SZ-Magazin: Wieviel Aufwand muss ein Restaurant betreiben, um einen zweiten Stern zu erkochen?
Tohru Nakamura: Qualität auf dem Teller ist sehr wichtig, Silberbesteck und mundgeblasene Gläser sind es nicht mehr.
Es gibt alle möglichen Kriterien, die ein Zwei-Sterne-Lokal wie Ihres erfüllen muss, auch für das Ambiente.
Nicht unbedingt, bei uns heißt es in der Beschreibung nur: gemütlich, das reicht völlig. Wie in Singapur zu sehen ist, kann man auch mit einem Straßenimbiss einen Stern erkochen, in dem ein Gericht schon für etwas über einen Dollar zu bekommen ist, oder mit einem Dim-Sum-Laden in Hongkong. Oder denken Sie nur mal an das Drei-Sterne-Lokal des neunzigjährigen Sushi-Meisters in Tokio.
Der Sushi-Laden in der U-Bahn-Station?
Genau. Die haben dort nicht einmal eine eigene Toilette. In einem europäischen Drei-Sterne-Lokal wäre das wohl nicht möglich. In Japan konzentriert man sich allein auf das Essen.
Die zwei Sterne sind Ihnen aber nicht zufällig passiert, oder?
Auf keinen Fall. Die Tester vom Guide Michelin lassen einen ja inzwischen wissen, dass man unter Beobachtung steht.
Sie haben die Tester erkannt?
Zweimal haben sich Tester nach dem Essen zu erkennen gegeben und ihren Ausweis gezeigt. Schon allein, weil sie sich dafür interessieren, ob ein Koch vorhat, bald zu wechseln. Sie wollen ja nicht Sterne an jemandem vergeben, der gleich im ersten Jahr wieder abhaut.
Haben die Tester verraten, was ihnen besonders gut geschmeckt hat?
Wenn ich das wüsste. Ich habe sie natürlich gefragt, aber die Inspektoren haben es mir nicht verraten, weil ich sonst womöglich nur noch dieses eine Gericht kochen würde. Der Inhalt ihres Testberichts ist geheim.
Was sind Ihre Stärken?
Die Kreativität, auf dem Teller unterschiedliche Geschmäcker harmonisch zu kombinieren. Die psychologische Fähigkeit, Mitarbeiter zu motivieren, jeden Tag wieder ihr Bestes zu geben. Partner zu finden, die einem die tollsten Produkte bringen, und mit diesen Partnern respektvoll umzugehen.
Was ist Ihr derzeit stärkstes Gericht?
Eines meiner derzeitigen Lieblingsgerichte auf der Karte ist der Wildhase mit Quitten und japanischem Bergpfeffer, also zwei lokalen Produkten, die wir mit einem Aroma aus meiner zweiten Heimat verbinden. Das gefällt mir gut.
Können Sie beschreiben, was Sie von Ihren beruflichen Stationen jeweils mitgenommen haben?
Martin Fauster hat mir im Münchner Königshof eine handwerkliche Qualität vermittelt, ohne die ich in den anderen Küchen nicht überlebt hätte. Joachim Wissler hat mich auf Schloss Bensberg ja gleich ins kalte Wasser geworfen und mir die Verantwortung für Fisch und Saucen gegeben. Wissler war so, wie man sich als junger Koch einen Drei-Sterne-Koch vorstellt: ein Halbgott in Weiß mit unheimlicher Souveränität und Ausstrahlung. Er ist nie laut oder cholerisch geworden. Die Arbeit in seiner Küche war akribisch und ruhig. Sobald er die Küche betrat, wurde das Küchenradio ausgestellt und es herrschte Stille. In Holland habe ich dann das komplette Gegenteil erlebt: Sergio Herman ist der Rockstar der Drei-Sterne-Küche, er trägt Jeans und T-Shirt, hat überall Tattoos und Kettchen, in der Küche wird Musik gehört. Der Druck und die Anspannung waren enorm, da konnte es oft sehr laut in der Küche werden, aber am Ende des Tages wurde alles offen angesprochen, wenn etwas nicht gepasst hat. Das Wort Chef hat er nicht gemocht, wir haben ihn geduzt. Herrn Wissler haben wir natürlich gesiezt.
Wie halten Sie es in der Küche?
Wir duzen uns. Von Sergio Herman und dem Leben in Holland habe ich sicherlich eine gewisse Lockerheit mitgenommen. Davor war ich sehr ernst und verbissen. Ich war der Typ, der zum Lachen in den Keller geht.
Warum sind Sie wieder nach München zurückgekehrt?
Ich bin in München aufgewachsen und meine Frau und ich hatten von Anfang an nur vor, zwei Jahre in Holland zu bleiben. Familie Geisel hat den Kontakt zu mir nie abbrechen lassen. Irgendwann bekam ich dann von ihnen das Angebot, den Werneckhof zu übernehmen.
Wann wussten Sie, dass sie Koch werden wollten?
Mit 14, 15 Jahren.
Wer hat Ihnen die Leidenschaft zum Kochen mitgegeben?
Meine Eltern, beide kochen, allerdings haben sie das nie professionell gemacht. Meine Mutter ist Unternehmensberaterin, bis ich zwölf wurde, blieb sie zuhause. Mein Vater hat bei Siemens gearbeitet. Wenn er mit mir am Abend japanisch gelernt hat, hat sie japanisch gekocht. Wir sind auch viel essen gegangen. Meine Eltern haben mir vermittelt, dass Esskultur, gemeinsames Essen und Kochen wichtig sind.
Was ist japanisch an Ihrer Küche?
Dashi ist ein ganz wichtiger Aspekt, die Bouillon aus Kombualge und Bonito. Kommt in vielen meiner Rezepte vor. Wobei ich versuche, die Rezepte ansonsten so einfach zu halten, dass sie sich ohne großen Aufwand zu Hause nachkochen lassen.
Ihre Frau arbeitet auch als Köchin, wer kocht zuhause?
Unter der Woche kocht sie viel für unseren zweijährigen Sohn, am Wochenende lässt sie mir den Vortritt, weil sie weiß, wieviel Spaß mir das Hobbykochen macht.
Streiten Sie sich am Herd?
Am Herd nie. Auch sonst relativ selten.
Was ist deutsch an Ihrer Küche?
Exaktheit und Disziplin. Das zeichnet die deutsche Küche generell aus: Wir haben in Deutschland ja nicht wie die Nordic Cuisine oder die spanische einen typischen, unverwechselbaren Charakter, aber dafür können Sie in Deutschland in jedes Sternelokal gehen und werden immer auf allerhöchstem Niveau essen. Das ist schon was.
Wo werden Sie als nächstes essen?
Ich muss Herrn Fauster nach Paris einladen. Er hat gewettet, dass wir den zweiten Stern bekommen, ich hab gesagt, dass es dafür noch zu früh wäre. Ich hab verloren.
Welches Lokal?
Mich zieht's zu den klassischen Lokalen: Epicure und L'Ambroisie reizen mich.
Es heißt, große Sterneküche sei nur noch von Hotelrestaurants zu leisten, die sich querfinanzieren lassen.
Geisels Werneckhof ist ein eher kleines, eigenständiges Restaurant in Schwabing, aber wir sind tatsächlich eingebunden in die Hotellerie-Landschaft der Familie Geisel, die mit knapp 400 Mitarbeitern bald fünf Hotels in München führt. Wir stehen nicht unter einem irrwitzigen wirtschaftlichen Druck, aber wir sind trotzdem kein Subventionsprojekt. Wir bemühen uns, auf unsere Möglichkeiten zu achten und wirtschaftlich zu arbeiten.
Wollen Sie jetzt auch noch den dritten Stern holen?
Der ist ganz weit weg. Irgendwann einmal drei Sterne zu erkochen, wäre natürlich eine tolle Sache. Aber dafür muss man auch bereit sein, einige negative Auswirkungen auf das Privatleben in Kauf zu nehmen.
Machen drei Sterne soviel mehr Arbeit als zwei?
Ja. Man steht noch stärker im Fokus der Öffentlichkeit. Man spielt international in der allerersten Liga, es gibt ja weltweit nur 80, 90 Drei-Sterne-Lokale. Da muss man schon noch eine ganz andere Art von Perfektion an den Tag legen.
Foto: Frank Bauer