Daniel Schönecker und Maximilian Schauerte: früher Geschichtestudenten, heute Ginhersteller

Der Gin, den sie tranken, war so fad wie die Jobs, die sie machten. Also beschlossen zwei Münchner, sich ihre eigene Destillerie zu bauen.

Nachmittags um drei ist die Luft in der Destille längst einem aromasatten Dunst gewichen. Der Raubrand ist fast fertig, der Eimer mit dem Nachlauf, also dem Alkohol, der nicht zu verwenden ist, randvoll. Jeder Atemzug ein kleiner Schluck.

Daniel Schönecker und Maximilian Schauerte suchen jeweils den Blick des anderen, ehe sie auf Fragen antworten. Wie sie sich ihre Kenntnisse über das Brennen angeeignet haben, wie viele Flaschen sie inzwischen verkaufen, auf welche Märkte sie künftig setzen, darüber geben sie nicht gern Auskunft. Sie wollen nichts falsch machen, nicht jetzt, nach vier Jahren, in denen sie so ziemlich alles richtig gemacht haben und es ziemlich gut läuft für sie und ihren Gin.

»The Duke« hat Preise und Auszeichnungen gewonnen, ist in Feinkostläden wie Käfer in München und großen Kaufhäusern wie dem KaDeWe in Berlin zu finden. Sogar in Spanien, Europas größtem Ginmarkt, ist man auf den Gin aus München aufmerksam geworden. In einigen Bars steht »The Duke« bereits in der ersten Reihe des Ginregals. Und neulich lieferten sie eine Kiste ins Bundespräsidialamt.

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Sogar mit deutschen Konkurrenten müssen Schönecker und Schauerte sich inzwischen auseinandersetzen. »Monkey 47« heißt ein Gin, der im Schwarzwald hergestellt wird, »Adler« einer aus Berlin. Wie auch viele kleine Bierbrauereien, die in den vergangenen Jahren gegründet wurden, treten The Duke Gin Distillery und die anderen kleinen Manufakturen mit dem Anspruch an, ein unverwechselbares Produkt zu erzeugen, mit kräftigen Aromen, mehr Facetten und höhe der Qualität als die großen, gängigen Marken.

Für Aufsehen in Münchner Bars sorgten zunächst allein Erscheinung und Auftritt des »Duke«. Schönecker und Schauerte füllten ihren Gin in Apothekerflaschen und verpassten der urbritischen Spirituose ein bayerisches Wesen. Nach Herzog Heinrich dem Löwen, dem Gründer Münchens, nannten sie ihn »The Duke« und schrieben »Handcrafted in Bavaria« auf das Etikett. Darunter den lässigen Zusatz »Munich Dry«. Dass die Bezeichnung zumeist falsch verstanden wird, nämlich als Tribut an den Klassiker des Genres, den London Dry Gin, ist dabei Kalkül. Ursprünglich bedeutet Dry lediglich, dass der Gin nicht gesüßt ist. Mittlerweile haben sich Geschmack und Qualität des »Duke« herumgesprochen.

Sieben Stunden benötigt die Destille für einen Durchlauf, noch reicht eine Schicht pro Tag aus, um die Nachfrage zu stillen. Schönecker und Schauerte freuen sich über die Anerkennung ihrer Arbeit, doch ihr Maßstab für Erfolg ist ein anderer: Sie können mittlerweile halbwegs davon leben, eine Handvoll Leute beschäftigen und die Raten für die Etikettiermaschine abbezahlen.

Die Mode der geschmacksneutralen Partybeschleuniger ist überholt

Natürlich haben sie auch ein bisschen Glück gehabt. Die Wodka-Euphorie der vergangenen Jahre versiegt allmählich, die Mode der geschmacksneutralen Partybeschleuniger ist überholt. Zugleich steigt die Nachfrage nach Produkten, die sich bester Qualität verpflichten und deren Herstellung nachvollziehbar ist. Beides kommt dem »Duke« zugute.

Sie haben die Mühen des Anfangs nicht vergessen, die Warnungen, die Zweifel, als sie Freunden, Familien und Banken zum ersten Mal von ihrem Plan erzählten und mancher ihnen das nicht zugetraut hatte, als Kopfmenschen mit einem Handwerk Geld zu verdienen.

Geschichte hatten sie beide studiert, Magisterarbeiten geschrieben, Praktika absolviert, und nun saßen sie fest. Schönecker bei einem Pharmaunternehmen, Schauerte bei einem Fernsehsender. Sie langweilten sich in ihren Jobs und gingen abends einen trinken. Doch nicht einmal der Alkohol schmeckte ihnen. Der Gin in ihren Cocktails, fanden sie, war genauso fad wie ihre Arbeit.

Sie sprachen von früher, als sie noch nicht mit dem Gefühl lebten, in einer Falle zu sitzen, zusammen in einer WG wohnten und mit selbst gebauten Apparaturen zum Eigenbedarf und als Attraktion für Partys allerlei Brände fabrizierten. Sie stellten sich vor, wie es wäre, wenn sie das einfach wieder machen würden. Diesmal aber richtig. Mit besten Zutaten, in einem großen Kupferkessel, mit Lizenz, auf Rechnung. Gin brennen in der eigenen Destille.

Sie schliefen ihren Rausch aus, doch ihre Idee hatte sich nicht verflüchtigt. Schönecker und Schauerte kündigten ihre Jobs, gründeten ihre Manufaktur und nannten sie zunächst nach der Tochter des Zeus, Persephone. 28 waren sie beide damals, 2007.

Die nötigen Genehmigungen einzuholen dauerte fast ein Jahr. Bei einem Kesselbauer ließen sie sich eine Brennanlage maßanfertigen und verbrachten fast ein weiteres Jahr damit, nach den besten Zutaten zu suchen und die Rezeptur zu entwickeln, dafür brauchten sie professionelle Hilfe eines erfahrenen Destillateurmeisters. »Ein ums andere Mal kamen wir zu dem Schluss, dass Zutaten aus biologischem Anbau am hochwertigsten sind«, sagt Schönecker. »The Duke« trägt jetzt ein Biosiegel, »das war ursprünglich gar nicht unsere Absicht.« Die Wacholderbeeren stammen aus dem Appenin, die Ingwerwurzeln aus Indonesien, der Koriander aus Spanien, das sind die klassischen Zutaten. Dazu mischen sie Lavendel, Zimt, Zitronenschale, Orangenblüten, Kubebenpfeffer und Angelikawurzel. Und schließlich: Hopfen und Malz. Ein Tribut an die bayerische Herkunft, aber nicht nur: »Das Malz gibt dem Gin etwas Weiches und sorgt dafür, dass er nicht zu kratzig schmeckt«, sagt Schauerte.

Fast ebenso viel Wert legten sie auf den Standort: Mitten in der Stadt, im Münchner Univiertel, produzieren sie »The Duke«. Die Mieten dort sind nicht gerade günstig, in der Nachbarschaft befinden sich Architekturbüros, Galerien, Kanzleien. »Das ist ein wichtiger Teil unserer Geschichte. Es wäre schon seltsam, in einem Gewerbegebiet am Stadtrand zu sitzen und dann ›Munich Dry‹ auf die Flasche zu schreiben«, sagt Schauerte. Sie knüpfen damit an zwei Traditionen an: zum einen an die der alten Ginbrennereien, die mitten in London ansässig waren, zum anderen auch an Münchner Geschichte – bis in die Achtzigerjahre produzierte die Riemerschmid Likörfabrik ihre Brände auf der Praterinsel, mitten in der Stadt.

Schönecker reicht ein zur Hälfte gefülltes Sherryglas. Erster Eindruck: Oha, das ist Gin? Ein Erstaunen, vergleichbar mit dem, wenn man, genügsam geworden durch Supermarktware, auf einmal im Süden in eine sonnengereifte Tomate beißt. Er schmeckt kräftig, ein starkes Aroma, wie man es von einem Obstbrand kennt. Wacholder dominiert. Ein Rezensent will Holzaromen herausgeschmeckt haben, die ihn an »Birkenhaarwasser« erinnern, ebenso »sahnige, cremige Nuancen«. Er meinte es anerkennend und gab dem »Duke« neun von zehn möglichen Punkten. Nun ja. Zweiter Eindruck: ganz schön stark. 45 Prozent Alkohol enthält »The Duke«, das sind ein paar Prozent mehr, als die meisten Gins haben. »Nur ein etwas höherer Alkoholgehalt bringt das gewünschte Aroma voll zur Geltung.« Dritter Eindruck: Den »Duke« kann man gut pur trinken. Aber warum sollte man? Gin ist die Basis einer ganzen Reihe legendärer Cocktails, das ist kein Zufall. Wie keine andere Spirituose harmoniert Gin mit Säften, Likören und Bitters. Ohne Gin kein Martini Dry, kein Gin Tonic, kein Gin Fizz und kein Gimlet. Das wird der »Duke« schon einsehen.

Fotos: Julian Baumann, Wolfgang Katzameier (1)