Also: Können wir uns jetzt bitte alle mal wieder ein bisschen beruhigen? Ja, die Glühbirne wird abgeschafft. Ja, die EU hat einen Stapel Verordnungen erlassen, und bald wird die klassische 100-Watt-Birne verschwunden sein. Ja, wir müssen ein bisschen rumprobieren mit Energiesparlampen und Halogen und Leuchtstoffröhren.
Aber ist das wirklich so viel Gejammer wert? Die FAZ druckt ellenlange Abschiedstexte, der Spiegel fragt allen Ernstes: »Was haben Leuchtstofflampen auf einem neobarocken Kronleuchter verloren?« Der Lichtdesigner Ingo Maurer klagt: »Unsere emotionale Stabilität ist an die Glühbirne gebunden.« Und ganz groß geht das Thema natürlich Franz Josef Wagner an, der sein Licht jeden Tag in Bild leuchten lässt, er schreibt der »Lieben Glühbirne« einen Abschiedsbrief und predigt: »Jeder Mensch weiß, dass das Leben einen Anfang und ein Ende hat und wir nur eine gewisse Zeit miteinander haben. Dein Licht war die Ausnahme, es war wie das Licht der Ewigkeit. Meine Großmutter las bei Deinem Licht in der Bibel.«
Und weil der Abschied von der Glühbirne offenbar der Weltuntergang ist, stürmen alle los und raffen Birnenvorräte zusammen, die für Jahrzehnte reichen – im ersten Halbjahr 2009 haben die Deutschen fast 50 Prozent mehr Glühbirnen gekauft als im ersten Halbjahr 2008.
Aber wenn alle Keller vollgestapelt sind mit den alten Dingern und wenn die ganze Panik sich etwas gelegt hat: Könnten wir dann den Übergang bitte auch einfach mal spannend finden? Als das Auto die Kutsche ersetzte, als dem Theater das Kino entgegengestellt wurde, als die Schreibmaschine dem Computer wich – wurde da jeweils alles schlimmer und schlechter? Sind nicht immer alle, die sich erst mit Händen und Füßen gegen Innovationen sträuben, ihre größten Fans, sobald nur ein bisschen Zeit vergangen ist?
Also: Freuen wir uns, dass was Neues kommt. Es gibt gute Gründe dafür. Konstantin Grcic, von der Fachzeitschrift art zum »Größten lebenden Designer« gewählt, ist schon mal bestens gelaunt, er sagt: »Wir müssen das Objekt der Lampe völlig neu überdenken. Wer einfach nur Energiesparlampen in die alten Fassungen dreht, verpasst eine einmalige Chance. Wir brauchen jetzt eine neue Typologie des Lichts.«
Schon gibt es erste Leuchten, die Wege in die Zukunft weisen. Das Modell »Eraser« des Designers Steffen Kehrle zum Beispiel, das es mit einem verblüffend einfachen Trick möglich macht, auch Energiesparlampen zu dimmen: Man schiebt den Leuchtkörper einfach so weit in eine Aluminiumhülle, bis die Helligkeit stimmt.
Oder die »Incredible Bulb« von Ben Wirth: Sieht aus wie eine überdimensionale Glühbirne – innen aber leuchtet eine Halogenlampe, eine sympathisch ironische Verbeugung vor der Tradition. Und der Lichtkünstler Olafur Eliasson hat für die Firma Zumtobel den »Starbrick« entworfen, ein komplexes Gebilde aus ineinandergeschobenen LED-Leuchtmodulen, das fast gar nichts mehr mit der klassischen Wohnzimmerlampe zu tun hat – es kann als Kunstobjekt im Raum stehen, aber auch zu einer Lichtwand montiert werden. Das Licht selbst wird so zum Möbel.
Konstantin Grcic sagt: »Die Energiesparlampen sind nur ein Übergangsmodell. Auf lange Sicht werden die LEDs unseren Alltag bestimmen.« Die Leuchtdioden sind im Grunde nichts anderes als leuchtende Stromleitungen. Deren Leuchteigenschaften lassen sich ziemlich fein regeln. »Bisher,« sagt Grcic, »konnte man höchstens dimmen, ab jetzt kann man auch die Wärme des Lichts und das Farbspektrum verändern.«
Im Alltag könnte das so aussehen, dass ein Raum tagsüber mit viel Blauanteil ausgeleuchtet wird, das soll anregend sein, und gegen Abend wird der Rotanteil hochgefahren und die Lichtwärme ein bisschen nachtemperiert, schon ist es gemütlich. Auch die Einrichtung der Räume wird sich verändern – bis hin zu der grundsätzlichen Frage, ob wir überhaupt noch so etwas wie die klassische Lampe im Raum hängen haben.
Die alte Glühbirne braucht in der Regel so etwas wie einen Lampenschirm: Sie strahlt erst mal in alle Richtungen gleichzeitig, man braucht also einen Reflektor, der das Licht gezielt richtet, zum Beispiel auf einen Esstisch. Das Licht von LED-Lampen dagegen lässt sich auch mit winzigen Linsen steuern; wer will, kann sich eine Lampe über den Tisch hängen, die nur ein paar Zentimeter groß ist und trotzdem punktgenau leuchtet. Es wird spannend sein zu sehen, wie Innenarchitekten den lampenfreien Raum entwerfen.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Straßenlaternen, Bürolampen, Saalbeleuchtung – nach und nach wird das Zeitalter des neuen Lichts das Gesicht unseres Alltags verändern.)
Und auch außerhalb unserer Häuser werden viele Formen, an die wir uns gewöhnt haben, nicht mehr unbedingt nötig sein. Zum Beispiel am Auto: Die sogenannte Augenform der Scheinwerfer basiert darauf, dass sie Lampen in sich tragen, also eine Birne mit einem Reflektor. Jetzt sind Autos denkbar, die vorn eine Leiste aus winzigen Dioden haben, die sich über die ganze Breite erstreckt, fast wie der Wagen aus der TV-Serie Knight Rider. Und das setzt sich fort: Straßenlaternen, Bürolampen, Saalbeleuchtung – nach und nach wird das Zeitalter des neuen Lichts das Gesicht unseres Alltags verändern.
Klingt spannend – trotzdem können sich die Menschen nur schwer von der alten Glühbirne trennen. Warum? Liegt es daran, dass sie an die Kerze erinnert, an das Feuer? Dass man in ihrem Inneren, wenn man genau hinsieht, immer auch eine Art Verweis auf das Urlicht, die Sonne, erkennen kann? Klar, die alte Glühbirne hat etwas Ursprüngliches – obwohl natürlich auch die, als sie neu war, von vielen als modernes Teufelszeug verdammt wurde (kein Wunder, dass später extra diese scheußlichen flackernden Glühbirnen erfunden wurden, deren Glas die Form einer Kerzenflamme hatte).
Ein anderer Grund für den schweren Abschied von der Glühbirne liegt in ihrem Symbolcharakter: Sie stand für das Zeitalter der Technik, des Fortschritts, des großen Gelds. Ohne elektrisches Licht wäre die Industrialisierung nie möglich gewesen, der weltweite Siegeszug des Kapitalismus wurde beleuchtet von Milliarden von Glühbirnen. Im Bergbau gibt es den Spruch »Ohne Licht keine Schicht« – und ja, erst das elektrische Licht ermöglichte es, Arbeitskräfte rund um die Uhr einzusetzen, die Nächte durchzuarbeiten, unabhängig zu werden von natürlichen Vorgaben. Ohne künstliches Licht wäre der moderne Mensch nur halb so modern.
Jetzt aber sind mit der Finanzkrise all die schönen Versprechen des 20. Jahrhunderts infrage gestellt. Gefährdete Jobs, wackliger Wohlstand – der Kapitalismus knirscht an seinen Grenzen entlang wie ein Luxusdampfer an der Kaimauer. Da wackeln die Lampen, und fast wirkt es wie ein Beleuchtungseffekt für den historischen Moment, dass sie genau jetzt ausgetauscht werden, die Lichter, die hundert Jahre lang die Geldgeschäfte der westlichen Welt beleuchtet haben.
Bestes Beispiel: die Schaufenster der Kaufhausketten. Jahrzehntelang wurden sie auch nachts hell erleuchtet, sie sollten ununterbrochen mit ihren Auslagen werben. Jetzt gehen die ersten Kaufhausketten pleite – und die ersten Fenster bleiben dunkel.
Wenn die Lichter eines Tages wieder angehen, dann werden es Energiesparlampen sein, Halogenleuchten oder eben LED-Lampen. Es ist doch ganz wunderbar, dass das 21. Jahrhundert, mit ein bisschen Anlaufverzögerung, sein eigenes Licht kriegt.
Wir müssen so vieles neu denken, wir müssen uns so vielen Fragen neu stellen, von überkommenen Gesellschaftsmodellen über die Erderwärmung bis zu kaputten Finanzsystemen – die Chancen stehen gut, dass die jetzige Zeit eines Tages, im Rückblick, als Epochenbeginn verstanden wird. Da hat sie ihr eigenes, neues Licht allemal verdient.
Vor fast hundert Jahren, 1914, feierte der Futurist Filippo Tommaso
Marinetti das Tempo des noch jungen 20. Jahrhunderts und erklärte: »Ich bete jeden Abend zu meiner Glühbirne, denn in ihr herrscht eine ungeheure Geschwindigkeit.« Es ist nur eine Frage der Zeit, bis irgendjemand die ersten Hymnen auf das Zeitalter des neuen Lichts textet.
Der Designer Clemens Weisshaar, der zuletzt mit Arbeiten für Prada und Rem Koolhaas Aufsehen erregte, sieht jetzt sogar eine »Virtualisierung des Lichts« kommen, er sagt: »Die Lichtquellen der Zukunft müssen nicht mehr die physische Präsenz der Glühbirne haben, wir können jetzt mit flächigem Licht arbeiten, wir können Wohnzimmerwände leuchten lassen wie den Tacho eines Maserati.«
Er selbst hat bereits eine Deckenbeleuchtung mit dem Namen »Hypersky« entworfen: 1,6 Millionen Leuchtdioden bilden eine Lichtfläche von 30 Quadratmetern, einen künstlichen Himmel für sehr große Räume, der die verschiedensten Formen annehmen kann, von abstrakten Farbfeldern bis zu Sternbildern. Dagegen sind Castiglioni-Lampen müde Funzeln.
Die winzigen LED-Lampen lassen sich behandeln wie Baustoffe: Sie sind Material, das man in anderes Material einarbeiten kann. Damit lassen sich Gegenstände einwickeln, Wände und Zimmerdecken überziehen, Böden markieren. Das Licht muss nicht mehr aus so etwas wie einer Steh- oder Hängelampe kommen, es könnte einfach da sein, um uns, bei uns, in und auf den Dingen, die uns umgeben, fast wie Luft oder Staub.
Nein, es ist auf keinen Fall übertrieben, von einem neuen Zeitalter des Lichts zu sprechen. Die Frage ist nur, wer jetzt als Erster die bahnbrechenden Entwürfe vorlegt, die es dann zu Klassikern des 21. Jahrhunderts bringen. Clemens Weisshaar jubelt: »Als die Halogenlampen neu waren, hat Ingo Maurer das Halogen-Drahtsystem erfunden – und bald mussten das jede Apotheke, jeder Wohnungsflur, jedes Hotelzimmer haben. Jetzt ist die einmalige Chance da, so etwas ganz neu zu erfinden, für das neue Licht, für eine neue Zeit.«
Der Witz ist natürlich, dass viele Designer erst mal versuchen, klassische Lampenmodelle nachzubilden. Weil die Menschen nun mal eher das Vertraute kaufen als das Neue. Konstantin Grcic sagt: »Nehmen Sie den Desktop des Computers: Der soll an ein herkömmliches Büro erinnern, mit Ablagefläche, Ordnerstapeln, Papierkorb. So ähnlich wird es auch mit der fundamentalen Erinnerung Licht gehen. Es wird Zitate geben. Aber es wird eben auch ganz viel Wegweisendes passieren.«
Klassische und futuristische Modelle, Lampen, die so aussehen wie seit Jahrzehnten schon, und Lampen, die wie Lichtpunkte im Raum schweben, winzig klein, wie feiner Sternennebel – es wird beides geben, das exakt kopierte Alte und das noch unbekannte Neue. Oder um es mit Grcic zu sagen: »Wir gewinnen eine Dimension dazu. Wann gab es das zuletzt?«
Max Fellmann sitzt mit seinem Kollegen Bastian Obermayer in einem Büro, das von einer eher müden Neonlampe beleuchtet wird. Als Kontrastprogramm für Schreibtischarbeiter empfiehlt Fellmann das Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna: In den Gewölben einer ehemaligen Brauerei haben Künstler wie Olafur Eliasson, James Turrell und Rebecca Horn gewaltige Lichträume geschaffen, unterirdische Kathedralen, die an Raumschiffe und Mondstationen erinnern – begehbare Science-Fiction (www.lichtkunst-unna.de).
Foto: André Mühling