Michelle Obama ist eine von uns. Das war von Anfang an klar. Die Frau kam, und sie lachte mit weit offenem Mund und knuddelte ihren präsi-dialen Ehemann und lieh sich sein Jackett, als ihr kalt wurde, und die ganze Welt dachte: eine von uns. Ganz normal. Wie toll. Denn wir mögen es, das Kleine in den ganz Großen zu entdecken, es macht uns Kleine größer. Das war bisher alles sehr sympathisch. Schien tatsächlich einfach: authentisch. Warum sollte sie denn plötzlich hinter vorgehaltener Hand kichern, nur weil ihr Mann mal eben wichtigster Mann der Welt wurde?
Aber jetzt das: Michelle Obama recycelt ihre Klamotten. Das Jäckchen, der Rock, die Schuhe. Wird alles mehrmals getragen. Altes neu kombiniert; es ist der endgültige Ratschlag jeder Modezeitschrift in perfekter Umsetzung. Und es ist natürlich einmal mehr genau das, was wir alle tun. Bloß, und das ist der große Unterschied: Wir tun es AUS NOT. Warum aber trägt die First Lady freiwillig den alten Kram auf? Warum nicht jedes Mal etwas Neues, Auf- regendes präsentieren, sich verändern, sich ausprobieren? Ohne großes Risiko, denn da ist doch wohl ein Berater. Man weiß ja nun nicht allzu viel über das Mode- departement im Weißen Haus, aber es ist anzunehmen, dass es so etwas Ähnliches gibt. Es ist außerdem mit einiger Sicherheit anzunehmen, dass Frau Obama die Ausgaben für Kleider zu Repräsentations- zwecken nicht aus eigener Tasche bezahlen muss. Und selbst wenn sie müsste, sie hätte ja genug Geld. Und es ist absolut klar, dass die Designer der First Lady ihre Entwürfe geradezu hinterherschmeißen. Will das Weiße Haus signalisieren, dass kein Geld verballert wird? Nun ja. Natürlich ist so ein Azzedine- Alaïa-Kleid nicht ganz billig, aber das ist so ein Kampfjet ja auch nicht. Hat sie keine Zeit, shoppen zu gehen? Sie muss es bestimmt nicht selbst tun.
Nein, es ist ganz klar: Die Recyclerei soll die Normalität von Michelle Obama unterstreichen. Und das ist, wenn man darüber nachdenkt, gar nicht mal so sympathisch, sondern irgendwie zynisch. Denn: Sie ist nun mal nicht wie wir. Punkt. Der Versuch, authentisch zu sein, verkehrt sich in dieser Anlage in sein genaues Gegenteil. Michelle Obama ist zwar eine ungekünstelte, natürliche Frau, aber sie ist die Frau des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Ihre Aufgabe ist es, zu repräsentieren. Nicht viel mehr als das. Da ist es nicht zu viel verlangt, jeden Tag etwas anderes anzuziehen. Es ist sozusagen ihre Pflicht: Sie könnte damit jedes Mal einem neuen jungen Designer zur großen Chance verhelfen. Eine von uns würde das tun als Präsidentengattin.
Fotos: Reuters, dpa