Der Spargel selbst ist im Grunde ein unschuldiges Gemüse, das nirgendwo anecken will. Er bemüht sich sehr, möglichst unauffällig zu schmecken, er macht weder satt noch dick, tatsächlich besteht er hauptsächlich aus Wasser. Dadurch, dass er ständig billiger wird, leistet er einen Beitrag zur Demokratisierung der Esskultur und wie kein anderes Gemüse vermittelt er den Deutschen das Gefühl, mal wieder fein gespeist zu haben. Subversive Eigenschaften, die ihm nachgesagt werden, etwa eine widernatürliche Steigerung des Fortpflanzungstriebs, ließen sich trotz großer Anstrengungen wissenschaftlich nie zweifelsfrei nachweisen.Und dennoch: Analysiert man die Medienberichterstattung über die Spargelzeit, die in diesen Tagen endet, zeigt der Spargel seine Sprengkraft als Landmine der Globalisierungsgesellschaft. Die Sache ist nämlich die: Der Spargel muss deutsch sein, sonst ist er trockener, minderwertiger Importspargel. Es gibt also – kein Witz – eine Art amtlichen Ariernachweis, mit dem reinrassiger deutscher Spargel von Fremdspargel unterschieden werden kann. Offiziell nennt sich das »Isotopenanalyse«. Die Folge ist: Der Spargel boomt auf deutschen Feldern. Aber, und jetzt wird es richtig kompliziert: Der Deutsche selbst, auch der deutsche Langzeitarbeitslose, will ihn nicht ernten. Das machen ausländische Saisonarbeiter, hauptsächlich Polen. Weshalb in den letzten Wochen und Monaten immer wieder Reporter auf die Spargelfelder hinausgeschickt wurden, um über diese dramatische Lage zu berichten.Unglaublich, was wir auf diese Weise über den Spargelanbau erfahren haben: Fördermengen, Tariflöhne, Effizienzberechnungen (»70 Polen auf 40 Hektar«). Und an allen Spargelstandorten dieselben aufrüttelnden Erkenntnisse: Deutsche Arbeiter sind »absolut nicht zu finden« (Inchenhofen) bzw. haben sich »seit dreißig Jahren nicht blicken lassen« (Pörnbach). Die Polen dagegen sind »äußerst flexibel« (Schrobenhausen), »arbeiten samstags und sonntags durch« (Mainz-Finthen) und »klagen nie« (Bornheim). Der Ausländer, so die alarmierende Botschaft, sticht etwa zehn Kilo Spargel in der Stunde – der Deutsche, den das Arbeitsamt schickt, nur zwischen drei und fünf.Diese Spargelstory hat, auch wenn sie an der Oberfläche sachlich daherkommt, eine geheime symbolische Zusatzbotschaft. Der Ausdruck »sich die Hände nicht schmutzig machen« – trifft er hier nicht ganz wundervoll ins Schwarze? Der Deutsche, egal wie schlecht es ihm sonst geht, will sich nicht mehr bücken, die Frucht des Feldes nicht mehr mit den Händen ernten, er ist seiner Scholle bedenklich entfremdet. Nur so viel: Es gab Zeiten in diesem Land, da wäre er damit nicht durchgekommen, hehe. Diese Denaturierung, ja Pervertierung des Deutschen geht einher mit einem symbolischen Potenzverlust, der sich nicht auf das Gebiet der Feldarbeit beschränkt. Der deutsche Landmann, der vor kurzem noch die Welt umpflügen sollte – er geht uns auf dem Weg ins Elend voran.Das Fantastische dabei ist, dass der Spargel diesen symbolischen Irrsinn auch noch mitmacht – unseren Ahnen, die den Ausdruck »Spargel stechen« erfanden, in diesem Zusammenhang ein herzliches Dankeschön. Am Spargel sieht man: Der Deutsche hat insgesamt das Stechen verlernt (siehe auch –› Zeugungs-streik), Sommer für Sommer wird er von polnischen Superstechern, die zehn Kilo pro Stunde können, ausgestochen. Okay, das ist jetzt polemisch, so direkt hat es noch keiner gesagt. Aber wir sollten uns doch mal fragen, was uns wohl dazu treibt, das Spargelfeld als nationales Drama zu inszenieren: Ist es nur eine große Unsicherheit – oder doch die Sehnsucht nach einer Zeit, als wir im Felde noch unbesiegt waren?