Unverputzte Ziegelwände schützen vorm klassischen Streit mit dem Vermieter: Man muss sie nie streichen.
Deutsche schreien wegen jeder Altbauwohnung Hurra. Die Stil-Elite in Brooklyn, London und Montreal ist weiter: Es muss eine Altbauwohnung mit Backsteinwand sein. Aus ehrlichem, sonnenuntergangsrotem, echt altem Ziegelverbund. Ich habe selbst mal den Putz in einem Altbau abgeschlagen, weil ich sicher war, dass das rote Gold dahinter liegt. Lag es nicht. Eine kaputte Küchenwand aus Isarkieseln und Holzsplittern ist nicht dasselbe. Offene Ziegelmauer – das ist alter Väter Sitte, Handwerk, die Gemütlichkeit der Archaik. Der Lehmziegel ist das älteste vorgefertigte Bauteil der Menschheit. Hier wird der Mensch als Baumeister sichtbar. Das Auge assoziiert noch den Klinker von Dreißigerjahre-Gassen mit. Das schafft drinnen jenes raue Draußen-Gefühl, für das man sich auch sein Fahrrad in die Wohnung hängt. Performative Weltoffenheit. Und vollendete Deko-Distinktion. Denn eine Backsteinwand hat man oder nicht. Man könnte nur aufmauern. Unter Verwendung historischer Ziegel nach mittlerem preußischem Format betrüge der Wohnflächenverlust bei zehn Metern Wand allerdings 1,26 Quadratmeter. In Großstädten neigt man dazu, solche Angaben sofort in Geld umzurechnen: In München etwa entspräche das bis zu 300 Euro Miete pro Jahr. Ach.
(Produktauswahl: Simona Heuberger und Nadja Tadjali. Fotos: Natalie Holbrook, Alexander Girard / Vitra, Alessandro Paderni)