»Ich will doch nur spielen«

Das Schauspieler-Dasein ist glamourös und aufregend – aber oft auch deprimierend, wenn wieder jemand anderes die Rolle bekommt. Wie es sich anfühlt, bei Castings ständig beweisen zu müssen, dass man seinen Job beherrscht.

So glamourös und bequem wie auf diesem Foto ist das Schauspieldasein von Bianca Nawrath nicht immer. Meistens wartet sie in einem zugigen Vorraum aufs Vorsprechen.

Foto: Lena Faye

Bianca Nawrath ist 26, Schauspielerin und hat schon mit Judy Dench in »Six Minutes to Midnight« gespielt, sie trat in den Netflix-Produktionen »Inventing Anna« und »Old People« auf. Ab 2025 ist sie regelmäßig in der Serie »Wapo Duisburg« im Ersten zu sehen. Sie ist in einem Berliner Plattenbau aufgewachsen, hat polnische Wurzeln und einen Bachelor in Journalismus. Hier erzählt sie in den kommenden Wochen vom Leben hinter und vor der Kamera.

»Hallo Lisa! Schön, dich zu wiederzusehen!«, sie sieht aus wie ich – nur größer, sportlicher, frecher. Leider hat sie auch mehr Instagram Follower. Die meisten Casterinnen beim Film achten darauf, dass Konkurrent*innen sich nicht begegnen, aber manchmal lässt es sich nicht vermeiden. Castingtage sind dicht getaktet. Zum Glück vergleichen wir uns sowieso nicht, denn es ist 2024, Missgunst ist Einstellungssache und Zeichen eines schwachen Charakters. Ich bin kein schwacher Charakter, ich bin eine erwachsene Frau und habe genügend Yogi Tees gelesen, um zu wissen: Ich liebe mich so wie ich bin. Auch wenn Lisa mir schon beim letzten Mal die Rolle weggeschnappt hat – ich bin Zen. Sowas von Zen. Ganz bei mir. Amen.

Gerne würde ich erwartungslos in Castings gehen und ausstrahlen, dass ich den Job will, aber ihn nicht brauche. Am Ende ist es ja auch so. Ich finde immer einen Weg, um meine Miete zu bezahlen. Nur leider ist nicht jeder Job so aufregend wie der am Film-Set. Und nicht bei jedem Casting wird wie hier gerade die nächste Sissi gesucht, auch noch von Netflix. Es könnte eine dieser Rollen sein, mit denen man es endgültig geschafft hat. Ein paar Mal hatte ich schon das Gefühl, mir gelingt der Sprung von einer Schauspielerin, die in jedes Casting geht, zu einer Schauspielerin, die sich ihre Rollen aussuchen kann. Ich habe bereits einen Monat lang an Queen Judi Denchs Seite gedreht, war in einer Vox-Serie die Tochter von Jürgen Vogel und durfte in mehreren Kinofilmen mitspielen. Trotzdem kennen mich nur ein Handvoll Leute, die meisten davon aus der Nachbarschaft meiner Eltern, weil mein Vater kurz davor ist, Fan-Shirts von mir zu verteilen.

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Leicht bedröppelt sitzen meine Schauspielkollegin und ich im hellen, freundlichen Vorraum zum Castingstudio. Es gibt Tee, Obst und Süßes. Manchmal wartet man auch in einem zugigen Treppenhaus. Aus dem Studio, in dem gecastet wird, schallen bereits die Satzfetzen zu uns rüber, die ich im Kopf durchgehe. Der Zettel in meiner Hand ist von Textmarker-Spuren und Kaffee-Flecken übersäht. Mein Magen grummelt. Verdauung funktioniert gut bei Aufregung. Ich versuche mich daran zu erinnern, dass ich erst gar keine Einladung bekommen hätte, wenn mein Spiel völlig Banane wäre. Offene Castings finden nämlich höchst selten statt, in den meisten Fällen durchstöbern Caster*innen Schauspielerportale und Datenbanken von Agenturen und treffen eine Vorauswahl. Wenn ich z.B. Lust hätte im nächsten Fatih-Akin mitzuspielen (hätte ich!), könnte ich meine Agentin zwar darum bitten, mich proaktiv vorzuschlagen, doch am Ende entscheiden Regie und Casting-Agentur darüber, wer ins Casting eingeladen wird und da Casting-Tage teuer sind, kommen nicht allzu viele Schauspieler*innen zum Zug. Das macht jedes Live-Casting zu einer heftigen Chance. Ich blicke rüber zu meiner Kollegin, sie massiert ihre Schläfen mit einem Jaderoller. Wir teilen ein wissendes müdes Lächeln. Live-Castings sind wie die letzten Meter eines Marathons. Entscheidend ist, wer jetzt noch genug Energie hat.

Die Tür zum Casting-Studio öffnet sich und acht Kilo Tüll sowie zwei Kilo Seide schieben sich in den Vorraum. »Danke für die Chance!«, die Schauspielkollegin schüttelt der Casterin überschwänglich die Hand. »Das hat großen Spaß gemacht! Dann bringe ich das Kleid mal wieder in den Fundus zurück…«.
Ich blicke an mir herab auf die Spitzenbluse, die ich heute Morgen noch triumphierend aus meinem Kleiderschrank gefischt habe. Es schien mir das für das Casting geeignete Kleidungsstück aus meiner ansonsten wenig herrschaftlichen Garderobe zu sein. Doch hier nun: die wiedergeborene Romy Schneider. Und ihre euphorisch auf- und abschwingenden Korkenzieherlöckchen lassen ahnen, dass es nicht allzu schlecht gelaufen ist.

Wenn mich junge Menschen mit großen Augen fragen, wie man Schauspielerin wird, weiß ich selten, was ich antworten soll. Wie schaffe ich es, ihnen keine falschen Hoffnungen zu machen, ohne ihnen ihre wertvollen Hoffnungen zu nehmen? Bei mir hat es ja auch geklappt – im Quereinstieg. Ich steckte mit 19 in den Anfängen meines Journalismus-Studiums, als ich mehr und mehr die Schauspiel-AG meiner Schule zu vermissen begann. Ich fand heraus, dass Schauspieler*innen Agenturen haben, die ihnen die Castings besorgen. Zur Bewerbung sollte man ein Showreel, so eine Art Demoband, von sich einsenden, bestehend aus Filmschnipseln bisheriger Projekte. Doof nur, dass ich bis dato noch keinen einzigen Satz vor einer Filmkamera gesprochen hatte. Also schnappte ich mir meine beste Freundin und deren Canon und wir drehten ein Bewerbungsvideo im Wohnzimmer meiner Eltern. Die Szenen dafür schrieb ich selbst. Ich betrauerte einen Verflossenen, tanzte fröhlich für eine Wohnungsbesichtigung übers Parkett und stritt mich wutentbrannt mit meiner Schwester. Schnell in einem Online-Schneide-Tool zusammengehackt und an alle möglichen Agenturen versendet. Nach kurzer Zeit die Antwort: »Wir sehen, dass du Spaß hast und würden dich deshalb gerne kennenlernen«. Es bleib die einzige Reaktion auf mein Demo-Band, aber es reicht ja auch eine Chance, solang man sie ergreift.

Es folgte ein Jahr voller Casting-Absagen. Bis auf den Werbespot für einen Telekommunikationsanbieter drehte ich nichts. Zum Glück hatte ich noch mein Studium, das meinen Kopf beschäftigt und meine Seele gesund hielt. Warum ich es trotzdem bei etlichen Castings versuchte? Wahrscheinlich sind daran meine Eltern schuld, die mich mit so viel Ur-Vertrauen aufgeladen haben, dass es für drei reicht. Irgendwann bekam ich meine erste richtige Zusage, für eine Episodenrolle in Jerks. Dadurch, dass plötzlich die Namen Ulmen und (wenig später) Schweiger in meiner Vita standen, nahmen auch die Einladungen zu Castings zu und ich konnte mich als Schauspielerin etablieren.

Die Casterin hat mich inzwischen mit resolutem Schritt ins Studio geführt, während ich versuche, meinen Darm daran zu erinnern, dass wir nicht allein sind. Neben der Regie ist eine Produzentin anwesend und natürlich mein Spielpartner, der bereits die berüschte Kollegin von eben angespielt hat. Er ist für die Rolle des Franz eingeladen. Vor uns in der Mitte des Raumes steht ein Camcorder auf einem Stativ. Ich kneife die Pobacken zusammen und versuche mich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass ich vorbereitet bin. Fokus.

Zuerst spiele ich eine Szene zwischen Sissi und ihrer Mutter. Nach jedem Take gibt mir die Regie neuen Input. »Wir probieren eine Variante, in der du nebensächlicher klingst.«. »Jetzt eine, in der du die ersten beiden Sätze über Blicke spielst.«. Dass wir die gleiche Szene wieder und wieder spielten, muss kein schlechtes Zeichen sein, denke ich. Es kann bedeuten, dass die Regie in mir Potenzial erkennt. Die Knoten im Bauch lösen sich.

Dann kommt Szene zwei, nun bin ich die Anspielpartnerin und es geht um meinen Kollegen. Wir sollten einen leidenschaftlichen Moment zwischen Franz und Sissi darstellen. Plötzlich habe ich das Gefühl, jemand habe die Heizung hochgedreht. Ich weiß natürlich, wie essenziell die Romantik zwischen Franz und Sissi für die Geschichte ist und es ist mein Job, sie gemeinsam mit meinem Gegenüber herzustellen. Aber ich habe diesen Schauspieler noch nie gesehen und muss es irgendwie schaffen, eine Chemie zwischen uns herzustellen und vor allem: für Dritte fühlbar zu machen. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum der Schauspiel-Job gesellschaftlich so stark überhöht wird, weil wir bei den Zuschauer*innen Gefühle anknipsen können und das Schönste darstellen, dass es auf der Welt gibt: Liebe. Nähe. Vertrautheit. Menschliche Beziehungen.

Das bekräftigende Lächeln der Casterin während der ersten Szene, weicht nun skeptischem Stirnrunzeln. Ich schließe die Augen, atme tief ein und aus, fühle in mich hinein und spüre…nichts. Ich weiß nicht, ob ich erleichtert sein soll oder enttäuscht, als die Casterin sagt, sie habe alles gesehen und mir nur noch ein paar Fragen stellt. Ob ich schon mal geritten bin? Sechs Sommer lang Ferienlager auf dem Reiterhof, na klar. Tänzerische Fähigkeiten? Fünf Jahre Ballett, drei davon am Friedrichstadtpalast. Englischkenntnisse? My mother was born in Cambridge. Alles etwas übertrieben, also ganz leicht. Minimal. Vorstellungsgespräch halt.

Direkte Zu- oder Absagen werden nie verteilt, jetzt heißt es warten. In den Augen der Anwesenden nach Anzeichen zu suchen, wie sie es fanden, macht nicht glücklich. Man läuft nur Gefahr, gutgemeinte Höflichkeit zu überinterpretieren.

Um das Warten angenehmer zu gestalten, redete ich mir immer wieder ein, dass ich die Rolle der Sissi vielleicht auch gar nicht will. Schon wieder eine junge leidende Frau spielen? Muss das sein? Immer wieder unterhalte ich mich mit Kolleg*innen darüber, dass sie das Gefühl haben, in einer Schublade festzustecken. Type Casting nennt sich das. Annette Frier ist die Komische, Paula Beer die Ernste, ich bin die Tochter von. Mittlerweile sind diese Töchter immerhin Anfang 20, aber lange Zeit habe ich auch noch Teenager gespielt, als ich längst über 20 war.

Es hat mich genervt, Coming-of-age-Geschichten am Fließband zu produzieren. Ich wollte ambivalente Heldinnen spielen, keine pubertären Teenager. Und welche erwachsene Frau wird gerne für ein Kind gehalten? In dieser Zeit fühlte ich mich auf Dates unsexy, in Freundesgruppen unreif und bin im beruflichen Umfeld verstummt. Die Rollen färbten ab und ich begann mich still und jugendlich zu verhalten. Es war absurd: Anstatt mich darüber aufzuregen, unterschätzt zu werden, integrierte ich die Vorurteile in mein Selbstbild. Heute gehe ich bewusst dagegen an, denn Rückzugsmuster sind bestimmt kein Erfolgsrezept.

Zwei Wochen später rief mich meine Agentin persönlich an, statt nur die Mail der Produktionsfirma mit dem Ergebnis des Sissi-Castings weiterzuleiten. »Es tut mir wirklich leid, Bianca, aber immerhin hast du am Montag noch das Casting für einen ARD-Krimi…«.

Absagen gehören zum Job, in meinem Fall kommen circa zehn Absagen auf eine Zusage. Wie man dabei nicht das Selbstbewusstsein verliert? Keine Ahnung. Doch ich bin gut darin geworden, es wiederzufinden. Ich vergegenwärtige mir, dass es von vielen Faktoren abhängt, wer den Job bekommt. Und das wenigste hat mit dem eigenen Können zu tun. Es geht um Geschmäcker, Konstellation mit den anderen Hauptrollen und Followerzahlen. Aus dem selben Grund nehme ich auch Zusagen nicht persönlich, was dem Ego hilft, in Balance zu bleiben. Ich habe bereits Rollen bekommen, obwohl ich dachte, das Casting war nichts – und andersherum. In der Regel versuche ich mich daran zu erinnern, dass ich mehr bin als mein Job. Am Ende wurde Devrim Lingnau als Netflix-Kaiserin besetzt, und ich kann gut damit leben, Devrim ist cool und talentiert. Und ehrlich gesagt mag ich Korkenzieher-Locken eh nicht.