirklich noch für Fortschritt oder am Ende doch eher für Fake?Die Mikrowelle ist ein Opfer jener ungestillten Sehnsucht nach Gemütlichkeit geworden, die auch Eva Herman derzeit so wirr gegen die Emanzipation wettern lässt. Die neue mikrowellenbefreite Küche, wo wir wieder Lebenszeit verbringen und Lebensqualität erfahren, soll soziale Bande neu verknüpfen, selbst Patchwork-Familien müssten sich doch vor der urzeitlichen Wärme eines echten Herds vereinen lassen. So soll es sein, zumindest in unserer Fantasie. Und wenn es für die Mikrowelle überhaupt noch eine Rettung gibt, dann liegt sie wahrscheinlich in unserer Verlogenheit. Der reißende Absatz von Riesenkühlschränken, Dampfgarern und anderen Renommiergeräten, die ganze neue Heim- und Küchenfixierung korrespondiert jedenfalls nicht, wie es zu erwarten wäre, mit einem Verkaufsrückgang bei Tiefkühlkost und Fertiggerichten. Das kann doch nur eins bedeuten: Wenn niemand zuschaut, essen wir noch genauso hastig, ungesund und unsinnlich wie in all den Jahren zuvor – und das kleine Gerät, das wir jetzt so sorgfältig vor fremden Blicken versteckt halten, muss uns nach wie vor dabei helfen.