Saketini statt Sex and the City

Für gute Drinks braucht man Zeit. Für unrealistische Serien leider auch. Wofür man sich entscheidet, hat jeder selbst in der Hand – unsere Autorin hatte da neulich eine Erkenntnis.

Foto: Erli Grünzweil

Eine kleine Bar, dunkel, und die Bestellung ist klar: Saketini. Dem, was ich vor einer ganzen Weile schon mal getrunken habe, noch mal nachspüren. Ein, wie der Barkeeper mit dem rasierten Kopf gleich entgegnen wird, anspruchsvoller Drink. Ein komplexer Drink. So erinnere ich mich gar nicht. Ich meine, ihn leicht und schnell getrunken zu haben. Vielleicht war das falsch. Dort, wo ich jetzt sitze, gehört das Zeitnehmen zum Trinken. Und das Ernstnehmen ohnehin. Sogar ein Vorgespräch muss ich führen: Ob ich Martini in anderen Formen schon kenne?

Ich überlege. Martinigläser hatte ich natürlich einige in der Hand. Schon allein wegen dieses Getränks, das sich alle Frauen irgendwann mal bestellten, nachdem sie Abende lang vier New Yorker Singlefrauen dabei zugesehen hatten, wie sie es trinken. Einen Cosmopolitan. Dieses besondere Glas zwischen den ­lackierten Nägeln zu halten war damals die günstigste Art, etwas vom Sex-and-the-City-Flair abzubekommen. Manolo Blahniks waren zu teuer und wären für einen Einkauf beim Toom in den »Köln Arcaden« auch etwas affig gewesen. So sagte man also irgendwann zu einem Kellner, der sonst nur Daiquiri und Kölsch über den Tresen schob, und zwar im Akkord – »einen Cosmopolitan, bitte«. Selbst das war ja schon unanständig geckig. Gleich wollte man dazusagen, man halte sich nicht für eine New Yorkerin, nicht für was Besseres, trinke sonst auch literweise Kölsch, na ja, nur heute, und wenn, dann sei man eh nur Miranda. Die Normale, die bei dem ganzen Überdrehen auch nur mitmacht, weil sie die anderen halt schon ins Herz geschlossen hat und das nun mal nicht so oft öffnet.

Neulich sah ich die Fortsetzung im Fernsehen und die drei verbliebenen Frauen kamen mir irgendwie normaler vor. Weniger affektiert. Und jetzt eine Carrie-Frage: Lag es an mir? Ich kam nicht umhin mich zu fragen, ob die Dinge nur so wirkten, wie sie wirkten, weil man sie zu einer Zeit anschaute, als sie so wirken mussten? Als man selber, ob nun gerade Single oder nicht, dachte, man müsse jemanden finden. Man müsse dann ganz viel über ihn reden oder wenigstens nachdenken. Man müsse ihn prüfen und sich natürlich auch und alles müsse kompliziert sein, denn sonst sei es eben nicht Mister Big. War es nicht so, dass die Liebesbeziehung zwischen diesen beiden Fantasiepersonen das hinzunehmende Kompliziertheitslevel für echte Menschen ein Stück hochgesetzt hatte?

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Vier Frauen sitzen am Tisch und jede will von ihrem ausgedehnten Wochenendsex berichten

Früher gab es mal den Spruch: Disney hat mir unrealistische Vorstellungen von Liebe vermittelt. Ich glaube, es war alleine Carrie Bradshaw, dieses nervöse Wesen. Als ich die alten Folgen noch mal nachschaute, um meine Wahrnehmung zu prüfen, waren alle darin so nervig wie früher. Aber noch etwas anderes fiel auf, etwas, was mir heute so viel unrealistischer vorkommt als damals. Nicht das Dating, das Verlieben oder der Sex, sondern die Zeit, die diese Frauen haben. Um die Dinge zu durchdenken, zu bereden, noch mal zu bereden. Wann und wieso können die immer noch ständig ausgehen, sich füreinander so viel Zeit nehmen und mit Aufmerksamkeit so freigiebig sein? Vier Frauen sitzen am Tisch und jede will von ihrem ausgedehnten Wochenendsex berichten – im Kopf überschlage ich die Stunden, die da zusammenkommen.

Diese berufstätigen Frauen und Mütter haben mir unrealistische Erwartungen von Freizeit vermittelt. Das fand ich beim zweiten Gucken viel schlimmer. Und wie viel Freizeit ich, in dem Verfügbarkeitsrausch, den die vier suggerieren, investiert habe, um dabei zuzusehen, wie sie Zeit verschleudern. And just like that – mitten in Staffel zwei – hab ich die Serie ausgemacht. Für immer. Und zum Barmann habe ich die Wahrheit gesagt: Ich hätte keine Erfahrung mit Martinis, aber ich hätte jetzt Zeit.