»Affenhirn macht man nur für Touristen«

Für kulinarische TV-Reportagen war Anthony Bourdain in über 100 Ländern. Im Interview verrät er, was für furchterregende Dinge ihm manchmal angeboten werden und wann er sich mit einem Fleischermesser verteidigen musste.

SZ-Magazin: Wo erwische ich Sie gerade am Telefon?
Anthony Bourdain: Neufundland. Wir drehen für meine Serie auf CNN, die Folge handelt von Kanada.

Schon was Gutes gegessen?
Kabeljau, Wild und einige indigene Gerichte.

Sind Sie wieder mit einem Food Guide unterwegs?
Ja, einem Koch aus Montreal, der die Gegend gut kennt. Wir erkundigen uns für jede Sendung vorab bei Köchen, die sich mit der lokalen, traditionellen Hausmannskost auskennen. Mit uns Köchen ist es wie mit der Mafia. Man kennt immer jemanden, der jemanden kennt, der gern hilft und einem Dinge und Leute zeigt.

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Gäste laden Sie auch in die Sendung ein.
Wenn ich irgendwo hinreise, kenne ich mich da meistens nicht aus, bin immer der Dümmste im Raum und brauche Hilfe. Deswegen tauchen in meiner Sendung so viele Leute auf: Ich lade mich bei irgendwem zu Hause ein und lasse mir erklären, was er isst, wie er es kocht, was er jagt oder fischt.

Mitunter sind das sehr prominente Gäste wie der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow 2014, der senegalesische Sänger Youssou N’Dour oder Barack Obama.
Wenn man die Gelegenheit bekommt, mit dem Präsidenten Nudeln in Vietnam zu essen, sagt man doch nicht Nein.

Hatte er sich selbst eingeladen?
Das Weiße Haus hatte vorfühlen lassen, ob es Interesse an einem gemeinsamen Essen gäbe, und als ich hörte, dass er eine Südostasienreise plante, dachte ich gleich an den familiengeführten Nudelladen in Hanoi, wo wir uns dann trafen. Das war ja ein einfaches Straßenlokal und schwierig abzusichern, aber der Präsident und seine Sicherheitsleute waren ganz cool. Er war entspannt, reizend, direkt und dankbar, den Ort kennenzulernen.

Würden Sie mit seinem Nachfolger essen?
Nein.

Warum ist reisen wichtig für Köche?
Es sollte ja für jeden wichtig sein. Man lernt Demut und Empathie. Man sieht, wie arme Menschen aus wenig etwas Wunderbares machen. Der Motor der Gastronomie ist der Zwang, mit dem auszukommen, was man hat. Sogar die französische Küche basiert darauf, aus wenig viel zu machen.

Gibt es Länder, deren traditionelle Küche komplett an Fast Food verloren ging?
Teile der USA werden von Fast Food beherrscht. Ansonsten haben die Franzosen in der Südsee viel kaputt gemacht: Die Leute sitzen inmitten von Fisch und Wild – und warten nur auf die Container mit Tiefkühlkost und Junkfood. Das ist schon verstörend.

Sie filmen, seit Sie Ihren Job als Koch aufgegeben haben, zehn Monate im Jahr.
Ja. Seit fast 17 Jahren.

Ist Ihre Frau beim Drehen dabei?
Wir sind seit einem Jahr getrennt. Es gibt wieder jemanden in meinem Leben, aber ich reise allein mit meiner Crew aus New York: zwei Kameraleuten, dem Produzenten, dem Regisseur. Assis-tenten, Fahrer und Food Guide engagieren wir vor Ort.

Wie viele Länder haben Sie bereist?
Man sagte mir, es seien mehr als 100, aber ich kenne die genaue Zahl nicht. Ich komme ja in einige Länder mehrmals. In Deutschland war ich erst zweimal.

Was macht Sie neugierig auf ein Land? Küche, Landschaft, Menschen?
Immer etwas anderes. Bei manchen Ländern ist die Küche schon Grund genug. Manchmal habe ich die Gelegenheit, mit einem interessanten Regisseur, Musiker oder Koch zusammenzuarbeiten, dann richte ich alles danach aus. Und oft habe ich einfach etwas Interessantes gehört oder viel über die Geschichte eines Landes gelesen und will dann dahin. In die Republik Kongo zum Beispiel.

Sie ließen sich vor der Kamera zeigen, wie man Eichhörnchen häutet. Aber Affenhirn haben Sie ausgeschlagen. Warum?

Weil ich mir sicher war, dass man Affenhirn nur für Touristen macht und keine ursprüngliche Tradition dahintersteht. Das hat irgendjemand mal im Film gesehen und dann für Touristen gemacht. Ich drehe nichts allein wegen des Schockeffektes. In Kambodscha hat jemand angeboten, er könne versuchen, das zu finden. Aber noch mal: Es ist kein kambodschanisches Gericht.

Haben Sie sich schon mal nach dem Essen übergeben?
Nie. Lebensmittelvergiftungen habe ich aber schon zwei, drei gehabt. Weil es dreckig war, weil es kein fließendes Wasser gab, weil die Leute arm waren, sich aber besonders angestrengt hatten und es unhöflich gewesen wäre, nicht zu probieren. Ich habe es immer kommen sehen.

Ist das Herz einer Kobra immer noch das Essen, das Ihnen am meisten Angst eingejagt hat?
Ach, ich bin mir sicher, schon Furchteinflößenderes gegessen zu haben.

Wo müssen Sie unbedingt noch hin?
Die Orte, die mir noch fehlen, sind einfach zu gefährlich: Jemen reizt mich sehr, Afghanistan, da war ich schon einige Male an der Grenze. Kaschmir und Syrien haben eine große Küchentradition.

In Beirut wurden Sie beschossen.
Da sind wir vom Krieg überrascht worden. Beirut ist eine wundervolle Stadt, in die ich noch mal zurückmöchte. Libyen war schwierig, Kongo eine große Herausforderung. Aber die Kameraleute brauchen ja eine Versicherung, und die bekommen sie für einige Länder einfach nicht mehr. Die lassen uns nicht mal nach Venezuela.

Was ist schwieriger: kochen, schreiben oder drehen?
Professionell zu kochen ist mit Abstand das Schwierigste. Zehn, zwölf Stunden im Stehen, auf engstem Raum, bei hohem Tempo, die Hitze. Ich habe das 30 Jahre lang gemacht und schätze mich glücklich, dann mit 44 zum Schreiben gekommen zu sein.

Ein scharfes Messer haben Sie immer noch im Gepäck?
Nur wenn ich an gefährliche Orte reise.

Schon mal benutzt?
Seit 1969 nicht mehr.

Was ist da passiert?
Es war mein erstes Jahr in der Küche. Ein älterer Koch hat mir immer an den Arsch gefasst und den Finger reingedrückt. Vor allen anderen. Nach ein paar Tagen habe ich ihm das Fleischermesser in die Hand gestochen. Danach sind wir gut miteinander ausgekommen.

ESSEN: Anthony Bourdain liebt scharfe asiatische Nudeln, einfache Yakitori, koreanisches Barbecue und wegen seines Steinbutts, das »Elkano« in San Sebástian, Tel. 0034/943/140024
SCHLAFEN: »Chateau Marmont«, Hollywood, Tel. 001/323/6561010, »mein zweites Zuhause«
ANSONSTEN: Anthony Bourdain: Appetites: Ein Kochbuch (Riva Verlag)

Foto: Bobby Fisher