»Der Berliner Stil? Bourgeois Trash!«

So wohnt Berlin: zu Hause bei Christoph Niemann und Lisa Zeitz.


SZ-Magazin: Herr Niemann, Ihr Haus ist ungewöhnlich geschnitten, fast wie ein Büro. Das war ein Remise, die sechs Jahre lang leer stand. Erbaut 2002 als Büro für eine Agentur während des Dotcom-Booms, der Bauträger ging allerdings Pleite. Es war also eine Bauruine, die wir dann selber umgestaltet haben. Und zwar mit dem Taschenrechner, weniger mit dem Designkatalog.

Immerhin haben Sie sich im Bad den U-Bahnplan von New York fliesen lassen.
Ich wollte schon immer mal ein Mosaik gestalten und wusste, das ist wahrscheinlich die einzige Chance, die ich kriege. Ist erstaunlich günstig und einfach. Die Fliesen kamen vorsortiert per Versand.

Wie würden Sie den Berliner Einrichtungsstil beschreiben?
Bourgeois Trash. Zusammengewürfelt aus Flohmarktsachen und Designstücken. Betrachtet man mal die wirtschaftliche Lage Berlins, ist es verblüffend, in wie vielen Wohnungen der Eames Chair steht.

Mit welchem Möbelstück verbinden Sie persönliche Erinnerungen?

Mein alter Biedermeier-Kleiderschrank, ein Familienstück. Da waren früher immer die Weihnachtsgeschenke drin. Ich weiß noch, wie die Schubladen quietschen. Als Kind war der gefühlte vier Meter hoch.

Die neueste Errungenschaft in Ihrer Wohnung?

Eine Hängelampe über dem Wohnzimmertisch. Da haben wir lange gesucht, bis wir die Lösung gefunden haben. Manchmal kommt man ja mit der Geld- oder Designbrechstange nicht weiter. Erst hatten wir einen DDR-Kronleuchter, aber der ist eines Nachts von der Decke gekracht.

Vorhänge oder Jalousien?

Vorhänge. Und zwar wegen des Schalls. Wir haben Betonböden, alles ist rechtwinklig, das hallt unglaublich. Als wir hier eingezogen sind, hat man gehört, was vier Zimmer weiter geflüstert wird.

Was macht Berlin lebenswert?

Ich mag, dass Berlin so groß und international ist. Ich liebe den Flughafen Tegel, und es gibt hier die schönste S-Bahn-Strecke der Welt, und zwar zwischen Hackescher Markt und Friedrichstraße, durch die Museumsinsel hindurch.

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Was sehen Sie, wenn Sie aus Ihrem Schlafzimmer schauen?
Das Kinderzimmer, weil unser Haus um die Ecke geht. Das ist wie im Naturkundemuseum: Man sieht sie, ohne sie zu hören.

Und was hören Sie, wenn Sie das Fenster aufmachen?
Schreie vom Karatetraining. Wir haben ein Schwimmbad mit Turnhalle in der Nachbarschaft, da ist oft Karatetraining. Diesen Sommer wollen wir eine China-Party machen auf unserer Terrasse, dann wäre das der Soundtrack dazu.

Was ist die größte Wohnsünde?
Goldene Türgriffe in modernen Bauten. Aber das Schlimmste, was ich kenne, ist: Das Buchregal nach Farben der Buchrücken sortieren.

Sie haben eine Tischtennisplatte im Keller.
Ja, ich spiele wahnsinnig gern. Das Gute daran: Es macht auch Spaß, wenn man’s nicht gut kann. Man kann sich wunderbar dabei unterhalten. Das ist mein gesundes Äquivalent zu »Wir gehen eine Zigarette rauchen«.

Sie können es wahrscheinlich ziemlich gut.

Ach was, ich will es gar nicht so gut können. Es gibt ja nichts Schlimmeres als Leute, die mit ihren Gästen in den Keller gehen, um sie am Kickertisch oder an der Tischtennisplatte so richtig abzuziehen.

Sie haben drei Söhne. Wie regeln Sie das mit der Ordnung?
Das kann man nicht regeln. Ich hab kapituliert. Die Lösung wäre, sein Kind schon früh zu einem Design-Snob zu erziehen, sodass es mit zwölf ein leeres Zimmer will, in dem nur ein Tisch steht mit einem Bleistift drauf.

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Christoph Niemann, 40, ist Illustrator (
New Yorker, SZ-Magazin), Lisa Zeitz, 40, ist Kunstkritikerin (FAZ). Bevor sie 2008 nach Berlin zogen, lebten sie viele Jahre in New York. Die beiden bewohnen ein ehemaliges Agenturgebäude in Mitte und haben drei Kinder.

Fotos: Todd Selby