Pop-Literatur

Die Zeit der Erregungen und Debatten, der Allianzen und Ausgrenzungen ist seit etwa fünf Jahren vorbei – jetzt wird wieder einmal der Versuch einer Historisierung unternommen. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hat vor Kurzem die große Anthologie Pop seit 1964 herausgebracht, und man kann dieses Buch zum Anlass nehmen, um noch einmal die Möglichkeiten und Irrtümer zu beschreiben, wie dieses Genre zu erfassen sei. Am ehesten erfolgt die Annäherung an Pop-Literatur in der Kennzeichnung dessen, was sie gerade nicht ist. Das ermüdendste und mittlerweile unglaubwürdigste Kriterium ist zweifellos jenes, dass Pop-Autoren die wilde Antithese zum literarischen Kanon bilden würden. Im Vorwort des Bandes wird diese ewig gleiche Geste noch einmal bemüht: dass Pop »ein Störfaktor« im Literaturbetrieb sei. Spätestens heute, da die mit Pop-Literatur groß Gewordenen an verantwortlichen Positionen in den Verlagen und Feuilletons sitzen, taugt dieses Genre eher zum kleinsten gemeinsamen Nenner. Außenseiter ist als junger Lektor oder Redakteur inzwischen nicht, wer sich für Goetz oder Biller begeistert, sondern für Stifter, Mörike und Immermann. Ebenso unergiebig ist es, Pop-Literatur vordringlich mit dem Sujet der Texte in Verbindung zu bringen. In der Anthologie heißt es, die Zusammenstellung beschränke sich auf Geschichten, »deren Zuordnung zu Pop in unseren Augen formal und thematisch motiviert« ist, doch genau das ist fragwürdig. Wenn Ingo Schulze oder Daniel Kehlmann einen Roman über Musik schreiben, wenn Jan Wagner oder Albert Ostermaier Gedichte in Listenform veröffentlichen würden – erhielten diese Texte den Status »Pop«? Definitiv nicht, und zwar deshalb, weil Stoffe und Gattungen für die Zugehörigkeit zum Genre keine besondere Rolle spielen. Was aber macht den Status der Pop-Literatur genau aus? Das zentrale Kriterium ist vermutlich etwas, was man den Abstand zwischen Autor und Werk nennen könnte. Bei Schulze, Kehlmann oder anderen erfolgreichen jüngeren Autoren ist dieser Abstand, so gegenwartsgesättigt ihr Schreiben auch sein mag, spürbar; Schriftsteller und Werk sind nicht deckungsgleich, stehen in einem vermittelten, abstrakten Verhältnis zueinander. Wie anders bei den als »Pop-Literaten« etikettierten Schreibern in den vergangenen zehn Jahren: Zwischen ihrem Werk und ihrer Erscheinung – dem Gesicht, der Kleidung, dem Lebensstil – gibt es diese Distanz nicht; sie verkörpern ihr Buch auf unmittelbare Weise.Romane von Pop-Autoren werden stets als persönliche Verlautbarung gelesen, auch wenn das Erzähl-Ich deutlich fiktionalisiert ist, sich an fremden Orten und in vergangenen Zeiten bewegt. Zudem weist man den Schriftstellern – obwohl sie literarische Texte und nicht Reise- oder Modetipps produzieren – die Rolle einer Geschmacksinstanz im alltäglichen Leben zu; sie werden nach den elegantesten Hotels oder den besten Clubs befragt. In der Anthologie Pop seit 1964 kommt diese Fokussierung auf die Person des Autors vor allem in einem Gespräch mit Thomas Meinecke und Benjamin von Stuckrad-Barre zur Sprache. Darin verkündet einer der Herausgeber ernsthaft, bei der Aufnahme einer bestimmten Autorin in das Buch sei es nicht in erster Linie um die »Textrezeption« gegangen, sondern um die »Rezeption der Autorin, des Geschlechts, der Haare« – ein Satz, der mehr über das Genre verrät als ganze literarhistorische Dissertationen. Die Untrennbarkeit von Autor und Werk macht aber auch verständlich, warum die besten Selbstbeschreibungen der Pop-Literatur von jeher bloße Verweigerungen der Auskunft waren. Es gibt das Genre nur in der Performance, der Aktion, niemals in der Analyse; literaturgeschichtlich steht Pop-Literatur damit am entgegengesetzten Punkt zu einer Epoche wie dem frühen 20. Jahrhundert, als Autoren wie Benn, Rilke oder Hofmannsthal gleichzeitig Gedichte und Abhandlungen über moderne Lyrik publizierten. Diese Verbindung von Poesie und Poetik wäre fatal für die Pop-Literatur. Über das eigene Tun kann sie so wenig aussagen wie ein Tänzer auf der Tanzfläche.